Die Ausstellung „Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension“ im Zeppelin Museum Friedrichshafen untersucht an der Schnittstelle von Kunst und Technik, wie visionäre Ideen dabei helfen, die Schwerkraft zu überwinden und dabei entweder reüssieren oder scheitern
Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Der Traum vom Fliegen und dem Schweben im Weltall beschäftigt die Menschheit schon seit Langem. Sei es Ikarus, der Schneider von Ulm, der Flugpionier Charles Lindbergh, Graf Zeppelin, der Astronaut Neil Armstrong, Tech-Milliardär Elon Musk oder der argentinische Künstler Tomás Saraceno, der weite Teile seines Werks der Himmelserkundung verschrieben hat. Innovative Technologien ermöglichten einst Luftschiffe wie die 1937 tragisch verunglückte „Hindenburg“, Überschallflugzeuge wie die legendäre Concorde, Weltraumstationen wie die ISS oder visionäre Autos, die in den 1960er Jahren mittels Helikoptertechnik in die Luft gehen sollten. Solche Errungenschaften der Technik helfen der Menschheit bei der Überwindung der Schwerkraft und bei der Eroberung der dritten Dimension. Doch zu welchem Preis?
Die überwiegend aus eigenen Sammlungsbeständen reich bestückte Ausstellung „Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension“ im Zeppelin Museum Friedrichshafen geht der Frage nach, „ob technische Innovationen die menschlichen Sehnsüchte nach Geschwindigkeit, Freiheit, Frieden, Unsterblichkeit und Nachhaltigkeit erfüllen können, oder ob ihr Stellenwert durch Marketing und fetischisierte Heilsversprechen überhöht wird“. Ein vierköpfiges Kurator:innenteam aus den beiden Abteilungen Technik und Kunst des Zeppelin Museums hat für diese interdisziplinäre Schau rund 80 Exponate der Luftfahrtgeschichte mit 15 künstlerischen Arbeiten kombiniert. Um die Schau zu gliedern, erzählen sie ihre Geschichten in fünf Kapiteln mit den Überschriften „Geschwindigkeit“, „Freiheit“, „Frieden“, „Unsterblichkeit“ und „Nachhaltigkeit“. Auf diese Weise werden Visionen und Ideen der letzten 120 Jahre präsentiert und mit dem Wissen von heute auf den Prüfstand gestellt.
Die Besucher:innen lernen nicht nur, wie in vergangenen Zeiten eine bequeme Atlantiküberquerung in luxuriös ausgestatteten Luftschiffen für das betuchte Publikum aussah. Auch kann man sich Gedanken darüber machen, ob der Einsatz von Drohnentaxis, wie er etwa in Dubai bereits erprobt wird, bloß Zukunftsmusik bleiben sollte oder irgendwann in den Alltag integriert werden könnte, sollten futuristische Verkehrskonzepte tatsächlich zum neuen Standard werden. Immer wieder stellt die Ausstellung kritische Fragen. Muss wirklich jede erdenkliche Utopie realisiert werden, oder sollten wir der Umwelt und dem Planeten zuliebe auch mal auf die Versprechen der Technik verzichten und sie der Science Fiction-Welt von Raumschiff Enterprise überlassen?
Angeregt von solchen Fragestellungen, begegnen die Besucher:innen auf ihrem Rundgang durch das Zeppelin Museen auch immer wieder den Arbeiten von bildenden Künstler:innen, die sich mit den Utopien und Dystopien der Luftfahrt beschäftigen. So bietet die Stuttgarter Künstlerin Marie Lienhard den Besucher:innen der Ausstellung mit ihrer Arbeit „Spaces“ an, in einem frei hängenden Plexiglas-Sessel Platz zu nehmen und, ausgerüstet mit einer Virtual Reality-Brille, eine Ballonfahrt über den Bodensee zu erleben. Ein paar Schritte weiter thematisiert die ghanaische Filmemacherin Nuotama Frances Bodomo in ihrem Schwarz-Weiß-Video „Afronauts“ aus dem Jahr 2014 die Raumfahrtsehnsucht aus afrikanischer Sicht. Eine afrikanische Astronautin, dargestellt von einem weiblichen Albino, träumt davon, zum Mond zu fliegen und dort eine Welt ohne Diskriminierung vorzufinden.
Der Berliner Künstler Timur Si-Qin arbeitet ebenfalls mit Virtual Reality und lässt seine Betrachter:innen durch eine entsprechende Brille schauen. Sie dürfen über digital generierte Landschaften schweben, ohne wirklich abzuheben. Diese Erfahrung mischt sich mit einem Hauch von Spiritualität, die der Künstler als New Peace bezeichnet.
Im letzten Kapitel untersucht die Ausstellung, inwiefern innovative Technik auch „grün“ sein kann. Beispiele wie Tomás Saracenos aerosolare Skulpturen und filmisch eingefangene Flugexperimente in der Wüste in New Mexico oder auch der 1999 entwickelte „Cargolifter“ vermitteln ein Bild von mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, nachhaltige Formen der Luftfahrttechnik zu erfinden.
Damit bleibt die Ausstellung einerseits am Puls der Zeit, hinterfragt jedoch einmal mehr die als heilsbringend annoncierten Versprechen der Technik, die häufig auch zweischneidig und zum Scheitern verurteilt sein können. Ironie der Geschichte: In der imposanten Halle in Brandenburg, wo ursprünglich das mit einer großen Marketingkampagne umworbene, neue Luftschiff „Cargolifter“ gebaut werden sollte, befindet sich heute das Spaßbad „Tropical Islands“. Auch das ein fragwürdiges und energiehungriges Freizeitparadies mit eher artifiziellem Charme, das jedoch schon etliche bildende Künstler:innen zu kritischen Arbeiten angeregt hat.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension
Ort: Zeppelin Museum Friedrichshafen
Zeit: bis 16.4.2023. Di-So 10-17 Uhr
Publikation: Künstler:innenbuch vom Studio Yannick Nuss, 20 Euro
Internet: www.zeppelin-museum.de