Oliver Zybok, der demnächst ans Kunstmuseum Bonn wechselnde Direktor der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck, plant als Abschiedsausstellung ein großes Projekt mit dem Berliner Künstler Christian Jankowski. Im Gespräch mit Nicole Büsing und Heiko Klaas blickt er zurück und nach vorn
Nicole Büsing & Heiko Klaas: Du warst jetzt seit 2015 erster hauptamtlicher Direktor der Overbeck-Gesellschaft, und demnächst verlässt du den Kunstverein in Richtung Kunstmuseum Bonn. Welche Projekte konntest du in dieser Zeit anstoßen?
Oliver Zybok: Die Programmatik des Lübecker Kunstvereins sah vor, dass wir immer wieder auch über den Tellerrand der Kunst hinausschauen und thematisch medienübergreifend denken wollten. Dafür haben wir die Vermittlungsarbeit intensiviert, zahlreiche Workshops für Kinder und Erwachsene entwickelt, von DigitalArt bis zum Comic. Dazu gab es Konzerte, Lesungen, Vortragsveranstaltungen und Künstlergespräche. Rückblickend war unter anderem das Projekt „Re-Art. Ready made recycelt“ mit Precious Plastic, einem Designkonsortium aus den Niederlanden, sehr erfolgreich, und zwar aus dem Grund, weil wir Menschen in der Hansestadt dazu motivieren konnten, das Projekt weiter fortzuführen. Precious Plastic hat Maschinen entwickelt, mit sehr einfachen Bauanleitungen, die man aus dem Netz herunterlädt. Mit ihnen kann man als Privatperson Plastikmüll in vier Stufen recyceln, vom Reinigen und Schreddern bis hin zum Einschmelzen und zur Herstellung von neuen Gegenständen. Das geschmolzene Plastik konnte in unserer Ausstellung in von Besucher:innen und Künstler:innen wie Monica Bonvicini oder Pae White entwickelten Formen gegossen werden. Somit entstanden aus altem Plastik neue Objekte. Es gibt weltweit zahlreiche Initiativen von Precious Plastic, in denen Gleichgesinnte eine offene Werkstatt mit diesen Maschinen betreiben. Wir haben eine solche in der Overbeck-Gesellschaft eingerichtet, mit dem Ergebnis, dass sich Lübecker dafür begeisterten und diese offene Werkstatt in in der Stadt bis heute weiterführen. Abschließend möchte ich noch die Vortragsreihe über Carl Georg Heise erwähnen, einen engen Freund von Aby Warburg, die erstmals das Schaffen und Wirken des ehemaligen Direktors der Lübecker Museen und der Hamburger Kunsthalle in zehn nationalen wie internationalen Beiträgen würdigte.
NB & HK: Du hast einige Kooperationen in Lübeck realisiert. Welche waren das, und warum erschien dir das besonders sinnvoll?
OZ: Als ich anfing, stand 2018 das 100jährige Jubiläum der Overbeck-Gesellschaft vor der Tür. Es galt, den Kunstverein mehr in der Stadt zu verankern, um zum einen Synergieeffekte zu erzielen, was die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit anging, aber auch um kosteneffizienter zu arbeiten. So kam eine enge Kooperation mit der St. Petri Kirche zu Lübeck zustande, die ja ein eigenständiger Ausstellungs- und Veranstaltungsort ist. Wir sind seit 2016 auch für die Ausstellungen dort verantwortlich. Des Weiteren haben wir ein stadtumfassendes Projekt mit Jonathan Meese durchgeführt, der in Ahrensburg aufgewachsen ist und vorher noch nie institutionell in einem größeren Rahmen in Schleswig-Holstein ausgestellt hatte. Sein umfangreiches Schaffen wurde an fünf Standorten gezeigt; in der Overbeck-Gesellschaft, der Kunsthalle St. Annen, in Sankt Petri zu Lübeck, im Günter Grass-Haus und auf der Gollan Kulturwerft. Ein derartiges Gemeinschaftsprojekt hatte es in der Hansestadt zuvor nicht gegeben. Worüber ich mich auch sehr freue ist, dass wir den Possehl-Preis etablieren konnten, der vorsieht, dass von einer internationalen Jury in zwei Jahren ein:e lokale:r Künstler:in ausgewählt wird, im dritten dann ein:e international agierende:r Künstler:in. Ich habe den Preis maßgeblich mitinitiiert, die Richtlinien verfasst und durfte die Ausstellungen mit den ersten beiden Preisträger:innen Doris Salcedo und Matt Mullican 2019 und 2022 kuratieren.
NB & HK: Wie würdest du die Overbeck-Gesellschaft innerhalb der Lübecker Stadtgesellschaft und darüber hinaus verorten?
OZ: Ich denke, ich kann sagen, dass wir entscheidend die Themen „Partizipation“ und „Inklusion“ in Lübeck vorangebracht haben, mit Projekten, die nicht nur in Kiel und anderenorts in Schleswig-Holstein wahrgenommen worden sind, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus. Es war nicht so, dass es hier in den einzelnen Einrichtungen der Stadt keine Bereitschaft dazu gab, sich mit diesen Feldern zu beschäftigen, es bedurfte nur jemanden, der die Initiative ergreift, und das waren halt wir. Es ist wunderbar zu sehen, wie partnerschaftlich heute in Lübeck bei der Umsetzung von Projekten umgegangen wird, und wie groß mittlerweile die Diskursbereitschaft bei den Kunst- und Kulturschaffenden ist.
NB & HK: Was lässt sich zur Besucher:innenstruktur sagen?
OZ: Es klingt merkwürdig, da es auch gegenteilige Bewegungen in anderen Städten gibt, aber ich bin mit der Entwicklung der Besucher:innenzahlen in der Overbeck-Gesellschaft sehr zufrieden. Von durchschnittlich 5.000 Besucher:innen pro Jahr vor meiner Zeit, haben wir die Zahlen in den letzten drei Jahren auf 14.000 bis 17.000 erhöhen können. Damit belegen wir im diesbezüglichen Ranking der Kunstvereine einen Spitzenplatz. Auch die Mitgliederzahlen konnten wir in den letzten acht Jahren um mehr als 20 % steigern.
NB & HK: Du planst als Abschiedsausstellung ein Projekt mit Christian Jankowski. Was hat dich zu dieser Entscheidung bewogen?
OZ: Dieses Projekt ist als Folgeerscheinung der erfolgreichen Ausstellung mit Jonathan Meese entstanden. Ich wurde von mehreren Einrichtungen der Stadt gebeten, eine weitere kooperative Initiative in diese Richtung zu starten. Ich habe Christian Jankowski vorgeschlagen, dessen Atelier die Welt darstellt. Er lässt in seiner Arbeit immer wieder verschiedene Systeme der Gesellschaft aufeinander treffen, um dann in einen regen Diskurs einzutauchen. In Lübeck wird in fünf Kirchen jeweils ein Geschäft installiert, das für Grundbedürfnisse des Menschen steht, wie Kleidung, Nahrung und Kommunikation. Das heißt, in einer Kirche wird zum Beispiel ein Supermarkt eingerichtet, in dem man ganz regulär einkaufen kann. Wichtig ist, dass beide Bereiche – Kirche und das jeweilige Geschäft – ganz normal funktionieren. Hier stellt sich unter anderem die Frage, was macht heutzutage eine Identität aus? Kirche, Kunst und Wirtschaft hatten schon immer eine enge Bindung.
NB & HK: Du wechselst demnächst ans Kunstmuseum Bonn. Was erwartest du von der Arbeit an einem größeren deutschen Kunstmuseum?
OZ: Ich freue mich, mit einer Sammlung arbeiten zu können, die einen Bogen von der Moderne bis zur Gegenwart spannt. Neben meiner Funktion als stellvertretender Direktor werde ich auch Sammlungsleiter sein, mit dem kuratorischen Schwerpunkt auf die Kunst nach 1945. Die Sammlung des Kunstmuseum Bonn zählt zu den umfangreichsten ihrer Art mit einer enormen Strahlkraft – in jedem Medium. Ich habe bisher hauptsächlich im zeitgenössischen Segment gearbeitet und freue mich sehr die Gegenwart nun auch historisch zurückverfolgen zu können.
NB & HK: Lieber Oliver, wir danken dir für das Gespräch.
Dieses Interview wurde ursprünglich für die aktuelle Sommer-Ausgabe des Magazins Artmapp geführt und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages.