Nicole Büsing und Heiko Klaas im Interview mit dem Hamburger Künstler Harald Frackmann, dessen Atelier auf der Fleetinsel anlässlich der Saisoneröffnung der Hamburger Galerien am 5. September von 18 bis 21 Uhr besichtigt werden kann
Allgemeines und Biografisches
Nicole Büsing & Heiko Klaas: Lieber Harald, wir würden gerne mit einigen allgemeineren Fragen in unseren Dialog einsteigen, ehe wir später auf einzelne Aspekte deiner künstlerischen Praxis eingehen. Daher die erste Frage: Kannst du dich an die Anfänge deiner künstlerischen Tätigkeit erinnern?
Harald Frackmann: Erinnerungen an Gartengestaltung und Hausmodelle, Erdhöhlen.
NB & HK: Welche Rolle spielte Kunst in deinem Elternhaus?
HF: Bürgerliche Erbstücke, Jugendstil und Schnitzereien aus dem Erzgebirge.
NB & HK: Gab es weitere Anregungen, etwa durch Lehrer?
HF: Kunstunterricht am Gymnasium und die Zeichenbüros in den väterlichen Betrieben, Weberei, Damenoberbekleidung, Stoffdruck, Spitzenstickerei, Plauener Spitze.
NB & HK: Kannst du dich an erste Ausstellungsbesuche erinnern? Was hat dich damals besonders beeindruckt?
HF: Handwerksmesse in der Dorfturnhalle. Präsentation und Standgestaltung.
NB & HK: Du bist in Sachsen an der Grenze zu Bayern aufgewachsen und dann in den Westen gekommen. Bei einem unserer ersten Atelier- besuche hast du uns drei historische S/W-Fotografien gezeigt, die die Saalebrücke Rudolphstein zeigen. Welche Erinnerungen sind mit diesem Bauwerk verbunden, und inwiefern hat die unmittelbare Erfahrung damit dein künstlerisches Denken beeinflusst?
HF: Aufgewachsen in Sachsen und Oberfranken in einem Dorf. Übersiedelt nach der Teilung vor der Einschulung.
Brücke: Fanal von Krieg und Zerstörung, Verlust und Teilung.
NB & HK: Du bist dann zum Studium an die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) gegangen. Was hast du dort genau studiert und bei welchen Professoren?
HF: Beginn der Hochschulzeit nach dem Militärdienst.
Grundstudium bei Hans Thiemann, Kandinsky-Schüler.
Interdisziplinäres Studium nach dem Modell der Ulmer Hochschule.
Design, Grafik, Architektur etc.
NB & HK: Offenbar hat dir die praxisbezogene Ausbildung an der HFBK aber nicht ausgereicht. An der Universität Hamburg hast du zusätzlich noch Kunstgeschichte und Philosophie belegt. Was gab dafür den Ausschlag?
HF: An der Universität Gasthörer. Neugierde und Pekuniäres.
NB & HK: Du warst, soweit wir wissen, über lange Jahre tagsüber als Architekt tätig.
HF: Nicht als Architekt tätig. Kein Dipl.-Ing., aber eine ganze Reihe von Gestaltungsaufgaben.
NB & HK: Das Malen kam dann später?
HF: Das stimmt: ich habe mich erst ab meinem 30. Lebensjahr kontinuierlich mit Malerei und freier Kunst beschäftigt.
Figuration/Abstraktion
NB & HK: Kommen wir nun zu einzelnen Aspekten deiner Malerei. Du hast ja überwiegend nachts gemalt. Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Rationalität und Irrationalität, das Unter-Leuten-Sein und die Einsamkeit. Das Verdrängen der allzu vernunftgerichteten Tätigkeit zugunsten des traumwandlerischen Abschweifens und Mäandrierens durch Zeit und Raum, Vergangenheit und Gegenwart. Diese assoziative Aufzählung ließe sich noch weiter fortsetzen. Was hat die Nacht, was der Tag nicht hat, und wie kommt dieses gewisse Etwas deiner Malerei zugute?
HF: Die Nacht ist meist still. Zum Ruhen vorbereitet. Auch zum Hören. Zum Klang feinster Texte und Musikdramen. Wenn andere den Tag beenden, suche ich Zeichen und Landschaften vom Vorabend. Setze fort, überdecke, gebe Kontur, schließe mich an, entdecke mich, und anderes, teile mit.
NB & HK: Du bist als ein Künstler bekannt, der, wie es der Kulturphilosoph Ernst Cassirer (1874-1945) in seiner Schrift „Was ist der Mensch?“ formuliert hat, „Von der Welt der Gegenstände in die Welt der lebendigen Formen“ emigriert ist. Hast du jemals gegenständlich gezeichnet oder gemalt? Falls ja, haben auch diese Werke für dich heute noch etwas Gültiges?
HF: Als Humanist ist besonders der Mensch mir von Interesse. Alles Zwischenmenschliche, Verstehen und das Mehr, das zeigt sich jedoch mehr und häufiger in Abstraktion, Figurationen, in Stimmungen. Suche nicht das absolut Gültige im Figürlichen…
NB & HK: Dennoch meint man in manchen deiner Bilder ganz Konkretes zu erkennen…
HF: Für den Betrachter ergeben sich zufällige figürliche Konstellationen.
NB & HK: Deine Bilder seit den 1970er Jahren schaffen also zunächst einmal keine bewussten Abbilder der Wirklichkeit. Einziger Bezugspunkt ist die Malerei selbst. Wie zentral sind für dich Begriffe wie Freiheit, Befreiung von den Fesseln der Repräsentation und des Gegenständlichen? Ohne jede zeichenhafte bzw. bildnerische Festlegung, nur auf die materiellen Grundlagen der Malerei konzentriert, entzieht sich deine Malerei der Realwelt. Das Ergebnis sind vielmehr Versuchsanordnungen, das Erzeugen von Nuancen und das Spiel mit Zufällen. Könnte man das so sagen?
HF: Schauplatz für so manches Ereignis ist gegenständlich die Landschaft. Künstlich, kunstschön und ebenso nach der Natur
und mit Gegenständen. Der Zufall und das Spiel führen Regie neben dem Maler…
Die Eigenheiten der Farbe
NB & HK: Welche Rolle spielt dabei das Experimentieren mit den Material- und Fließeigenschaften von Ölfarbe, Lack oder farbauflösenden Substanzen wie Terpentin? Würdest du sagen, dass diese Farbexperimente etwas Alchimistisches haben?
HF: Losgelöst von der Bedeutung in einem großen Labor. Es mischen sich Gegenstände und Kreatürliches. Überraschung macht Freude…
Schwarz und Nicht-Schwarz
NB & HK: Deine Malerei schöpft sozusagen aus dem Dunklen. Ganz eindeutig überwiegt (zumindest auf den großen Gemälden) das Schwarz. Nun wird seit jeher darüber gestritten, ob Schwarz einfach nur die dunkelste aller Farben oder gar eine Nicht-Farbe ist, gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Licht. Wie positionierst du dich in dieser Diskussion?
HF: Auf dem Weg ins Dunkel, aus dem Dunklen kommt das Licht.
Schwarz hat alle Farben in sich. Unendlich zahlreiche Schwarznuancen sind mit Schwarz möglich.
NB & HK: Bei den Römern gab es zwei unterschiedliche Worte für Schwarz:
niger = glänzend, leuchtend >>> gutes, positiv besetztes Schwarz
ater = stumpf, matt >>> negativ besetztes Schwarz
Und auch der Philosoph Ludwig Wittgenstein stellt in seinen „Remarks on Colour“ folgende Frage: „Könnten nicht auch glänzendes Schwarz und mattes Schwarz verschiedene Farbnamen haben?“. Du verwendest beide. Wie wichtig sind dir in deiner Malerei verschiedene Arten und Abstufungen von Schwarz? Wann und wie setzt du sie ein?
HF: Mir sind glänzendes oder mattes Schwarz von gleicher Bedeutung. Auch sind alle Abstufungen gleichermaßen beteiligt. Tiefe und Ruhe, Stille und Bewegungen treten auf, verbinden sich. Schwarz.
NB & HK: Von Theodor W. Adorno stammt folgendes Zitat : „Radikale Kunst heute heißt soviel wie finstere, von der Grundfarbe Schwarz. Viel zeitgenössische Produktion disqualifiziert sich dadurch, dass sie davon keine Notiz nimmt, etwa kindlich der Farben sich freut. Das Ideal des Schwarzen ist inhaltlich einer der tiefsten Impulse von Abstraktion. Vielleicht allerdings reagieren die gängigen Klang- und Farbspielereien auf die Verarmung, die es mit sich bringt; vielleicht wird Kunst, einmal ohne Verrat, jenes Gebot außer Kraft setzen, so wie Brecht es empfunden haben mag, als er die Verse niederschrieb: „was sind das für Zeiten, wo/Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist/Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“
Inwiefern hat sich deine Adorno-Lektüre auf deine Kunstpraxis ausgewirkt?
HF: Malerei/Kunstpraxis ist frei von theoretischer Lektüre. Jede Farbe lässt erfahren.
schwer schwierig schweigsam schwermütig schön
NB & HK: Sehr schön formuliert. Dennoch würden wir da gerne noch ein wenig nachhaken: Wie wichtig ist dir die Farbe Schwarz als eine Möglichkeit menschlicher Selbsterfahrung? Einerseits für dich als Künstler, andererseits aber auch für die Betrachterin und den Betrachter?
HF: Schwarz verbirgt und zeigt.
Schichtungen und das Prinzip der Wiederaufnahme
NB & HK: Bei deinen Bildern, insbesondere den schwarzen, fällt auf, dass sie aus vielen übereinander liegenden Schichten bestehen. Es gibt also eine Art Ursprungsbild, das in verschiedenen Arbeitsgängen immer wieder überarbeitet und übermalt wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff Palimpsest. Darunter versteht man seit der Schriftkultur der Antike ganz allgemein den Vorgang des Überschreibens, wobei immer auch etwas von den unteren Schichten sichtbar bleibt. Würdest du diesen Begriff oder diese Methode auch für deine Bilder gelten lassen?
HF: Ja, das ist so.
NB & HK: Was motiviert dich dazu, deine Bilder immer wieder aufs Neue zu befragen, sie sozusagen „auf Wiedervorlage“ zu legen und gegebenenfalls zu ergänzen?
HF: Verdichtung. Umschichtung.
NB & HK: Manche deiner Bilder entstehen in einem jahrelangen Malprozess, was man auch an den mehrfachen Datierungen auf den Rückseiten ablesen kann, die oftmals einen großen Zeitraum umfassen. Wann ist ein Bild eigentlich für dich abgeschlossen, sozusagen gültig?
HF: Wenn es das Haus verlässt.
NB & HK: Oder ist das ein Idealzustand, der gar nicht erreicht werden kann?
HF: Fast so.
NB & HK: Ganz praktisch gefragt: Mit welchen Methoden und Materialien bearbeitest du deine Bilder?
HF: Ölfarben und Lacke.
NB & HK: Sehr häufig benutzt du ja das Mittel der Weißhöhung auf dunklem Untergrund, eine Maltechnik, derer sich schon Renaissancemaler wie Albrecht Dürer und Albrecht Altdorfer bedient haben. Um welche Effekte geht es dir dabei?
HF: Räume. Raum. Bewegung.
NB & HK: Welche, womöglich zunächst gar nicht beabsichtigten Nebeneffekte ergeben sich daraus?
HF: Entstehung von Figuren, Lebewesen, Szenen.
Farbige und helle Bilder
NB & HK: Wie wir es verstehen, benutzt du Farbe nicht als Farbe an sich, sondern als Ausdrucksmittel menschlicher Selbsterfahrung und Entfaltung. Warum und wann entscheidest du dich also hin und wieder, deine überwiegend auf Schwarz-Weiß reduzierte, dunkeltonige Bildproduktion durch farbige Akzente, aber auch gänzlich farbige Bilder zu ergänzen?
HF: Dunkel/Schwarz schließt die Erfahrung und auch Entfaltung über weite Strecken ab. Hin und wieder aber ist dieser Vorgang besonders erkennbar, wenn lautfarbige Bildmotive ergänzt sowie kontrastiert werden.
NB & HK: Die farbigen Arbeiten fallen überwiegend durch eine große Helligkeit auf. Ist das dann als eine Art Gegenprogramm oder Antithese zu den dunklen Bildern zu verstehen? Welche Farbtöne bevorzugst du? Gibt es Farben, die du sehr selten oder gar nicht benutzt? Warum vermeidest du diese?
HF: Ja, Grün zum Beispiel. Grün war nie ein Thema für mich – vermieden wird es nicht, aber es bleibt verborgen unter der schwarzen Decke. Gegenprogramme gibt es nicht, alles ist weniger Konzept als vielmehr Ausdruck von Gefühl und präsent sein.
Archiv, Sprache und Sprachwitz
NB + HK: Neben einem umfangreichen Bestand an Bildern, Arbeiten auf Papier und Objekten befinden sich in deinem Archiv auch kofferweise Sammlungen von sprachlichen Notizen. Fein säuberlich auf weißen Zetteln festgehalten, finden sich zum Beispiel unter dem Label „Namentlich“ umfangreiche Sammlungen von ungewöhnlichen Namen, die du unter anderem in Zeitungen findest. Was treibt dich bei dieser Such- und Sammeltätigkeit an?
HF: „Namentlich“ gründet auf Sammellust ohne Bedeutung und will nichts anderes als beim Namen nennen, als wäre es von wichtiger Bedeutung. Dem Klang von Namen zuhören. Melodie der ausgesprochenen Namen. Geburt von Menschen durch Nennung existent machen, wie gewesen sein lassen, Tragik von Bedeutungslosigkeit, Vergeblichkeit der Nennung, beim Namen nennen, bedeuten, Bedeutung schaffen, fiktiv, „so als ob“, also wirklich „sozusagen“, nur mal gesagt, noch nicht existent, aber vorhanden.
NB & HK: Gleichzeitig entwickelst du (darauf beruhend) aber auch Neologismen, also neue Wortschöpfungen. Wie entstehen diese?
HF: Sie entstehen per Zufall, durch Begeisterung und mit Lust.
NB & HK: Könnte man deine Arbeit daran als geistig-intellektuelle Fingerübungen betrachten?
HF: Ja, es sind Fingerübungen, ludische Auftritte. Ähnliche wie bei gemalten Bildern, wesentlich heiterer jedoch. Arbeitstitel ist hier: „Zettels Raum“ – bisher plane ich keine Veröffentlichung.
NB & HK: Inwiefern gibt es Überschneidungen und Beeinflussungen zwischen diesem intensiven Interesse an Sprache und deiner bildnerischen Produktion?
HF: Sprache und Bilder sind wunderbares Material für ein Spiel bzw. für zwei Spiele, eben das mit der Sprache, ein Sprachbild oder eine Räumlichkeit zu geben und das Spiel z.B. mit der Farbe, welches in den Bildern spricht.
Wiederentdeckung und Ausblick
NB & HK: Die aus vielen Dutzenden von Arbeiten bestehende Petersburger Hängung, die du im Frühjahr 2024 in deinem Atelier präsentiert hast, führte sozusagen alle Aspekte deines Schaffens zusammen: klein- und großformatige Arbeiten, Arbeiten auf Leinwand und Papier, dreidimensionale Objekte, Collagen, sehr viel Abstraktes, aber durchaus auch figürliche Setzungen. Was hat diese Präsentation von ganz unterschiedlichen Werke, die in Dialog miteinander getreten sind, bei dir ausgelöst?
HF: Die Ausstellung auf der großen Wand, nach 50 Jahren hat als Wiederentdeckung große Freude gemacht.
NB & HK: Dein Werk, aber auch deine Persönlichkeit zeichnen sich durch einen ausgeprägten Hang zur Lakonie, zur Freude am Absurden, aber auch durch einen subtilen Humor aus. Für die Betrachterinnen und Betrachter macht das dein Werk oftmals schwer durchdringbar. Ist das Absicht oder unvermeidbarer Nebeneffekt?
HF: Absicht ist es nicht. Dieser Effekt ist eher unmittelbar als unvermeidbar und entsteht durch die bereits erwähnte Methode der Verdichtung, Schichtung sowie Umdichtung.
NB & HK: Mit welchen Erwartungen – vielleicht auch Hoffnungen – im Hinblick auf dein Werk und dessen öffentliche Wahrnehmung blickst du in die Zukunft?
HF: Mit positiven Erwartungen und der Hoffnung, dass es immer zugänglich bleibt.
NB & HK: Lieber Harald, wir danken dir für deine Antworten.
Auf einen Blick:
Atelier Frackmann
Admiralitätstraße 71
Erster Treppenaufgang rechts
20459 Hamburg
Besichtigungstermine nach Vereinbarung
Kontakt: hfrackmann@gmx.de
www.frackmann.de
Galerienrundgang Fleetinsel
Freitag, 5. September 2024, 18-21 Uhr