Mit seinen ab Anfang der 1990er Jahre entstandenen Computerbildern betrat der Maler Albert Oehlen künstlerisches Neuland. Noch bis Anfang März 2025 sind zentrale Arbeiten der Serie in der Hamburger Kunsthalle zu sehen
Digital Art, das ist ein feststehender Begriff für künstlerische Arbeiten, die mit Hilfe von computergestützten Technologien erzeugt werden. Das Spektrum ist äußerst breit gefächert. Es reicht von der simplen Internetkunst im frisch geborenen World Wide Web Mitte der 1990er Jahre über Virtual und Augmented Reality bis hin zum vor einigen Jahren ausgebrochenen Hype um NFT- Kunstwerke, der nun allerdings auch schon wieder abzuebben scheint. Aktuell ist KI-generierte Kunst in aller Munde. Doch angesichts der Tatsache, dass die dafür notwendigen Tools praktisch kostenlos für jedermann verfügbar sind und von Tag zu Tag perfekter werden, lässt sich auch daraus kein Exklusivitätsanspruch mehr konstruieren.
Als der 1954 in Krefeld geborene Maler Albert Oehlen 1990 in Los Angeles ein Atelier bezog, welches er sich im Halbjahresrhythmus mit seinem Malerkollegen Martin Kippenberger teilte, konnte er von alldem noch nichts wissen. Dennoch weckten die Computerzeitschriften, die er an den Zeitungsständen seiner kalifornischen Wahlheimat entdeckte, sein Interesse. „Die Hippies haben damals in billig gemachten Magazinen die Virtual Reality vorausgedacht“, so Oehlen im Rückblick. Was er da sah, fand er zwar nicht besonders schön, aber interessant genug, um sich damit malerisch auseinanderzusetzen. Denn, um das gleich klarzustellen, ein Vertreter der Digital Art ist Albert Oehlen selbst, von dem jetzt unter dem Titel „Computerbilder“ eine 20 großformatige Arbeiten umfassende Ausstellung in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle gezeigt wird, bis heute nicht.
Eigentlich lieferten ihm die grob pixeligen Computervorlagen nur eine passende Aufgabenstellung, um sich daran malerisch abzuarbeiten. Denn seit Beginn seiner Karriere ging es Albert Oehlen nicht bloß darum, attraktive Bilder zu malen, sondern das Medium Malerei, seine Möglichkeiten und Grenzen konsequent und selbstkritisch auf den Prüfstand zu stellen.
Selbst gestellte Hindernisse hatten seine Kreativität schon mehrfach befördert. Male mit billigen Farben! Baue Spiegel ins Bild ein! Oder, wenn etwas Großes gefragt ist, einfach ein paar Dinosaurier! Mit derart herausfordernden Vorgaben hatte Oehlen für sich schon in der Vergangenheit gewisse Restriktionen, Parameter und Aufgabenstellungen definiert, innerhalb derer er malerisch zurechtkommen musste und künstlerisches Neuland erobern konnte. Nun also sollte es die Auseinandersetzung mit Computerbildern beziehungsweise der Ästhetik von Grafikprogrammen und frühen Gaming-Oberflächen sein.
Oehlen erwarb ein Laptop der allerersten Generation, die Texas Instruments gerade erst für die Verwendung in Privathaushalten auf den Markt gebracht hatte. Selbst überhaupt kein Experte in Sachen Computertechnologie, bat er den ebenfalls gerade in Los Angeles anwesenden Kulturwissenschaftler und Poptheoretiker Diedrich Diederichsen um Hilfe bei den ersten Gehversuchen mit dem „Klapprechner“ (Oehlen).
Am Computerbildschirm entstanden erste Zeichnungen. Relativ chaotisch anmutende Ansammlungen von Rastern, Klötzchen, Schachbrettmustern, backsteinartigen Strukturen, wolkenförmigen Verwirbelungen aus unzähligen kleinen Punkten, ineinander verschlungene Liniengeflechte, pixelige Treppchen und ab und zu auch Formen, die wie stilisierte Gehirne aussehen.
Was aus heutiger Sicht nahezu vorsintflutlich-rudimentär anmutet, entsprach damals dem allerneuesten Stand der Technik. Albert Oehlen nahm die auf Papier ausgedruckten Vorlagen, ließ die Motive vergrößern und in Siebdrucktechnik auf große Leinwände übertragen. Danach begann er, sie mit malerischen Eingriffen zu bearbeiten. Mit Acryl- und Ölfarbe, aber auch mit Spraytechniken oder mit den Fingern ergänzte er Linienverläufe, führte disparate Elemente zu neuen Formen zusammen oder verunklärte bestimmte Bildzonen, indem er sie mit Farbnebeln unkenntlich machte.
„Der Zusammenhang mit der vorhergehenden Phase ist durchaus da. In den Farbbildern, die ich davor gemalt habe, wollte ich von der Komposition wegkommen. Ich habe auf das reagiert, was da war, habe Elemente deformiert, gestreckt und immer gewusst, was ich mit bestimmten Bildelementen machen muss, ein Repertoire von Praktiken, die mich davon abhielten, das Bild zu komponieren. Die Computerbilder sind aus diesem Prozess hervorgegangen“, so Oehlen.
Kunsthallendirektor Alexander Klar, der die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler kuratiert hat, zeigt Oehlen auf der ganzen ersten Etage der Galerie der Gegenwart. Er gibt den Werken in den von Tageslicht durchfluteten Räumen den nötigen Platz, um individuell wahrgenommen zu werden. Blicke auf Straßenkreuzungen, Eisenbahnschienen und die Alster beziehen zudem den Hamburger Stadtraum mit ins Ausstellungsgeschehen ein. Getreu dem Motto „Less is more“ sind nur insgesamt 18 Gemälde zu sehen.
Wenig genug, um sie nach und nach abzuschreiten und sich mit jedem Bild etwas eingehender zu beschäftigen. Zwei weitere Arbeiten sollen noch an anderer Stelle in der Hamburger Kunsthalle ihren Platz finden. Im demnächst erscheinenden Catalogue raisonné werden dann alle 92 Computerbilder abgebildet sein. Die abgeschlossene Werkgruppe umfasst zwei Serien: Eine entstand Anfang der 1990er Jahre, die zweite dann zu Beginn der 2000er Jahre. Die Kurator:innen und Besucher:innen der von strengen geometrischen Prinzipien dominierten Architektur des 1997 eröffneten Oswald Mathias Ungers-Baus hadern oft mit der als kompromisslos und schematisch empfundenen Absolutsetzung des quadratischen Prinzips.
Bei dieser Ausstellung aber passt es. Zumal Albert Oehlen selbst immer wieder die Auseinandersetzung mit streng mathematischen Prinzipien sucht und als bereichernd empfindet. So entstehen viele seiner Gemälde auch aus seiner intensiven Beschäftigung mit der Neuen Musik und avantgardistischen Kompositionstechniken heraus. Die Bildtitel der Serie geben davon Zeugnis, dass Oehlen aber durchaus auch ein Fan populärer Musik ist. So bezieht sich der Titel „Annihilator“, des mit Abmessungen von 374 x 709 cm größten Bildes der Ausstellung, auf eine kanadische Trash-Metal-Band. Das Gemälde „Captain Jack“ spielt auf eine deutsche Electronic Band an und „Blind in Texas“ auf einen Song der amerikanischen Heavy-Metal-Band W.A.S.P..
Während die meisten der in Hamburg gezeigten Arbeiten entweder monochrom in Schwarz-Weiß- oder Magenta-Abstufungen ausgeführt sind, bedient sich Oehlen auf einigen Bildern auch einer breiteren Farbpalette. So zum Beispiel auf dem 226 x 300 cm messenden Gemälde „Fleisch“. Es stammt aus dem Jahr 1995 und versammelt eine Vielzahl von Beige-, Rot- und Brauntönen, die an menschliche Haut oder Lippen erinnern. Womit natürlich auch ein schöner Bogen in die umfangreiche Malereisammlung der Hamburger Kunsthalle geschlagen wird, die die unterschiedlichsten Inkarnate aus acht Jahrhunderten versammelt.
Albert Oehlen, der im September seinen 70. Geburtstag feierte, ist bis heute ein genauer Beobachter des technologischen Fortschritts. Dass dieser auch vor dem Kunstbetrieb nicht halt macht, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Doch an seiner Auffassung, dass Computer nur vom Menschen programmierte Werkzeuge und nicht eigenständige Schöpfer sind, hält er fest. „Fertig machen muss es dann die menschliche Hand“, sagt Oehlen mit Entschiedenheit.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Albert Oehlen. Computerbilder
Ort: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart
Zeit: bis 2. März 2025, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr
Katalog: Ein umfangreicher Catalogue raisonné wird bis Ende 2024 erscheinen
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de