Auf der Suche nach der Sünde in Vergangenheit und Gegenwart: die überaus bildhafte Ausstellung „Wahrhaft Böse“ im Bonnefanten Museum in Maastricht
Hochmut, Faulheit, Völlerei, Neid, Zorn, Wollust, Geiz. Das sind die sogenannten sieben Todsünden. Hand aufs Herz – wer ist heute noch dazu in der Lage, diese korrekt zu benennen und komplett aufzuzählen? In früheren Zeiten – besonders im 16. Jahrhundert – war das ganz anders. Speziell in der Kunst der Niederlande und angrenzender Regionen war die Visualisierung des sogenannten „Bösen“ in Form der sieben Todsünden ein überaus beliebtes Sujet, das auf Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken, Glasmalereien, in skulpturaler Form, aber auch in Büchern umfassend dargestellt wurde. Die damaligen Zeitgenossen waren mit den Bildformeln der sieben Todsünden derart vertraut, dass kleinste Anspielungen genügten, um die ganze Bandbreite der Thematik aufzurufen.
Wie gehen wir heute mit diesen Begrifflichkeiten um? Kann in der weitgehend säkularisierten westlichen Gesellschaft überhaupt noch mit dem primär religiös konnotierten „Tatbestand“ der Sünde argumentiert werden?
Vielleicht kann ja ein Blick in die Vergangenheit helfen, sich mit diesen auch heute noch hochaktuellen Fragen zu beschäftigen. Das Bonnefantenmuseum im niederländischen Maastricht wagt in der Ausstellung „Wahrhaft Böse: Die sieben Todsünden im Bild“ den Versuch einer Annäherung. Gezeigt werden mehr als 80 Kunstwerke der unterschiedlichsten Medien, überwiegend jedoch Malerei und Druckgrafik aus niederländischen und internationalen Sammlungen. Darunter weltberühmte Werke von Jan Steen oder Pieter Dell, aber auch Beispiele massenkompatibler Gebrauchskunst.
Dorien Tamis, die die überaus anschauliche Schau als Gastkuratorin für das Bonnefantenmuseum entwickelt hat, stellt ins Zentrum ihrer Auswahl eine Serie von Pieter Bruegel dem Älteren (1525/30–1569), die 1558 in Antwerpen in Form von Druckgrafiken publiziert wurde und rasch große Verbreitung gefunden hat. Die Blätter mit den sieben Todsünden ergänzte er mit einer abschließenden Darstellung des Jüngsten Gerichts, so dass insgesamt acht Motive existieren. Aufgrund ihrer Lichtempfindlichkeit werden sie jetzt in einem stark abgedunkelten Saal präsentiert.
„Es waren diese Drucke, die Bruegels Ruf als Künstler weit und breit begründeten – und das mit enormer Geschwindigkeit“, betont Dorien Tamis und fährt fort: „Während Bruegels Gemälde – auf deren Produktion er sich erst ab 1562 fokussierte – lediglich von einem kleinen Kreis gesehen werden konnten, erfuhren seine Grafiken eine weitaus größere Verbreitung. Von einer Kupferplatte konnten ungefähr 1.300 Blätter gedruckt werden, erst danach war sie dann abgenutzt.“ So erfuhren die Blätter relativ schnell internationale Aufmerksamkeit. Namhafte Autoren der damaligen Zeit wie Giorgio Vasari in seinem berühmten Werk „Vite“ und einige Zeit später auch Karl van Manders in seinem „Schilderboek“ erwähnten sie.
Humorvolle Wimmelbilder
Was macht nun Bruegels Blätter so besonders? Im 16. Jahrhundert hatte sich die Darstellung der Todsünden in einer leicht dechiffrierbaren, quasi emblematischen Form durchgesetzt: entweder in Form einer Alltagsszene, einer Tierdarstellung oder der Darstellung einer (meist weiblichen) Person mit entsprechenden Attributen. Statt jedoch wie die meisten seiner Zeitgenossen auf ein Entweder-oder zu setzen, bevorzugte Bruegel das Sowohl-als-auch. Seine Darstellungen zeichnen sich durch eine Fülle parallel stattfindender Handlungen und Ereignisse aus, die den Blick unweigerlich zum Wandern verleitet.
So zum Beispiel auf dem Blatt „Desidia“ (Faulheit/Trägheit). Während sich durch den Bildvordergrund eine Schnecke schiebt, ruht gleich dahinter eine Frau auf einem liegenden Esel aus. Ein im Bett liegender Greis lässt sich von einer Katze mit Brei füttern, und im Bildhintergrund gehen Menschen, Reptilien, Vögel und hybride Wesen, die die Merkmale der verschiedensten Gattungen in sich vereinen, dem Müßiggang und dem Lotterleben nach.
Nicht minder explizit dann die Darstellungen auf dem Blatt „Luxuria“ (Wollust). Das Bildzentrum bildet hier ein Hybridwesen mit Fischkopf, das einer nackten jungen Frau an die Brust fasst und ihr die Zunge in den Mund steckt, während im Hintergrund diverse andere Paarbildungen – unter anderem auch zwischen einem Mönch und einer Nonne – vonstatten gehen. In Bruegels Darstellungen finden sich etliche der beängstigenden Dämonen, Monster und Fabelwesen wieder, die bereits aus den Gemälden von Hieronymus Bosch bekannt sind. Allerdings gelingt es Bruegel immer wieder – gerade durch die extreme Überhöhung – humorvolle Aspekte in seine Szenerien einzubauen.
Doch die Maastrichter Schau hält auch viele weitere beachtenswerte Werke bereit. So etwa aus der Schule von Maerten De Vos das mit Abmessungen von 46,6 x 176 cm ungewöhnlich panoramatisch wirkende Bild „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ (1580-1599). Der in sich ruhende Eremit wird auf dieser Leihgabe aus dem Antwerpener Museum Mayer van den Bergh nahezu allen denkbaren Allegorien der Sünde ausgesetzt. Darunter kopulierende Hunde, eine verführerisch hinter einem Baum hervorlugende Frau, ein geflügelter Dämon mit einem Sack voller Münzen und anderes mehr.
Auf einem anonymen, überlebensgroßen Stich aus der Zeit zwischen 1575 und 1618 wiederum ist ein allegorisch aufgeladenes, fünfkopfiges Monster zu sehen. Aus einem athletischen Männerkörper entspringen kopfförmige Verkörperungen der verschiedensten Sünden, während die am Boden kauernde Unschuld mit Füßen getreten wird. Von Lucas Cranach II (1515-1586) wird das 1549 entstandene Bild „Christus und die Ehebrecherin“ gezeigt. Es gehört zur Sammlung des Bonnefanten Museums und zeigt, versehen mit dem Spruch „Wer unter Euch on Sünde ist der werffe den ersten Stein“, eine aufgebrachte Menge aus Männern und Knaben, die offenbar entschlossen ist, eine angebliche Ehebrecherin zu steinigen. Allein Jesus scheint sie noch davon abhalten zu können.
Besonders stolz ist Dorien Tamis auch auf eine Leihgabe aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Die metikulös ausgeführte, allerdings nicht mehr ganz komplette Figurengruppe „Sechs der sieben Todsünden (ohne die Faulheit)“ von Pieter Dell (1490-1552) ist in Birnenholz ausgeführt und teilweise vergoldet. Weiterhin ausgestellt sind diverse Triptychen und Altarbilder, so etwa von dem Münsteraner Meister Hermann tom Ring oder aus der Schule von Hieronymus Bosch. Außerdem auch wesentlich profanere Objekte wie Lehrtafeln aus einem Jesuitenkloster in Frankreich oder eine 1683 entstandene Glasvase mit der Gravur „Hochmut kommt vor dem Fall“.
„In dieser Ausstellung haben wir ausdrücklich darauf geachtet, neben den Meisterwerken auch Kunst von geringerer Qualität, die für den Massenkonsum hergestellt wurde, zu zeigen“, so Co-Kurator Jip van Reijen.
Was hat das Ganze nun mit der heutigen Zeit zu tun? In einer Audiotour mit sieben verschiedenen Sprecher:innen, darunter Künstler:innen, Autor:innen und Wissenschaftler:innen, lässt das Bonnefanten Museum Zeitgenoss:innen zu Wort kommen, die Parallelen zwischen den religiösen und politischen Konflikten, Epidemien und klimatischen Herausforderungen des 16. Jahrhunderts und der heutigen Zeit ziehen. Ein sehr persönliches Statement zum Thema Neid gibt die belgische Schriftstellerin Delphine Lecompte ab: „Worunter ich am meisten leide, sind Neid und Missgunst. Nicht im Sinne von Eifersucht in Liebesbeziehungen, sondern auf der professionellen Ebene. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich mit literarischen „Rivalen“ vergleiche und messe. Ja, und manchmal sticht mir dann der Erfolg anderer ins Auge. Ich weiß, es ist kleinlich, aber das geschieht natürlich aus Unsicherheit“
Gastkuratorin Dorien Tamis ist übrigens sehr zuversichtlich, dass die von ihr über mehrere Jahre wissenschaftlich erarbeitete Ausstellung für die unterschiedlichsten Rezipient:innengruppen – vom akademischen Publikum über regelmäßige Museumsbesucher:innen bis hin zu Schulklassen und Gelegenheitsbesucher:innen – sowohl mit dem Intellekt, als auch mit den Sinnen positiv aufgenommen wird. Denn, so drückt sie es mit einer gewissen Drastik aus: „Der Toilettenhumor in „Die sieben Todsünden“ bedarf kaum einer Erklärung. Über nackte Gesäßbacken, Kot und Erbrochenes hat man immer schon gelacht.“
Auf einen Blick:
Ausstellung: Wahrhaft böse: Die sieben Todsünden im Bild
Ort: Bonnefanten Museum Maastricht
Zeit: bis 12. Januar 2025, Di-So 11-17 Uhr
Katalog: Waanders Publishers, Zwolle, Niederländisch und Englisch, 160 S., 29,95 Euro
Internet: www.bonnefanten.nl