Die exaltierte Textilkunst des belgischen Künstlers Klaas Rommelaere entsteht im Kollektiv mit Angehörigen, Nachbarn und Freunden
Wer die Werke von Klaas Rommelaere zum ersten Mal sieht, dürfte sie so schnell nicht wieder vergessen, da sie sich aufgrund ihrer sehr speziellen Mischung aus Extravaganz und Verschrobenheit nahezu unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennen. Mit Fransen versehene Wandbehänge in unterschiedlichen Formaten, auf denen chaotisch angefüllte Räume, obskure Figurengruppen und fratzenartige Gesichter zu sehen sind. In bunte Stickereien gehüllte Objekte, wie etwa eine Art Bumerang oder an Halloweenkürbisse erinnernde Gebilde sowie übermenschengroße Puppen, die zu einer Art Parade aufgestellt sind.
Der künstlerische Kosmos des Belgiers Klaas Rommelaere ist grell, bunt und mitunter trashig. In einer Art textilen Collagetechnik verdichtet der in Antwerpen lebende Künstler Motive aus den unterschiedlichsten Referenzsystemen und aus der eigenen Fantasie zu visuell überbordenden Tableaus, die die Ästhetik von Folk Art, Comics, Manga, Schulbuchillustrationen, Totempfählen, Warenemblemen, Logos, Werbeschildern, Gebrauchsanweisungen, Musterbüchern und vielen weiteren Inspirationsquellen in sich vereinen. Alltägliches trifft dabei auf Belustigendes, Naives auf Martialisches, Lebensbejahendes auf Makabres. Es sind Geister und Gespenster zu sehen, Totenköpfe und Gerippe, Menschen, Tiere und die kleinen und großen Sensationen des Alltags oder aus den Nachrichten. Manche seiner patchworkartigen Textilcollagen wirken dabei wie flüchtig zusammen getackerte Storyboards noch zu realisierender Filme. Als „Handcraft Pop“ hat das einmal ein Kritiker bezeichnet.
Klaas Rommelaere wurde 1986 in Roeselare, einer 65.000 Einwohner großen Stadt in der belgischen Provinz Westflandern geboren. Er hat zunächst ein Modestudium an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Gent abgeschlossen. Im Anschluss daran war er als Praktikant unter anderem bei Raf Simons tätig, einem der bis heute einflussreichsten belgischen Modedesigner. Ein weiteres Praktikum absolvierte er bei dem kunstaffinen dänischen Modevisionär Henrik Vibskov.
Doch statt selbst Modedesigner zu werden, hat Klaas Rommelaere sehr bald nach dem Studium andere Aspekte des Textilen für sich entdeckt und damit angefangen, Arbeiten in Sticktechnik zu produzieren. Er erinnert sich: „Schon in meinem letzten Jahr an der Königlichen Akademie der Schönen Künste (KASK) wollte ich alles mit der Hand machen: Sticken, Häkeln, Stricken, Knüpfen … was auch immer. Schon damals hatte ich eine starke Vorliebe für Handarbeiten. Als Student hat man wenig Geld, und Sticken ist eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, die eigenen Motive und Zeichnungen auf Stoff zu übertragen. Vier Jahre lang habe ich mich auf verschiedene manuelle Techniken spezialisiert. Anschließend absolvierte ich ein Praktikum beim dänischen Designer Henrik Vibskov, bei dem ich sehen konnte, wie sich Kunst und Mode erfolgreich gegenseitig beeinflussen. Während meines nächsten Praktikums bei Raf Simons habe ich gelernt, die richtigen mentalen Zusammenhänge herzustellen, zum Beispiel, wie man seine Inspirationen in Mode umsetzen kann. Damals und danach wurde mir klar, dass ich Dinge schaffen wollte, die viel freier als Mode sind.“
Entstanden sind zunächst farbintensive Textilcollagen, die über Anklänge an ethnische Kunst verfügten und insofern eine exotische Aura verströmten. Angeregt durch einen Japanaufenthalt, bei dem er das Werk des Anime-Regisseurs Hayao Miyazaki kennenlernte, änderte er jedoch seine Herangehensweise. Miyazaki vertritt die Auffassung, man solle sich, gerade als Künstler, der eigenen Herkunft bewusst sein und diese auch konsequent im Werk umsetzen. Von ihm stammt das Zitat: „Ein Mann ohne Geschichte oder ein Volk, das seine Vergangenheit vergessen hat, wird keine andere Wahl haben, als zu verschwinden …“.
Eine Maxime, die sich mittlerweile auch Rommelaere zu eigen gemacht hat: „Als Menschen verkörpern wir unsere eigene Geschichte. Unsere Vergangenheit bestimmt unsere gegenwärtige Existenz“, sagt er.
Was liegt da näher, als sich mit der eigenen Familie zu beschäftigen? Doch Rommelaere geht noch einen Schritt weiter. Statt das Thema Familie bloß bildnerisch umzusetzen, macht er seine Familienmitglieder, aber auch Nachbarn und Freunde, mithin sein näheres Umfeld, zu den Ko-Produzent:innen seiner Werke. Er bezog sowohl seine Großeltern, als auch seine Eltern in die Produktion seiner Werke mit ein.
„Meine Kunst kann nur durch gemeinschaftliches Arbeiten entstehen. Ich bin der, der ich bin. Meine Arbeiten entstehen aber als Resultat kollektiven Zusammenwirkens“, sagt er. Den Anfang markierte die enge Zusammenarbeit mit seiner Großmutter und seinen Eltern. Doch mit dem zunehmenden Erfolg und dem damit verbundenen Arbeitsvolumen wuchs auch nach und nach das Team. Seit mehreren Jahren arbeitet er nun mit rund zwanzig verschiedenen, älteren Damen zusammen, die für ihn sticken und nähen. Diese sind jedoch verteilt auf verschiedene Städte in Flandern und arbeiten alle außerhalb seines Studios. Rommelaere lässt ihnen bei der Farbauswahl relativ freie Hand. „Das macht es auch für mich aufregend“, sagt er, „weil es immer wieder für Überraschungen sorgt“.
Lange Zeit bezog Rommelaere, der ein begeisterter Cineast und Konsument schräger Serien ist, seine Inspiration aus filmischen Quellen. So gab es vor rund zehn Jahren eine Periode, in der er Motive aus der im amerikanischen Süden spielenden Serie „True Detective“ als Referenzmaterial verwendete. „Ich versuche, immer etwas Collageartiges zu produzieren. Ich drücke sozusagen auf den Knopf „Zufallswiedergabe“ und mixe das Material aus den unterschiedlichen Quellen“, sagt er. Und fügt hinzu, er brauche diese aber eigentlich gar nicht mehr, da mittlerweile alles aus ihm selbst heraussprudele.
Autobiografische Bezüge spielen in seinem Werk stets eine große Rolle. Eine seiner beeindruckendsten Arbeiten der letzten Jahre trägt den Titel „Dark Uncles“. Dabei handelt es sich um eine überlebensgroße, figurative Darstellung seiner engsten Familienmitglieder (Eltern, Schwester, Lebensgefährtin, Großeltern und zwei Familienhunde). Flankiert wird die Figurengruppe zudem von 18 Wandstücken mit Episoden aus der Familiengeschichte. Jede Person hat Rommelaere zudem mit kleinen Attributen versehen, die auf ihre frühere oder aktuelle Tätigkeit verweisen. So zum Beispiel diverse Musikinstrumente, welche die Figur seiner Schwester als Bookerin im Konzertwesen kennzeichnen.
Eines der bevorzugten Medien von Rommelaere sind aber auch Wandteppiche in den unterschiedlichsten Größen. Der Künstler dazu: „Die Arbeit an Wandteppichen ist meditativ, und jeder, der sich darauf einlässt, wird süchtig.
Handarbeit also mit Nadel, Faden, Wolle und Garn und viel Geduld. Rommelaere knüpft damit an eine jahrhundertealte Tradition an. Auf fast 70 Metern Länge und 50 Zentimetern Höhe zeigt der „Wandteppich von Bayeux“ die Eroberung von England durch Wilhelm den Eroberer im Jahre 1066. Dieses Werk gilt als so etwas wie das Paradebeispiel, wenn es um textile Kunst geht. Doch auch belgische Städtenamen wie Oudenaarde oder Enghien mit ihren im 15. Jahrhundert gegründeten Manufakturen stehen bis heute für die in Rommelaeres Heimatland stets hochgehaltene Tradition der Wandteppiche, Gobelins und Tapisserien.
Klaas Rommelaere steht mit seiner Vorliebe für diese jahrhundertealte Technik in der zeitgenössischen Kunst längst nicht (mehr) alleine da. Besuchern der diesjährigen Biennale Venedig wird, gerade im Arsenale, aufgefallen sein, dass das Medium zur Zeit wieder en vogue ist. So war dort etwa der Wandteppich „Sea Drift“ der marokkanischen Künstlerin Bouchra Khalili zu sehen oder ein ebenfalls in dieser Technik entstandenes Monumentalwerk der Amerikanerin Liz Collins.
Das Magazin „Kunstforum“ widmete dem Thema unter dem Titel „Textile Bildkonzepte. Das Revival des Wandteppichs“ in diesem Jahr sogar eine ganze Ausgabe. „Künstlerisches Arbeiten mit textilen Materialien ist „in“ – eine beeindruckende Menge an thematischen Ausstellungen, aber auch die starke Präsenz von Textilkunst auf der Biennale in Venedig machen das deutlich. Erstaunlich viele Künstler*innen entdecken stoffliche Materialitäten für sich, revitalisieren alte Techniken oder entwickeln bewährte kunsthandwerkliche Herangehensweisen des Stickens, Webens, Knüpfens und Nähens maßgeblich weiter“, hieß es darin.
Für Klaas Rommelaere hat der Weg hinein ins Feld der bildenden Kunst über den Umweg des Modestudiums und die beiden bereits erwähnten Praktika geführt. Für ihn war das offenbar genau der richtige Ansatz. Denn die damals erlernten Fähigkeiten kommen ihm auch heute noch zugute: „Meine Ausstellungen erarbeite ich immer noch so, wie ich meine Kollektionen während dieser Praktika erarbeitet habe. Zunächst gibt es da immer ein Gefühl, das ich ausdrücken möchte. Im zweiten Schritt recherchiere ich intuitiv, schaue mir Filme an und lasse Musik und Bilder auf mich einwirken, die die Botschaft verstärken könnten….“
Und: „Durch mein Praktikum bei Raf Simons habe ich gelernt, dass man hart arbeiten muss. Das ist nicht einfach, aber befriedigend, wann man dann das Ergebnis sieht. Bei Henrik Vibskov habe ich gelernt, dass es bei der Anwendung handwerklicher Techniken auf die kreative Freiheit ankommt.“
Klaas Rommelaeres Arbeiten werden regelmäßig in der Galerie Zink im bayerischen Seubersdorf und auf internationalen Kunstmessen ausgestellt.
In seiner aktuellen, nunmehr zweiten Einzelausstellung, die noch bis zum 22. Dezember 2024 in der Galerie Zink zu sehen ist, nimmt Rommelaere das Thema Familienbande wieder auf. Allein schon der Titel „Blood“ bringt das unmissverständlich zum Ausdruck.
Rommelaere ist davon überzeugt, dass Wissen, Erfahrung und Familienzusammenhalt von Generation zu Generation weitergegeben werden. Als symbolischen Ort dafür betrachtet er den Küchentisch, an welchem sich Familienmitglieder treffen und austauschen.
Wände und Boden des Ausstellungsraums in der Galerie Zink sind nahezu schwarz gehalten. Eine kleine Trennwand mit Durchgang sondert den hinteren vom vorderen Ausstellungsraum ab. Sie ist mit einer beigefarbenen Tapete versehen, auf der sich in regelmäßigem Rapport das aus dem Kartenspiel bekannte Symbol des Kreuzes bzw. des Kreuzbuben (französisch: trèfle) wiederholt.
Auf den Wänden hängen Bilder in Sticktechnik, die Szenen mit Menschen und Interieurs zeigen. Es handelt sich um Zusammenkünfte beim Essen und Trinken, entweder in der Intimität der Küche oder des Speisezimmers, aber auch – sommerlich angehaucht – in der freien Natur.
Gleichzeitig wird der Raum auch skulptural besetzt. Zu sehen sind lebensgroße, aus Metall geformte, mit Rattangeflecht, farbintensiven Stickereien oder Glasperlen umhüllte, an Menschenkörper erinnernde Figuren. In ihrer Schlankheit und Grazilität lassen sie durchaus auch Anklänge an Alberto Giacomettis extrem reduzierte Figurenauffassung erkennen.
Kleinere Figurenvarianten wiederum werden in Seubersdorf in einem Regalsystem präsentiert. Mit dieser stark installativen Ausstellung tritt Klaas Rommelaere den Beweis an, dass seine künstlerische Praxis, was Medien, Formate, Materialien, Sujets und die Art der Präsentation angeht, immer in Bewegung bleibt und sich ständig selbst erneuert.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Klaas Rommelaere: Blood
Ort: Galerie Zink, Waldkirchen 2, 92358 Seubersdorf i.d. Oberpfalz
Zeit: bis 22. Dezember 2024, Sonntags 14.30-18 Uhr und nach Vereinbarung
Kontakt: info@galeriezink.de, Tel:+49 (0)84609010925
Internet: www.galeriezink.de