Die fünfte Ausgabe der Art Antwerp punktet einmal mehr mit Qualität und Übersichtlichkeit
Katrien De Blauwer hat an diesem Morgen alle Hände voll zu tun. Am Stand der Gallery Fifty One aus Antwerpen stehen die Sammler:innen Schlange, um ihr gerade neu erschienenes Künstlerinnenbuch mit dem Titel „blue bruises“ signieren zu lassen. Die 1969 geborene belgische Künstlerin zeigt auf der diesjährigen Art Antwerp in einer Solo-Präsentation eine ganze Wand voll mit überwiegend kleinformatigen Fotomontagen. Inspiriert von den neorealistischen Filmen im Frühwerk Michelangelo Antonionis, begibt sich die Künstlerin in alten Magazinen auf die Suche nach Bildern von meist isoliert dastehenden, anonymen Frauen in modernistischen Umgebungen. Diese schneidet sie radikal an, so dass die Köpfe teilweise vollständig fehlen oder nur partiell zu sehen sind. In Kombination mit alten, manchmal vergilbten oder fleckigen Papieren entstehen Fotomontagen, die ebenso rätselhaft wie schön sind.
Es geht der „Fotografin ohne Kamera“ um Themen wie Einsamkeit, Freiheit, Hoffnung, Melancholie und Isolation in urbanen Umgebungen. Wer eine Arbeit von Katrien De Blauwer sein Eigen nennen möchte, muss zwischen 1.515 Euro und 2.820 Euro investieren. Dafür hat man dann aber auch wirklich ein Unikat an der Wand.

Messedirektorin Nele Verhaeren (links) im Gespräch mit Katrien de Blauwer, Foto: Heiko Klaas
Katrien De Blauwer ist eine von 260 Künstler:innen, deren Arbeiten auf der diesjährigen Art Antwerp präsentiert werden. Es ist die 5. Ausgabe der während der Covid-Pandemie gegründeten kleineren Schwester der Art Brussels. Nach den ersten Jahren der vorsichtigen Erprobung hat sich die Art Antwerp – von Messedirektorin Nele Verhaeren liebevoll als „Art Brussels im Taschenformat“ bezeichnet – im internationalen Messekalender etabliert. Verhaeren leitet in Personalunion auch die Art Brussels – sie weiß also, wovon sie spricht.
In diesem Jahr sind 79 Galerien aus 11 Ländern kurz vor Weihnachten zum letzten Messetermin des Jahres in die kunstaffine Hafenstadt an der Schelde gereist. Die Art Antwerp versteht sich als eine regionale Messe. Die teilnehmenden Galerien kommen aus Belgien und den Nachbarländern. 25% der Aussteller sind in diesem Jahr allein aus den Niederlanden angereist, 16% aus Frankreich. 18% der Teilnehmer repräsentieren die vibrierende Galerienszene in Antwerpen.

Auf der Art Antwerp, Foto: Heiko Klaas
Nele Verhaeren betont den eklektischen Charakter der überwiegend zeitgenössischen Kunstmesse: „Es gibt keine Sektionen, alles ist gemischt. Man kann die gesamte Messe in zwei bis drei Stunden erfassen.“ Die Art Antwerp gliedert sich übersichtlich in drei breite, parallel angeordnete Gänge in der geräumigen Halle 4 des Messegeländes Expo Antwerp. „Es gibt bei uns keine Hierarchien“, sagt Nele Verhaeren. „Eine ganz neue Galerie mit einem jungen Programm kann neben einem seit Jahrzehnten etablierten Kollegen ihren Stand haben.“ Am Ende jedes einzelnen Ganges können sich die kulinarisch anspruchsvollen Besucher:innen der Art Antwerp in einer großen Cateringzone erfrischen und stärken sowie mit „Friends and Family“ ihre Eindrücke austauschen, um sich dann ganz relaxt weiter auf Entdeckungsreise zu begeben.
Ein lohnendes Ziel stellt zum Beispiel der Stand der Galerie Dürst Britt & Mayhew aus Den Haag dar. Auch diese für spannende Newcomer:innen-Positionen bekannte Galerie hat sich in diesem Jahr erneut für eine Solo-Präsentation entschieden. Am Stand präsentiert werden drei Serien der 1989 geborenen neuseeländischen Künstlerin Maja Klaassens. Auf großes Interesse stießen Klaassens’ Arbeiten aus der Serie „Washing“. Die unterschiedlichsten eigenen und gefundenen Textilien bringt die Künstlerin mit großer Präzision auf Träger aus Pinienholz auf und ordnet diese zu abwechslungsreichen, horizontal geschichteten Streifenbildern an, die nicht von Ungefähr an Wäschestapel im Kleiderschrank erinnern. Die wie ein Bild an der Wand hängenden Objektkästen aus Eichenholz sind für 3.200 Euro im Angebot. Aspekte von eher chaotischer Häuslichkeit beleuchtet die Künstlerin dann in ihrer Werkgruppe „Nightstand“. Hier konzentriert sie sich auf private Objekte, wie sie typischerweise auf Nachtschränkchen zu finden sind. Klaassens formt die intimen Ensembles, die sie in den Wohnungen von Freund:innen entdeckt, aus Kunstharz, Holz und Acrylfarbe nach. Beide Serien persiflieren auf humorvolle Weise häusliche Routinen und Spleens.
Zu den etablierteren Händlern auf der Art Antwerp zählt auch die Pariser Galerie Polaris. Sie zeigt unter anderem eine ganze Reihe figurativer Gemälde des 1959 in den Niederlanden geborenen Marcos Carrasquer, dessen Eltern vor dem Franco-Regime geflüchtet waren. Der heute in Paris lebende Maler entwirft stark farbige und komplexe Tableaus, auf welchen er mit gnadenloser Detailgenauigkeit und grenzenlosem Sarkasmus gesellschaftliche Fehlentwicklungen und Missstände adressiert. So etwa auf dem atelierfrischen Gemälde „Ned Ludd Smash Room“ (2025). Während im Vordergrund drei Männer in Overalls versuchen, einen humanoiden Roboter unschädlich zu machen, delektiert sich eine Frau im Bikini an einem blauen Cocktail, und im Hintergrund lassen sich feiste, nackte Männer Geldmünzen und flüssigen Mozzarella in die geöffneten Münder laufen. Vorstellungen vom Schlaraffenland treffen auf eine außer Kontrolle geratene KI. Die Bildkomposition aus mehreren parallelen Handlungen lässt an Vorbilder wie Hieronymous Bosch oder Pieter Bruegel d. Ä. erinnern. Das Bild wird für 20.000 Euro angeboten.
Außerdem am Stand: eine frühe, achtteilige Fotoserie der französisch-marokkanischen Künstlerin Yto Barrada (Jahrgang 1971) mit dem Titel „Petites formes élémentaires (figures 1-8)“ aus dem Jahr 1998. Yto Barrada, die auf der kommenden Biennale Venedig den französischen Pavillon bespielen wird, porträtiert in dieser Serie die beiden Köchinnen ihrer Tante in Tanger. Zwei Frauen, von denen sie elementare Formen gelernt hat, sowohl, was die Aufteilung der Küchenwelt in geometrische Muster, als auch, was den respektvollen Umgang unter Frauen und Mädchen betrifft: die Weitergabe von Wissen, Umgangsformen und Geschichten. Die Serie wurde nie zuvor ausgestellt. Auf der Art Antwerp ist diese Arbeit von musealer Qualität jetzt für 90.000 Euro im Angebot (Auflage: 3).

Auf der Art Antwerp, Foto: Heiko Klaas
Die Art Antwerp ruft die Galerien nicht auf, sich zu bewerben. Das Teilnehmerfeld wird von einem Invitation Committee, bestehend aus den drei Galerien Lelong (Paris), Plus-One (Antwerpen) und Copperfield (London) bestimmt. Bei ihrer Auswahl verlassen sie sich auf das „Friends and Family-Network“ der bereits teilnehmenden Galerien. Erstmals seit Gründung der Art Antwerp wird das Committee ab dem nächsten Jahr komplett neu zusammengesetzt werden, um, wie es Nele Verhaeren formuliert, „das bestehende Netzwerk einmal ganz neu aufzufrischen.“
Die Galerie Copperfield bildet in diesem Jahr einen Gemeinschaftsstand mit drei weiteren Galerien. Eine davon ist die Amsterdamer Galerie Ellen de Bruijne Projects. Repräsentiert von Copperfield, zeigt die 1993 geborene niederländisch-afghanische Künstlerin Narges Mohammadi ihre Serie „Invisible Hands“. Sie hat die Konturen von Küchen- und Büroeinrichtungen aus schwarzen Eisenstäben nachgeformt. Aus hellem Naturkautschuk, wie er auch für Radiergummis verwendet wird, hat sie gängige Haushaltsobjekte modelliert. Was ist hier stabil, was brüchig und was ephemer? Diese die Ambivalenz von Erinnerungen reflektierende Serie geht auf ihre Erfahrung als Flüchtlingskind zurück, dessen Mutter in den Niederlanden zunächst in den Nacht- und Morgenstunden als quasi unsichtbare Putzfrau arbeiten musste, um ihre Familie ernähren zu können.
Ellen de Bruijne hat Arbeiten der in Rotterdam lebenden Konzeptkünstlerin Lara Almarcegui mit nach Antwerpen gebracht. Die 1972 geborene Spanierin beschäftigt sich mit Transformations-prozessen im urbanen Raum. Die Fotografie „Rubble Mountain St. Truiden“ von 2005 zeigt ein temporäres Projekt der Künstlerin. Nach der Zerstörung eines älteren Hauses bat sie die Abbruchfirma, sämtliche Trümmer des Gebäudes zu einer dreieckigen Form aufzuschichten, die dann für drei Wochen quasi als letztes Lebenszeichen der gebauten Struktur im Stadtraum verblieb.
Ebenfalls aus den Niederlanden angereist ist die Galerie Mieke van Schaijk aus ’s-Hertogenbosch. Sie zeigt minimalistisch-reduzierte Landschaftsgemälde des in Brüssel lebenden Niederländers Gijs Milius, Jahrgang 1985. Auch der Stand fällt durch seine grün-blaue, mit den Gemälden nahezu verschmelzende Farbgestaltung ins Auge. Die präzise komponierten, humorvollen Gemälde von Gijs Milius sind für 7.500 Euro im Angebot.

Stand der Galerie Mieke Van Schaijk mit Arbeiten von Gijs Milius, Foto: Heiko Klaas
Warum fiel die Wahl auf Antwerpen als Standort für eine zweite Kunstmesse in Belgien neben der Art Brussels? Dazu erläutert Nele Verhaeren: „Es gibt dafür auch praktische Gründe. Wir hätten auch Gent als Austragungsort wählen können, aber Antwerpen war für uns vorrangig, da das Messegelände derselben Organisation gehört wie die Art Brussels.“
Doch die Stadt an der Schelde ist auch aus anderen Gründen als Messestadt attraktiv. „Antwerpen ist für uns sehr wichtig, da es hier viele Galerien gibt, ebenso auch viele Ateliers. Die Stadt verfügt über ein ganzes Netzwerk an wichtigen Institutionen und Museen. International bekannt ist die Stadt auch für ihre Modedesigner. Außerdem gilt Antwerpen als kulinarischer Hotspot. All das macht die Stadt auch für ausländische Besucher:innen interessant.“
Nele Verhaeren hebt auch noch eine andere Eigenschaft der Stadt hervor: „Das Publikum hier in Antwerpen ist sehr Lifestyle-orientiert, und der Besuch der Messe gehört für viele Leute einfach dazu. Galerien zu besuchen, ist hier Teil der Lebensführung. Das ist in der DNA vieler Belgier fest verwurzelt.“ Und tatsächlich konnte man am Vernissagetag beobachten, wie nach Büroschluss ein überwiegend junges und großstädtisches Publikum die Messe stürmte.

Plakat Art Antwerp, Foto: Heiko Klaas
Doch es gibt bei aller Begeisterung für die Messe auch einen großen Wermutstropfen. Das 1987 gegründete Museum für Gegenwartskunst MUKHA steht zur Zeit auf der Kippe. Nach dem Willen der Politiker soll es seine Sammlung an das S.M.A.K. in Gent abtreten und sich als reiner Produktionsort für Kunst völlig neu aufstellen. „Wir wollen als Messe unsere Unterstützung gegenüber dem MHKA (Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen) zum Ausdruck bringen“, versichert Nele Verhaeren. „Es ist wichtig, dass jede Stadt ihr eigenes Museum hat.“ Das gehöre einfach zum Ökosystem des Kunstbetriebs dazu. Auf der Art Antwerp wurde eine Paneldiskussion zu dem Thema veranstaltet.
Bisher hatte die Messe jedes Jahr einen Preis für die beste Standpräsentation verliehen. Seit diesen Jahr jedoch gilt der neu geschaffene und mit 10.000 Euro dotierte „Art Antwerp Acquisition Prize“ als wichtigste Auszeichnung. Die Jury entschied sich für die Arbeit „Sweaty Cuddle“ der französischen Künstlerin Laure Prouvost. Damit verbunden ist der Ankauf der Arbeit für das Königliche Museum der Schönen Künste Antwerpen (KMSKA).
Die Art Antwerp funktioniert nach dem Motto „Art is open for everyone“. Sozusagen als Markenbotschafter hat die Messe in diesem Jahr eine bekannte Schauspielerin, einen Sternekoch und einen namhaften Innenarchitekten gewinnen können. Nele Verhaeren: „Wir wollen damit zeigen, dass Kunst nicht nur etwas für Kunstkritiker oder Sammler ist. Sie sollte für alle zugänglich sein. Unserem Publikum wollen wir damit signalisieren, dass es vollkommen in Ordnung ist, sich in Dinge zu verlieben, ohne zuvor die Bewertung eines Kunstkritikers einzuholen.“

Joëlle Dubois: Between Mexico & Belgium, 2025, Foto: Heiko Klaas
Auf einen Blick:
Messe: Art Antwerp
Ort: Antwerp Expo, Jan Van Rijkswijcklaan 191, 2020 Antwerp
Zeit: bis 14. Dezember, 11-19 Uhr
www.art-antwerp.com

