Von der christlichen Moral zur unbefangenen Schaulust der Neuzeit: Die Hamburger Schau „Verkehrte Welt. Das Jahrhundert des Hieronymus Bosch“ im Bucerius Kunst Forum zeigt, wie Nachahmer, Nachfolger und Kopisten das visuelle Erbe des Niederländers fortführten, variierten und ausschlachteten.
Eine Hieronymus Bosch Ausstellung ohne ein einziges Original des Künstlers? Wir schreiben das 500. Todesjahr des Malers. Im Noordbrabants Museum in seiner niederländischen Heimatstadt ’s-Hertogenbosch ist die große Bosch-Retrospektive „Jheronimus Bosch – Visionen eines Genies“ gerade mit einem Rekord von 421.700 Besuchern zu Ende gegangen. Und im Madrider Prado wurde erst vor wenigen Tagen die nächste Bosch-Schau der Superlative eröffnet. Jetzt also Hamburg. Kann das gut gehen? Und vor allem, macht es Sinn?
Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg wagt dieses Vorhaben – und gewinnt. Dem Haus glückt mit „Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch“ eine Ausstellung, die sowohl für diejenigen, die die Originale kennen, als auch für gänzlich unvoreingenommene Besucher sehenswert ist. Im Zentrum der Schau steht, wie Nachahmer und Nachfolger die noch christlich unterfütterte Motivik Hieronymus Boschs (1450-1516) nach und nach in weltliche Schaulust und groteske Bildfindungen überführt haben. Aber auch, wie findige Geschäftemacher sich des guten Namens Bosch bedienten, um Kupferstiche in hohen Auflagen unters Volk zu bringen. „Wir erzählen eine andere Geschichte, die von der Rezeption ausgeht und zeigt, was andere Künstler mit dem Erbe von Bosch gemacht haben“, erläutert Michael Philipp, der Kurator der Schau, der sich mit diesem Projekt nach neunjähriger Tätigkeit aus dem Bucerius Kunst Forum verabschiedet.
80 Kupferstiche und Radierungen sowie rund 15 Gemälde von Künstlern des 16. bis 17. Jahrhunderts sind zu sehen. Geschnitzte Architekturelemente mit von Bosch inspirierten grotesken Darstellungen unter anderem aus Amsterdamer Bürgerhäusern runden das Spektrum der Schau ab.
Monster, Dämonen, Teufelchen und andere Höllengestalten bevölkern viele der nur rund 50 erhaltenen und eindeutig dem Meister selbst zugeschriebenen Werke. Die Bosch-Rezeption jedoch auf dieses fantastische, gleichsam populäre Personal zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Heute gilt Bosch ebenso als Pionier der Darstellung des Alltags im Mittelalter.
Die Hamburger Ausstellung zeigt, wie im Laufe der Zeit ganz andere Bildthemen Eingang in die Bosch-Rezeption genommen haben. „In der Neuzeit“, so Philipp, „nahm die Jenseitsangst ab. Dafür traten die Schaulust und die Angstlust stärker in den Vordergrund.“ Die fantastischen Darstellungen in der Bosch-Nachfolge wurden nicht mehr so sehr als Mahnungen oder moralisierende Visualisierungen der Höllenpein im Sinne christlicher Botschaften wahrgenommen. Was jetzt überwog, war die Freude am Unheimlichen, das Vergnügen an wohligen Schauermomenten.
So zum Beispiel auf dem großartigen Gemälde „Die Verspottung des Hiob“ (Ohne Datum) von Jan Mandyn (1502 – um 1560) aus einer niederländischen Privatsammlung. Während Hiob, der sich aus Gram seine Kleider zerrissen hat, im Zentrum des Bildes sitzt, werden ihm von allen Seiten her Schreckensbotschaften übermittelt. Mandyn befriedigt die Sensationslust des Betrachters, indem er die schweren Schicksalsschläge des Hiob als groteskes Spektakel voller Schaudergestalten inszeniert. Die exakte biblische Überlieferung stand dabei weniger im Vordergrund.
Das sich langsam formierende Bürgertum im 16. und 17. Jahrhundert sah Bilder als Bilder an. Und es war hungrig darauf. Im Medium der Radierung und des Kupferstichs kamen die von Bosch inspirierten Sujets gleich massenhaft unters Volk. Das Zentrum der Kupferstichproduktion im 16. Jahrhundert war Antwerpen, das damals wichtigste Handelszentrum in Europa. Manche der Bosch-Nachfolger und Drucker erdreisteten sich sogar, ihre Produkte mit dem Hinweis „Bos. Inv.“, also „Bosch hat es erfunden“, zu versehen. Was schlicht unmöglich war, erschien der erste Kupferstich nach Bosch doch erst rund vierzig Jahre nach seinem Tod. Tugenden und Laster, Heilige und Narren, Sprichwörter und Redewendungen, Phantasie und Ornament. In insgesamt acht Kapiteln mäandriert die klug zusammengestellte Hamburger Schau durch den visuellen Kosmos der sich an Skurrilitäten überbietenden Bosch-Nachfolger. Gerade für den, der die Originale gesehen hat, ist auch das ein besonderes Sehvergnügen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch
Ort: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Zeit: 4. Juni bis 11. September 2016. Täglich 11-19 Uhr. Do 11-21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 240 S., 184 Abb., 29 Euro (Museum), 39,90 Euro (Buchhandelsausgabe)
Internet: www.buceriuskunstforum.de