Als sie vor Jahren, ihre Worte lassen sie älter erscheinen als das noch junge Gesicht, vier Monate in New York verbrachte, lernte sie einen Jungen in einem Copyshop kennen, der ihr – beide waren etwas schüchtern – mit dem Wechselgeld seine Telefonnummer gab…
Sie reagierte nicht, drehte sich zum Gehen ab und fand erst ein paar Blocks weiter, als sie das spärlich verbliebene Kleingeld in ihrer Hand wog, den Zettel. Sie mochte den Jungen als sie ihn eher unbewusst an der Kasse beobachtete und überlegte, was sie nun tun sollte. Nach einigen schnellgefassten Gedanken legte, rief sie ihn an. Was folgte waren drei gemeinsame Wochen und die Erinnerung, dass der kurze Augenblick bei der Rückgabe des Wechselgeldes bedeutsamer war als zunächst vermutet.
Mit leiser Verwunderung über die intensive Vergegenwärtigung des Erinnerten endet die Geschichte des Mädchens, das mich überraschend angesprochen hatte. Im letzten Moment bricht ihr Blick gedankenverloren und sie wendet sich von mir ab.
Kurz darauf läuft sie in Richtung einer sich um sich selbst drehenden Menschenmenge und setzt sich nach kurzem Zögern etwas selbstvergessen an eine Säule der Turbine Hall. Sie wartet dort, steht etwas später auf und geht in dem atmosphärischen Chor der rotierenden Menge ein. Sie dreht sich nun wie die anderen um einen undefinierten Punkt und rennt plötzlich und ohne ersichtlichen Grund mit dem Gedränge in den anderen Teil der Halle.
Die Menschen des rotierenden Kreisels haben, so lässt sich das gemeinsame Lachen deuten, Spaß an den Bewegungen, ihren Tendenzen und Richtungswechseln. Doch ist es ein fast ritualisiertes Lachen, das mit einem leeren Blick kombiniert, fast apathisch anmutet und trotz weitläufiger Halle ohne Echo bleibt. Die Menschenmasse stößt in ihrer Choreographie nur selten aneinander und da es keine künstliche Festschreibung der Rollen gibt, scheinen die Wege der Einzelnen spontan, eigenen Assoziationen verpflichtet, doch sind sie gleichzeitig Elemente eines Schwarms, der sie bewegt. Zuweilen kommen sie ganz zum Stehen, ruhen sich aus, legen sich auf den Boden und intonieren als eine Art unsichtbares Band Botschaften wie: „ Humans, humans, humans, nature“ und versichern sich damit ihrer gemeinsamen Existenz. Im nächsten Moment treten einige aus der Menschenmenge heraus und erzählen den Zuschauern ihre Geschichten.
Unter dem Titel These Associations sind solche Situation von Tino Sehgal in der Londoner Tate Modern komponiert. Es sind flüchtige Gespräche, die individuell und nicht einzufangen sind, die je nach der selbst bemessenen Zeit des interagieren Betrachters weitere Begegnungen und Geschichten – lapidar wie bedeutungsschwer – folgen lassen. Diese Begegnungen machen mit der Zeit etwas benommen, weil die Unmittelbarkeit der Gespräche so zwangsläufig und fremdbestimmt ist. Man hält am Ende nichts in Händen und nachdem kurzzeitig eine intime Nähe durch die persönliche Geschichte entstand, wird der Gegenüber im nächsten Moment wieder zum Fremden und das Gesagte bleibt folgenlos, wird zur Erinnerung und geht wieder über in den Schwarm.
These Associations bildet dabei einen erweiterten Horizont aus, der persönliche Lebenserfahrung einschließt und ins Relief presst. In einer Welt der ständigen Ortswechsel, der episodenhaften Bekanntschaften und der nach Flexibilität verlangenden Wirklichkeitsbeziehungen lässt Tino Sehgal den Besucher mit diesen nachhaltig wie flüchtigen Erzählungen kurz inne halten und lädt zur Metaperspektive ein. Die Geschichten der Protagonisten sind kurz erzählt, mal tragisch mal kitschig, aber immer als Zitate unserer Zeit zu lesen.
Sowohl das fröhlich-dynamische Treiben, die gemeinsame Rotation um den nicht vorhanden Referenzpunkt als auch die fast meditativ wirkenden Ruhephasen, die jeder Protagonist ganz allein und doch in einer Gruppe verbringt, beschreiben eindringlich und metaphorisch die Lebenswirklichkeit einer heutigen Metropole. In der größten, abgeschlossenen Ausstellungshalle der Welt wirken solche Einsichten trotz aller Weitläufigkeit unmittelbar verdichtet, und so entlässt Tino Sehgal den Besucher nicht nur etwas benommen in das velozifirische London. Man hat nun doch ein paar Erinnerungen mehr im Gepäck als die kulturindustriellen Merchandise-Produkte des Museumsshops der Marke Tate Modern oder die in der heutigen Ausstellungsrezeption scheinbar unerlässlichen Fotos von Bildern, die man nie wirklich geschaut hat. Passend, ganz zeitgemäß und – so wäre es schön – als ironische Geste erscheint These Associations in The Unilever Series. Man kommt bei Tino Sehgal nie aus den/m Schwärmen.