In der Lübecker Overbeck-Gesellschaft tritt der Berliner Künstler Alexander Wolff in einen multimedialen Dialog mit Objekten aus der 2007 geschlossenen Völkerkunde-Sammlung der Stadt.
Was haben ein frei im Raum hängendes, asiatisches Rollbild mit Buddhadarstellungen und die in Malerei zurückübertragenen Postkartenreproduktionen berühmter minimalistischer Gemälde miteinander gemeinsam? Zunächst einmal nur so viel, dass der Berliner Künstler Alexander Wolff beide Bildtypen im ersten Raum seiner aktuellen Ausstellung in der Lübecker Overbeck-Gesellschaft präsentiert. Denkt man dann aber über Bilder und ihr Eingebundensein in religiöse, kulturelle oder ökonomische Wertesysteme, Verehrungs- und Anbetungsmechanismen nach, so ergeben sich ganz naheliegende Fragen. Sind die Ikonen der Nachkriegsabstraktion nicht längst zu pseudoreligiös verehrten Fetischen der Moderne geworden? Zumal, wenn man die immer höheren Auktionsergebnisse betrachtet?
Alexander Wolff, Jahrgang 1976, hat in Paris, Wien und Frankfurt studiert. Bereits 2003 hat sich Wolff, ausgehend von Kunstpostkarten, die er in Museumsshops erwarb, Ikonen der Minimal Art und der Farbfeldmalerei, darunter Motive von Yves Klein, Frank Stella oder Donald Judd, in seiner Serie „Postcard Paintings“ angeeignet. Der Methode der ironischen oder kritischen Einverleibung und Verarbeitung bereits vorhandener Motive und Bildwelten ist er bis heute treu geblieben.
Wolff benutzt, was er vor Ort findet. Dinge, die für ihn den Geist, das intellektuelle Klima einer Stadt oder eines Ausstellungsortes ausmachen, aber zuweilen auch autobiografisch aufgeladene Materialien wie den Staub aus seinem Atelier setzt er in neue, oft auch für ihn selbst überraschende Zusammenhänge. In der alten Hafen- und Hansestadt Lübeck mit ihren engen Beziehungen in alle Welt interessierte er sich für die im ehemaligen Zeughaus untergebrachte Völkerkundesammlung. Sie umfasst 26.000 Objekte aus allen Kontinenten, zusammengetragen in mehr als 300 Jahren. Für das allgemeine Publikum ist sie seit 2007 geschlossen. Alexander Wolff allerdings durfte sich in der Sammlung frei bewegen und Objekte aussuchen, die er jetzt zusammen mit eigenen Arbeiten in der Overbeck-Gesellschaft präsentiert.
Wolff, der fast immer installativ in die gegebene Ausstellungssituation eingreift, hat für Lübeck ein großes, aus Rauten, Dreiecken und Parallelogrammen zusammengesetztes Wandgemälde in gedeckten, ungleichmäßig aufgetragenen Farben entwickelt, in das er Fotokopien von historischen Reisefotografien aus der ethnologischen Sammlung collagenartig integriert hat. Deren genaue Herkunft ist ungewiss, da diese nicht beschriftet waren. Architektur und Kostüme der dargestellten Menschen lassen jedoch auf den eurasisch-kaukasischen Kulturkreis schließen. Ebenfalls einbezogen hat Alexander Wolff über 20 kleine Ibeji-Figuren aus dunklem Holz, die er, über die Fläche verteilt, auf kleinen Sockelbrettern präsentiert. Der westafrikanische Stamm der Yoruba ist bekannt für den weltweit höchsten Anteil an Zwillingsgeburten, gepaart mit einer hohen Säuglingssterblichkeit. Stirbt ein Zwilling, so wird eine Ibeji-Figur geschnitzt, die bei allen Gelegenheiten in das Familienleben integriert wird.
Wolff vereint Fremdes und Vertrautes in spannenden dialogischen Settings. Und ganz nebenbei konfrontiert er uns auch mit der Fragwürdigkeit tradierter völkerkundlicher Sammel- und Ausstellungstätigkeit, deren kolonialistischer Subtext immer mitgedacht werden sollte. Alexander Wolff zeigt neben weiteren, teils in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Malerkollegen Matt Chambers entstandenen Gemälden, auf Schneiderpuppen präsentierten Ponchos und einer Diashow zum Thema völkerkundliche Archive auch die 2011 und 2012 in Los Angeles entstandene Videoarbeit „Churches on West Adams Boulevard“. Ähnlich konsequent wie der kalifornische Maler, Fotograf und Konzeptkünstler Ed Ruscha in den 1960er Jahren jedes Gebäude auf dem Sunset Strip fotografierte, ging auch Wolff vor: Er stellt in seinem dreieinhalb Stunden dauernden Film unkommentiert alle 46 christlichen Kirchen auf dem West Adams Boulevard vor.
Sinnigerweise kann der Betrachter auf einer Kirchenbank Platz nehmen. Ihm bietet sich eine ebenso lakonische wie aufschlussreiche Phänomenologie meist von lateinamerikanischen Einwanderern errichteter Kirchen, Tempel und Behelfsbauten zwischen tief verankerter Religiosität, Kitsch und Sektierertum. Alexander Wolff, der im Sommer auch an der viel beachteten, paralell zur Documenta veranstalteten Hannoveraner Ausstellung „Made in Germany Zwei“ teilgenommen hat, gehört zu einer neuen Generation junger Künstler, die sich keineswegs mehr auf ein Medium festlegen lässt, sondern im virtuosen Umgang mit Malerei, Skulptur, Installation, Ready Made, Video oder Fotografie die Bedingungen der Kunstproduktion im 21. Jahrhundert auslotet.
Auf einen Blick
Alexander Wolff
Overbeck-Gesellschaft, Lübeck
Internet: www.overbeck-gesellschaft.de
bis 11. November 2012. Di-So 10-17 Uhr