Immer ganz nah dran: Der Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert eine umfangreiche Werkschau der großen amerikanischen Fotografin Margaret Bourke-White.
Drei Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Am 11. April 1945 befreit die 3. US-Armee das Konzentrationslager Buchenwald. Der Anblick, der sich den amerikanischen Soldaten bot, war an Inhumanität und Barbarei nicht zu überbieten. Neben Bergen von verwesenden Leichen stießen die Befreier auf verzweifelte Überlebende, die von Krankheit und Auszehrung gezeichnet waren. Zusammen mit den Soldaten kam auch eine Fotografin in das Lager: Margaret Bourke-White. Ihre Aufnahmen von Holocaust-Überlebenden, Leichenbergen und Bürgern der Stadt Weimar, die auf Anordnung der Amerikaner durch das Lager geführt wurden, gingen um die Welt. Sie wurden unter dem Titel »Deutschland, April 1945« in Buchform veröffentlicht und dienten in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als Beweismaterial der Anklage.
Margaret Bourke-White, der der Berliner Martin-Gropius-Bau jetzt eine große Ausstellung mit 154 Original-Silbergelatineabzügen aus den Jahren 1930 bis 1945 widmet, war 1945 schon eine berühmte Fotografin. Ihr Motto lautete: “Nichts zieht mich mehr an als eine verschlossene Tür.” Und getreu dieser Devise hatte sich die 1904 in der New Yorker Bronx als Tochter polnisch-jüdischer Einwanderer geborene Fotografin Ende der 1920er Jahre mit spektakulären Aufnahmen der Otis-Stahlwerke in Cleveland, Ohio in einem bis dahin fast ausschließlich von Männern beherrschten Umfeld Respekt erworben. Auch in den Jahren darauf feierte Bourke-White, deren Vater Ingenieur war, in ihren ikonischen Aufnahmen von Fabriken, Produktionsstraßen, Kraftwerken, Schiffen oder Flugzeugen den technischen Fortschritt in den USA, der Weimarer Republik, aber auch in der damals prosperierenden jungen Sowjetunion. Als erste ausländische Fotografin überhaupt erhielt sie 1930 ein Visum für die UdSSR.
Etliche weitere Aufenthalte folgten. Erst allmählich verlagerte sie ihr Interesse weg von den weihevoll inszenierten Industriekathedralen und den silbrig glänzenden Maschinen hin zu den Menschen, die in dieser Umgebung arbeiteten. In der Folge entstanden einfühlsame Porträts von Arbeiterinnen und Monteuren, aber auch von wichtigen Politikern ihrer Zeit wie Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill oder auch Josef Stalin. Margaret Bourke-White wollte nicht weniger als das »Auge ihrer Zeit« sein – unmittelbare Zeugin der wichtigsten Ereignisse ihrer Epoche.
Das gelang ihr auch. Das LIFE-Magazin, damals die wichtigste Plattform für anspruchsvollen Fotojournalismus, wurde zu ihrer journalistischen Heimat. Die Redaktion buchte sie gleich für die Erstausgabe im November 1936. Bourke-White lieferte nicht nur das Titelbild, sie schrieb auch die dazugehörige Story. Sie war neugierig, couragiert und manchmal vielleicht auch etwas tollkühn: 1943 saß sie bei Luftangriffen der US-Air-Force mit im Flugzeug. Margaret Bourke-White, die aufgrund einer Parkinson-Erkrankung das Fotografieren 1957 aufgeben musste und 1971 im Alter von 67 Jahren starb, wird heute in einem Atemzug mit amerikanischen Künstlerkolleginnen wie Georgia O’Keeffe, Lee Miller oder Imogen Cunningham genannt – allesamt Frauen, die sich bereits früh über tradierte Geschlechterrollen hinwegsetzten.