Zwei Ausstellungen widmen sich zur Zeit dem Werk des Hamburger Malers und Bildhauers Tillmann Terbuyken. Die Ausstellung „Passagen und Werkzustände“ bei KM in Berlin, sowie die Ausstellung „Spitzen“ im Projektraum Isa Maschewski in Hamburg. Beide Ausstellungen sind noch bis März 2013 zu besuchen.
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ls prozessual bezeichnet man im Allgemeinen eine künstlerische Vorgehensweise, die über viele kleine Zwischenschritte zu einem endgültigen Resultat gelangt. Nicht immer kennt eine solche Methode nur eine Richtung: Es gibt Fortschritte, aber genausogut auch Schritte zurück. Der Zufall kommt ins Spiel. Ebenso die Intuition, die Spontaneität und manchmal auch eine gewisse Lust an der ikonoklastischen Zerstörung und Weiterentwicklung des bereits selbst Geschaffenen. Die Arbeitsweise des Hamburger Malers und Bildhauers Tillmann Terbuyken ließe sich in diesem Sinne als prozessual bezeichnen. Seine Arbeiten entstehen nicht innerhalb eines knapp bemessenen Zeitfensters. Terbuykens erste abstrakte Bild-kompositionen, wie sie eher probeweise auf dem bis dahin leeren Bildträger erscheinen, sind meist nur erste Ausgangspunkte für das weitere Entstehen einer Arbeit.
Terbuyken arbeitet lange an seinen Bildern, die in der Regel aus mehreren Schichten bestehen. Mit Übermalungen und Applikationen arbeitet er sich nach und nach in die Dreidimensionalität vor. Er legt verschiedene Farben und geometrische Formen übereinander. Er verwirft Zwischenstadien und transformiert das bereits Erreichte zurück zum noch undefinierten Übergangszustand. Mit herkömmlichen Leinwandformaten arbeitet Terbuyken in der Regel nicht. Man könnte wohl eher von „shaped canvases“ sprechen, nicht handelsüblichen sondern individuell angefertigten Bildträgern also, die häufig die Grenze zum dreidimensionalen Objekt überschreiten. Seine Kunst erobert sich variable Freiräume anstatt die orthodoxe Einhaltung malerischer Verbindlichkeiten zu bedienen: Zu harmonisch oder „schön“ dürfen die Begegnungen von Farben und Formen niemals werden. „Wichtig ist es mir, mich an Formen abzuarbeiten“, so Terbuyken.
Seine Bildkompositionen wirken auf den ersten Blick minimalistisch. Terbuyken bezeichnet sie aber lieber als experimentell. Der cool-rationalistische Gestus der amerikanischen Hard-Edge-Malerei der 60er Jahre wird bei Terbuyken in Erinnerung gerufen, doch bereits im selben Moment wieder konterkariert. Seine Linien sind eben nicht ganz gerade, die Kreise nicht ganz rund. Die Gesamtkomposition oftmals prekär. Augenscheinliche Perfektion und Abgezirkeltheit vermeidet der Hamburger Maler. Wer will, kann in manchen der Bilder Elemente von Landschaften erkennen. Horizonte und Sonnenbälle, Felder, den Ozean vielleicht. Dreiecke, Kreise, diagonal geteilte Flächen oder Trapeze gehören zu den geometrischen Formen, die in Terbuykens Malerei immer wieder auftauchen. Das Gegeneinandersetzen von sich ähnelnden Farbfeldern wie Rot und Orange, Schwarz und Marineblau kennzeichnen Tillmann Terbuykens Farbkompositionen.
Der New Yorker Kunstkritiker Clement Greenberg definierte in seinem 1964 erschienenen Aufsatz „Post-Painterly Abstraction“ einen neuen nüchterneren Stil abstrakter Malerei, der auf den emotionsgeladenen Abstrakten Expressionismus folgen sollte und als „Colorfield Painting“ in die Kunstgeschichte einging. „Im Hinblick auf den Stil richtet sich die hier präsentierte Gegenbewegung weitgehend gegen die manieristische Art der Zeichnung und den manieristischen Bildaufbau der Malerischen Abstraktion, vor allem gegen letzteren.
Im Gegensatz zu den ineinander verwobenen Hell-Dunkel-Abstufungen des typischen abstrakt-expressionistischen Bildes tendieren alle Künstler in dieser Ausstellung zu einer physischen Offenheit des Bildaufbaus oder zu linearer Klarheit oder zu beidem zugleich“, so Greenberg. Greenbergs Aufsatz erschien 1964 im Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Los Angeles County Museum of Art. An der Ausstellung nahmen unter anderen Helen Frankenthaler, Kenneth Noland und Frank Stella teil. Tillmann Terbuykens Malerei baut gewissermaßen auf den Neuerungstendenzen der frühen US-amerikanischen Colorfield-Malerei auf und treibt sie mit der Nonchalance eines jungen Malers des 21. Jahrhunderts neuen, noch genauer zu erforschenden Territorien zu. Die „Post-Post-Painterly Abstraction“ Terbuykens grenzt sich vom harschen und perfektionistischen Rationalismus der farbanalytisch-geometrischen Minimal-Malerei aber eindeutig ab, indem sie ihr eigenes „Gemacht-Sein“ offen zur Schau stellt.
Ein anderer, wohl ungleich wichtigerer Referenzpunkt seiner Kunst ist der dänische Maler Asger Jorn (1914-1973). Terbuyken orientiert sich dabei allerdings weniger an Jorns malerischer Handschrift als an seiner künstlerischen und kunsttheoretischen Haltung. Asger Jorn, Mitbegründer der Künstlergruppe CoBrA und der Situationistischen Internationale, versucht in seinem 1958 erschienenen „Plädoyer für die Form“ verschiedene Definitionen von Kunst, die er letztlich alle wieder relativiert und verwirft. So definiert er Kunst unter anderem als die „Realisierung des Unbekannten“ und als „Realisierung dessen, was nicht zu realisieren ist.“ Daraus ergibt sich ein permanentes Streben, Fortschreiten, Versuchen und vielleicht auch partielles Scheitern. Momente, die ganz offensichtlich auch die Kunst von Tillmann Terbuyken auszeichnen. Kunst ist nach Asger Jorn nicht nur das „getreue Abbild des Objekts“ sondern auch die „subjektive Realität“. Auch bei Tillmann Terbuyken sind subjektive Handschrift und Herangehensweise unverkennbar. Seine Arbeiten, egal ob man sie als Bilder, Skulpturen oder gattungsübergreifende Hybride bezeichnen will, sehen immer „gemacht“ aus. Sie wirken individuell und einzigartig. Terbuyken gehört nicht zu den Künstlern, die „produzieren“ lassen oder eine abgehobene Designerattitüde an den Tag legen. In jede einzelne Arbeit investiert Tillmann Terbuyken viel Zeit und Energie: „Jedes Werk ist ein Schlüsselwerk für mich“, sagt er.
Der 1978 in München geborene Terbuyken studierte von 1999 bis 2006 zunächst in Maastricht, später an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Ihn auf das Medium Malerei zu reduzieren, entspräche einer stark verkürzten Rezeption. Sich selbst sieht er in erster Linie als Bildhauer. So entstehen neben einzelnen Gemälden und Wandmalereien überwiegend dreidimensionale Arbeiten. Terbuyken verwendet hier die unterschiedlichsten Materialien, die oftmals rein zufällig den Weg in sein Studio finden: verschiedene Resthölzer, Dachlatten, Styropor, rosa Gips oder Schellack – aber auch die Überbleibsel eigener, verworfener Arbeiten. „Die Anwesenheit der Dinge führt einfach zu der Notwendigkeit, etwas daraus zu machen“, sagt er. „Diese Notwendigkeit ergibt sich immer aus dem Jetzt. Ich spiele mit den Dingen, aber nicht unbedarft.“ Ähnlich wie es Marcel Duchamp einst gefordert hatte, unterzieht auch Terbuyken die inhaltlichen Voraussetzungen und tradierten Darstellungsregeln der Kunst – auch der eigenen – einer permanenten „ätzenden Probe“ (Duchamp). Revision als Antrieb und Motor.
Den Skulpturen und Reliefs gehen meist kleine Zeichnungen voraus, die Terbuyken in Skizzenbüchern festhält. Gerade den dreidimensionalen Arbeiten wohnt etwas Provisorisches und Intuitives inne. Es sind teils bemalte, oft unebene Objekte in ganz unterschiedlichen Formen, konvex oder konkav, mal kastenartig, mal säulenartig, mal an Rampen erinnernd, mal von nachträglichen Materialergänzungen oder Eliminierungen gekennzeichnet.
Alle Skulpturen und Objekte sind dabei jeglicher Funktionalität enthoben. Damit knüpfen sie an Michelangelo Pistolettos „Oggetti in Meno“ („Minus-Objekte“) an, die zwischen 1965 und 1966 im Studio des italienischen Arte-Povera-Künstlers entstanden. Deren durchgängiges ästhetisches Prinzip beruhte auf der spontanen und intuitiven Ausführung. Genau wie die Objekte Pistolettos sind auch Tillmann Terbuykens Skulpturen formal heterogen und pseudofunktional. Um es mit Pistoletto zu sagen: Sie „stellen nichts dar, sondern sie sind.“ Sie variieren in Konzept und Konstruktion, Material, Form und Oberfläche. Sie funktionieren einzeln und in Gruppen, als autonome Objekte im Raum, in Kombination mit Gemälden, als reine Skulpturengruppen und Schattenfiguren. Denkbar wären sie auch als Requisiten oder Kulissen für Theater- oder Performancebühnen. Und ganz ähnlich wie der 1933 geborene Documenta-Teilnehmer Michelangelo Pistoletto, der sich in den späten 60er Jahren verstärkt auch der Bühnen- und Performancekunst widmete, unternimmt auch Tillmann Terbuyken immer wieder die Grenzen der bildenden Kunst überschreitende Ausflüge in diese Richtung.
Sein verstärktes Interesse an Bühne und Tanz verfolgte er unter anderem in Zusammenarbeit mit der Tänzerin und Choreographin Jenny Beyer. Der Bildhauer und die Tänzerin haben zusammen Skulpturen gebaut und getanzt. Die Verbindung zwischen bildender und darstellender Kunst, also das Kombinieren von statischen Skulpturen und der eigenen Bewegung im Raum, verfolgt Tillmann Terbuyken jedoch schon spätestens seit seinem Diplom 2006 bei der Bildhauerin Pia Stadtbäumer, als er in einem performativen Akt seine Skulpturen hin- und herschob. Diese Interaktion des Künstlers mit seinen Objekten wurde als Video festgehalten. Inspirierend auf seine Kunst wirkt auch die 1913 uraufgeführte futuristisch-suprematistische Oper „Sieg über die Sonne“. Terbuyken arbeitet zur Zeit an einem interdiszipinären Gruppenprojekt mit, das sich zum Ziel gesetzt hat, in näherer Zukunft eine zeitgenössische Aktualisierung dieser teilweise verschollenen Oper zu realisieren.
„Es geht mir um eine Auseinandersetzung mit dem Projekt Moderne und dem Minimalismus, gleichzeitig aber auch darum, die Moderne zu überwinden“, sagt Tillmann Terbuyken. Dieses Abarbeiten an mittlerweile kanonisierten Formen und Stilbegriffen ist der Motor seiner Kunst. Auch wenn der langsame Entstehungsprozess der einzelnen Arbeiten von immer wiederkehrenden Stadien der Revision, des Verwerfens und Neu-Formulierens geprägt ist, zeichnen sich Tillmann Terbuykens Skulpturen und Gemälde am Ende doch durch eine gewisse spielerische, nicht aber verspielte Leichtigkeit aus. Sie wirken in Formfindung, Farbgebung und Platzierung im Raum wie lässig inszeniert und haben eine spezielle Logik in ihrem leicht provisorischen, aber ästhetisch überzeugenden und bestechenden Look. Sie strahlen einerseits eine postminimalistisch-reduzierte „Less is more“-Haltung aus, andererseits die Konsequenz der durch-gearbeiteten, immer wieder revidierten Komposition. Letztendlich manifestieren sie den subjektiven, schöpferischen Akt.
Gerade bei den Inszenierungen ganzer Werkgruppen im Raum experimentiert Tillmann Terbuyken dann mit Licht und Schatten, referenzhaften Interaktionen der einzelnen Wand- und Bodenarbeiten und Gemälde untereinander und dem Entwerfen einer modellhaften, mitunter architektonisch anmutenden Gesamtsituation. Manche Arbeiten potenzieren sich im Dialog mit anderen, andere stechen eher als markante Einzelobjekte hervor. Kantiges und Trashiges stehen dem Harmonischen, durchaus auch Dekorativen gegenüber. Weich trifft auf hart, Improvisiertes auf perfekt Ausgearbeitetes, Humorvoll-Parodistisches auf Ernsthaftes. Immer wieder neue Kombinationen der einzelnen Arbeiten wären denkbar. Bilder, die als fertig gelten, könnten theoretisch jederzeit wieder verworfen, übermalt und komplett verändert, die Skulpturen ergänzt oder umgebaut, der künstlerische Prozess endlos weitergeführt oder an einer bestimmten Stelle gestoppt und eingefroren werden. Wann ist eine Arbeit endgültig fertig? Wahrscheinlich erst, wenn sie das Studio unumkehrbar verlässt und in den Kunstbetrieb eingeschleust wird. Aber selbst dann könnte man sich vorstellen, dass Tillmann Terbuyken auf die Idee kommen könnte, ihr nochmals mit subtraktiven oder additiven künstlerischen Maßnahmen zu Leibe zu rücken. Warum? Weil Terbuyken einfach keines seiner Werke als endgültig abgeschlossen betrachtet, sondern als endlose Kette von Implikationen, Gedankenverkettungen und Referenzen. „Meine Arbeiten stellen immer nur einen Zustand dar“, sagt er. Sein Antrieb? Ähnlich wie damals Pistoletto reizt es auch ihn, im „Meer des nie Geahnten“ (Pistoletto) zu fischen und daraus immer wieder etwas Neues hervorzuholen. Das jedoch ohne irgendeinen missionarischen Eifer. Denn, so Terbuyken ganz nüchtern „Keiner muss überzeugt werden, wovon denn auch?“ (Artikel zuerst veröffentlicht in „artist – Das Kunstmagazin“, Heft 86)
Tillmann Terbuyken „Spitzen“, Projektraum Isa Maschewski in Kooperation mit KM
Eröffnung: 24.01.2013 um 19 Uhr
Ausstellung: 25.01.2013 – 21.03.2013, Öffnungszeiten: Dienstag – Donnerstag 14 – 18 Uhr
und nach Vereinbarung (projekte@daremag.de)
Admiralitätstr. 71, Hinterhaus 4.OG, 20459 Hamburg
Tillmann Terbuyken „Passagen und Werkzustände“, KM
Ausstellungsdauer: 18. 01.2013 – 02.03. 2013, Öffnungszeiten: Mi – Sa 14:00 -18:00 Uhr
Martin-Opitz-Straße 23, 13357 Berlin