Späte Ehrung für eine früh Verstoßene: Die Hamburger Kunsthalle widmet der 1936 in Hamburg geborenen und 1970 verstorbenen jüdischen New Yorker Künstlerin Eva Hesse eine groß angelegte Werkschau.
Hamburg. Geboren wurde Eva Hesse 1936 in Hamburg. Doch zu dieser Zeit hatten ihre der nationalsozialistischen Judenverfolgung ausgesetzten Eltern eigentlich nur noch ein Ziel vor Augen. Wie die Familie retten? Wie die Emigration nach Amerika gefahrlos vorbereiten? Mit einem Kindertransport gelang es den Eltern schließlich, Eva und ihre Schwester Helen zunächst alleine zu Verwandten in die Niederlande zu schicken. 1939 schaffte es dann die ganze Familie, über England nach New York zu emigrieren. Wenige Jahre später 1946 jedoch nimmt sich Hesses Mutter hier das Leben. Und in New York sollte Eva Hesse eine leider sehr kurze, jedoch beachtliche Karriere als eine der zentralen weiblichen Figuren der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts machen. Als sie 1970 starb, hinterließ sie ein schmales, aber umso prägnanteres Werk. Hesse, die mit wichtigen Vertretern der Konzeptkunst und der Minimal Art wie Carl Andre, Dan Graham oder Robert Mangold einen engen Umgang pflegte und insbesondere mit Sol LeWitt eng befreundet war, ist bekannt für ihre fragilen Skulpturen aus prekären, äußerst empfindlichen Materialien wie Latex, Polyester, Glasfasern, Pappmaschee, Kordeln oder Modelliermasse. Der kühl-industriellen Materialität ihrer männlichen Künstlerkollegen setzt sie einen stärker sinnlich aufgefassten Umgang mit ihren Materialien und eine emotionale, teils rätselhafte, teils verstörende Aufladung ihrer Arbeiten entgegen.
75 Jahre nachdem sie die Stadt verlassen musste, widmet ihr die Hamburger Kunsthalle jetzt in der Galerie der Gegenwart eine umfassende Werkschau. Unter dem Titel „Eva Hesse – One More than One“ versammelt die Schau rund 50 Arbeiten, darunter teilweise Wand füllende Skulpturen aus sensiblen Materialien, aber auch Bodenobjekte, zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle.
Hesse-Werke aus dem New Yorker Museum of Modern Art, dem Pariser Centre Pompidou oder dem San Fransisco Museum of Modern Art sind hier erstmals in Deutschland in dieser Fülle zu sehen. Natürlich stehe das künstlerische Werk im Fokus der Ausstellung. Ohne den biografischen Kontext, der dunkle Aspekte in der Geschichte der Stadt Hamburg zum Vorschein bringe, jedoch wäre die Schau in dieser Form sicherlich nicht zustande gekommen, betont Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner: „Das Schicksal spiegelt sich im Werk.“
Die rationalen Grundideen der Minimal Art hat Eva Hesse in eine sehr persönliche Zeichen- und Formensprache überführt. Prinzipien des Seriellen und der Wiederholung jedoch behält sie bei. Materialkombinationen aus harten und weichen Stoffen sind typisch für ihr Werk. So zum Beispiel die Arbeit „Accession III“ von 1968, ein von weichen Schläuchen durchwobener Kubus aus Polyesterharz. Leerstellen und Aussparungen, kurz gesagt, die spürbare Anwesenheit von Abwesenheit verleihen ihren Arbeiten etwas Beunruhigendes. „Ich hätte das Werk gern als Nicht-Werk“, hat sie einmal über ihre Arbeit gesagt.
Eva Hesse wollte schon mit 13 Jahren Künstlerin werden. Sie studierte an der New Yorker Cooper Union, wechselte dann nach Yale, um Meisterschülerin bei Josef Albers zu werden, und arbeitete nach ihrem Abschluss zunächst als Stoffdesignerin. Gleichzeitig entstanden Gemälde und Zeichnungen. Zu ihrer eigentlichen Formensprache jedoch fand sie ausgerechnet in Deutschland. Auf Einladung eines Sammlerehepaars aus Kettwig verbrachten Eva Hesse und ihr Mann, der Bildhauer Tom Doyle, 1964/65 einen fünfzehnmonatigen Aufenthalt in Europa. Ihr Atelier bezogen sie in einer aufgegebenen Textilfabrik. Hier entdeckte Hesse liegen gebliebene Materialreste, Garnspulen und andere Stoffe, die sie zu ersten dreidimensionalen Objekten verarbeitete. Nach New York zurückgekehrt, setzte sie diese Arbeit fort. Brigitte Kölle und Petra Röttig, die beiden Kuratorinnen der Hamburger Schau, konzentrieren sich ganz auf die Produktion der letzten viereinhalb Lebensjahre. Auch nachdem bei Eva Hesse im März 1969 ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert wurde, stürzte sie sich weiter in die Arbeit. Viele ihrer Hauptwerke, so die aus sieben organisch wirkenden, an verletzende Extremitäten erinnernde Arbeit „No title“ (1970) entstanden mit letzter Kraft. Die einflussreiche Zeitschrift Artforum widmete ihr im Mai 1970 die Titelstory – ein absoluter Ritterschlag für eine junge Künstlerin. Wenige Wochen später am 29. Mai 1970 starb Eva Hesse mit nur 34 Jahren.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Eva Hesse – One More than One
Ort: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart
Zeit: 29. November 2013 bis 2. März 2014. Di–So 10-18 Uhr.
Do 10-20 Uhr. Heiligabend und 1. Weihnachtstag geschlossen.
Silvester 10-16 Uhr. Neujahr 12-18 Uhr.
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 340 S., 138 Abb., 29,90 Euro
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de