Die Hamburger Deichtorhallen präsentieren im Haus der Photographie eine breit angelegte Retrospektive des französischen Fotografen Guy Bourdin (1928-1991),
Anders als Helmut Newton, Richard Avedon oder Ellen von Unwerth gehört er heute zu den eher unbekannten Fotografen der Mode- und Magazinfotografie, die in den 1970er Jahren von sich reden machten. Zu seinen Lebzeiten jedoch galt er als Star.
Guy Bourdins auf erotische Schlüsselreize, Fetischobjekte, kraftvolle Farben und surreale Verrätselungen setzende Ästhetik wird bis heute immer wieder, mal mehr und mal weniger dreist, zitiert. Zum Beispiel eine seiner berühmtesten Fotografien, die Aufnahme eines weiblichen Modells mit knallrot geschminkten Lippen, das sich mit acht Händen, deren Fingernägel im gleichen Rot wie der Lippenstift leuchten, die Augen zuhält. Die Aufnahme entstand im Mai 1970 für die französische Ausgabe der Vogue. Zurzeit wird das leicht abgewandelte Motiv sowohl in der deutschen Ausgabe von Harper’s Bazaar als auch in einer Kampagne der Parfümeriekette Douglas eingesetzt. Wer den Urvater dieser und anderer bis heute Stil prägenden Modefotografien in allen Facetten seines Werkes kennen lernen will, dem sei jetzt ein Besuch in der großen Guy Bourdin Retrospektive im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen empfohlen.
Erstmals werden die bevorzugt auf Sex und Gewalt setzenden Modestrecken und Kampagnen Bourdins jetzt im Kontext seines erstaunlich stillen und kompositorisch wesentlich subtileren Gesamtwerks gezeigt. Insofern bietet die Hamburger Ausstellung Gelegenheit für Entdeckungen. Bourdin, der 1928 in Paris geboren wurde und 1991 im Alter von nur 62 Jahren einem Krebsleiden erlag, hinterließ ein umfangreiches persönliches Archiv sowie einen künstlerischen Nachlass mit zahlreichen Zeichnungen, Gemälden und frühen Schwarz-Weiß-Fotografien.
Deichtorhallen-Kurator Ingo Taubhorn erhielt jetzt die Gelegenheit, die im Besitz des Sohnes und Nachlassverwalters Samuel Bourdin befindlichen Materialien zu sichten und für die Hamburger Schau aufzubereiten. Sich dem Phänomen Guy Bourdin zu nähern, ist keine besonders leichte Aufgabe: Der Künstler hat keinerlei schriftliche Äußerungen hinterlassen. Im Gegensatz zu den meisten seiner Fotografenkollegen hat er auch keine Fotobücher herausgegeben und Ausstellungen seiner Werke fast immer abgelehnt. Unsterblichkeit zu erlangen, bedeutete ihm nichts. Eigentlich hatte er sogar verfügt, dass sein Nachlass komplett vernichtet werden sollte.
Die Hamburger Retrospektive setzt ein mit frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus Paris: Menschen im Café, Passanten im Regen, Porträts von Künstlerinnen – Bilder nicht unähnlich denen der älteren Zeitgenossen Brassaï oder Cartier-Bresson. Die Kindfrauen auf Bourdins Gemälden erinnern wiederum an Balthus. Bourdin, der unter anderem von Man Ray gefördert wurde, begann 1955, für die französische Vogue zu arbeiten. Gleich seine erste Auftrags-fotografie, die Aufnahme eines Mannequins mit weißem Hut vor dem mit abgeschlagenen Kalbsköpfen dekorierten Verkaufsstand eines Schlachters in den Pariser Hallen, deutet an, in welche Richtung sich sein kommerzielles Œuvre entwickeln wird.
Bourdin, der insbesondere für seine Kampagnen für den Luxusschuh-Produzenten Charles Jourdan berühmt wurde, zerlegte seine Modelle rücksichtslos. Köpfe und Gesichter sind eher selten zu sehen. Stattdessen Torsi, der weit geöffnete Schritt und abgetrennte Beine. Seine Modelle werden von Autos überfahren, sie erhängen sich in der Kleiderkammer oder werden von herabstürzenden Bilder-rahmen erschlagen. Was heil bleibt, sind allein ihre makellosen Füße und daran die High Heels der aktuellen Saison. Auf Bourdins Aufnahmen treffen sich verstörende Morbidität und innovativer Einfallsreichtum, surreale Experimentierfreude und die knallharte Kommerzialisierung des weiblichen Körpers. Eine nicht unbedeutende Ausstellung, die allerdings sehr kontrovers diskutiert werden dürfte.
Auf einen Blick
Ausstellung: Guy Bourdin – Retrospektive
Ort: Deichtorhallen Hamburg/Haus der Photographie
Zeit: 1. November 2013 bis 26. Januar 2014
Di-So 11-18 Uhr. Jeden 1. Do im Monat 11-21 Uhr
Katalog: in Magazinform, 152 S., zahlreiche Abb., 19,80 Euro
Internet: www.deichtorhallen.de