Ekstatische Liebe als Lebensthema: Die Berlinische Galerie zeigt unter dem Titel „This Sweetness Outside of Time“ eine groß angelegte Retrospektive zum Werk der in Berlin lebenden Amerikanerin Dorothy Iannone.
Auf den farbintensiven Bildern, Objekten, Film- und Videoarbeiten der 1933 in Boston geborenen und seit 1976 in Berlin lebenden US-amerikanischen Künstlerin Dorothy Iannone erkennt man sofort, was Sache ist: Frauen und Männer beim Sex, beim unbefangenen Spiel mit den Genitalien, beim Ausprobieren kurioser Posen. Das alles gemalt von einer stets elegant gekleideten, weit gereisten und hoch gebildeten Dame, die man auf den ersten Blick eher für eine Universitätsprofessorin als für eine enthemmte Femme fatale halten würde.
Unter dem Titel „This Sweetness Outside of Time“ widmet die Berlinische Galerie der Grande Dame der erotischen Grenzüberschreitung jetzt eine umfangreiche Retrospektive.
33 Gemälde, 47 Arbeiten auf Papier, 16 Grafiken und 24 Objekte aus der Zeit zwischen 1959 und 2014 werden präsentiert. Darunter auch die „Singing Boxes“, bunt bemalte Holzkästen, aus deren Inneren man die Künstlerin singen hört. Erstmals zu sehen ist auch Iannones noch vom Abstrakten Expressionismus geprägtes malerisches Frühwerk aus den späten 1950er und frühen 1960er Jahren.
So verdeutlicht die Schau eine Entwicklung, die erst allmählich aus zunächst abstrakten Formen zur gegenständlichen Darstellung gelangt. Auch die älteren Arbeiten haben von ihrer Frische, Vitalität und Heiterkeit nichts verloren. Die unbekleideten Frauen und Männer auf Iannones Gemälden sind oft hippiehaft und ornamental geschmückt. Sie schauen den Betrachter offen an. Zudem entsteht ein Dialog west-östlicher Bilderwelten. Iannone kombiniert kunst- und kulturgeschichtliche Elemente aus dem Buddhismus, erotische Darstellungen, wie sie auf griechischen Vasen zu finden sind, und Motive aus der christlichen Mystik oder dem Barock.
In den frühen 1970er Jahren entfachte so etwas – trotz Woodstock und Kommune I – heftige Debatten über Zensur in der Kunst. 1967 begegnete die studierte Literaturwissenschaftlerin dem Schweizer Universalkünstler Dieter Roth auf Island. Der erotische Funke sprang sofort über. Für Iannone war Roth so etwas wie eine männliche erotische Muse. Die Jahre zwischen 1968 und 1974 verbrachten die beiden in Düsseldorf, wo dieser an der Kunstakademie lehrte. Hier traf sie auch weitere Künstler aus dem Fluxus-Umfeld wie Ben Vautier, Daniel Spoerri und George Brecht.
Dorothy Iannone nimmt in der jüngeren Kunstgeschichte eine fast einzigartige Position ein. Sie agiert niemals explizit feministisch. Eher, so Annelie Lüttgens, die Kuratorin der Schau, speist sich Iannones unerschütterliche Weiblichkeit aus einer Verinnerlichung matriarchalischer Denkmuster, die die als Göttin, Priesterin oder Sehende agierende Frau als Urmutter alles Seienden begreifen. Lange galt Iannone als Insider-Tipp. Die groß angelegte und gelungene Berliner Retrospektive jedoch präsentiert sie als das, was sie wirklich ist: eine der wichtigsten in der Stadt lebenden Künstlerinnen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Dorothy Iannone – This Sweetness Outside of Time
Ort: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Zeit: 20. Februar bis 2. Juni 2014. Mi-Mo 10-18 Uhr. Di geschlossen
Katalog: Kerber Verlag, 184 S., 205 Farbabb., 55 S/W-Abb., 38 Euro
Internet: www.berlinischegalerie.de