Politisch korrekt – doch ziemlich plakativ: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt die lange erwartete Schau „Evidence“ mit Arbeiten von Ai Weiwei. Der nach wie vor mit einem Reiseverbot belegte chinesische Künstler musste allerdings zu Hause bleiben.
Berlin. Ob „Die Zeit“, „Der Spiegel“, „Weltkunst“, „Art“ oder „Monopol“: Kaum eine Publikation verzichtet in diesen Tagen auf eine seitenlange Reportage aus dem Atelier von Ai Weiwei, 56, den zumindest in Deutschland berühmtesten chinesischen Künstler. Hier hat er bisher die meisten Ausstellungen gehabt. Und Deutschland erwies ihm im vergangenen Jahr auch die Ehre, ihn als Gastkünstler im deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig zu präsentieren.
Lange wurde spekuliert, ob er anlässlich seiner weltweit bisher größten Ausstellung nach Berlin kommen dürfte. Doch nach wie vor ist Ai Weiwei, der 2011 für 81 Tage an einem unbekannten Ort gefangen gehalten wurde, mit einem Ausreiseverbot belegt. Namhafte Persönlichkeiten, darunter der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck, haben sich daher zu den „Freunden Ai Weiweis“ zusammengefunden, um uneingeschränkte Reisefreiheit für den Künstler zu erreichen. Offenbar hat aber auch der deutsch-chinesische Gipfel in der vergangenen Woche keine Lösung herbeigeführt. Der Künstler, der angeblich bereits auf gepackten Koffern saß, ist nicht nach Berlin gereist.
Seine Kunst dagegen konnte die Volksrepublik China gleich containerweise verlassen. In China mit einem Ausstellungsverbot belegt, darf Ai Weiwei, unbehelligt von der Zensur, auch regimekritische Arbeiten ins Ausland exportieren. Unter dem Titel „Evidence“ zeigt der Berliner Martin-Gropius-Bau jetzt auf rund 3.000 Quadratmetern eine große Retrospektive mit Arbeiten aus der Zeit von 1987 bis 2014. Der Titel „Evidence“, eigentlich „Beweis“ oder „Beweismittel“ im Zuge eines Strafverfahrens, steht gleichzeitig für den Beweis von Ai Weiweis Existenz und seiner fortwährenden künstlerischen Aktivität.
Vorbei an überall installierten Überwachungskameras aus weißem Marmor, die an die ständige Überwachung Ai Weiweis erinnern, gelangt der Besucher früher oder später zur spektakulärsten Arbeit der über 18 Säle verteilten, materialreichen Schau: Im Lichthof des Gropius-Baus sind 6.000 antike Holzschemel aufgestellt, wie sie seit Jahrhunderten in ländlichen chinesischen Haushalten in Benutzung sind.
Scheinbar identisch, sieht jeder jedoch etwas anders aus und trägt die Spuren seines individuellen Gebrauchs. Unterschiedliche Anstriche und Verwitterungszustände ergeben ein pixelartiges Gesamtbild. Für Ai Weiwei stellen diese Hocker die Überbleibsel der Landflucht und den damit einhergehenden Traditionsverlust der modernisierungssüchtigen chinesischen Gesellschaft dar. Eine andere Arbeit hat dieselbe Stoßrichtung. Für „Han-Dynastie-Vasen mit Autolack“ überzog Ai Weiwei acht antike Vasen aus der Zeit zwischen 202 v.Chr. bis 220 n.Chr. mit angesagten Autolacken der Nobelmarken Mercedes Benz und BMW. Aus antiken Artefakten macht er so Lifestyle-Produkte der Konsumgesellschaft und hält dieser den Spiegel vor.
Doch aus eben diesen Arbeiten spricht eigentlich auch das ganze Dilemma seiner Kunst: Alles steht für etwas, ist leicht dechiffrierbar und bedient die westliche Schau- und Kauflust nach plakativ operierender Dissidenten-Kunst chinesischer Provenienz.
Geschult ist Ai Weiweis Ästhetik an den Strategien westlicher Kunst, mit der er während seines New York-Aufenthalts zwischen 1981 und 1993 in Kontakt kam. Als Vorbilder nennt er Künstler wie Marcel Duchamp oder Andy Warhol. Und so ist auch der unter die Haut gehende Nachbau seiner Gefängniszelle, der jetzt in der Berliner Ausstellung gezeigt wird, so etwas wie ein hyperrealistisches Environment westlicher Prägung. Ai Weiwei hat den zu seinem Schutz vor Verletzungen komplett mit Schaumstoff überzogenen Raum 1:1 für die Berliner Ausstellung nachgebaut – inklusive der gleißenden Beleuchtung.
„Ich wähle die Themen aus, die den größten gemeinsamen Boden haben, bei denen die öffentliche Meinung einerseits stabil erscheint und zugleich doch wandelbar“, hat Ai Weiwei einmal gesagt. Das klingt nicht gerade nach einer totalen Konfrontation mit den Machthabern. Ist Ai Weiwei also tatsächlich ein regimekritischer Dissident oder eher ein Meister der Selbstinszenierung? Oder ein von westlichen Großsammlern wie dem Schweizer Uli Sigg hofierter Kunstmarktstar, dessen Werke für immer neue Rekordsummen verkauft werden? Oder gar, wie manche Exilchinesen meinen, eine Art Feigenblatt der Partei, das – wohlgemerkt im Westen – einzelne Missstände anprangern darf, ohne jedoch das zutiefst korrupte System, von dem auch er als gut verdienender Künstler und Architekt mit Verbindungen zum Establishment profitiert, in Frage zu stellen?
Gereon Sievernich, der Direktor des Martin-Gropius-Baus, betont jedenfalls die aktuelle Notwendigkeit dieser Ausstellung: „Das ist wie eine Flaschenpost, die aus China kommt. Wir müssen uns mit China beschäftigen, und diese Ausstellung ist eine großartige Gelegenheit dazu.“
Auf einen Blick
Ausstellung: Ai Weiwei – Evidence
Ort: Martin-Gropius-Bau Berlin
Zeit: 3. April bis 7. Juli 2014, Mi bis Mo 10-19 Uhr, Di geschlossen, ab 20. Mai täglich 10-20 Uhr
Katalog: Prestel Verlag, 240 S., 200 Farbabb., 25 Euro (Museum), 39,95 Euro (Buchhandel)
Internet: www.gropiusbau.de
www.freundeaiweiweis.de
1 Comment
Also ich bin echt fasziniert von seinen ungewöhnlichen Kunstwerken. Schade dass er nicht überall auftreten darf. Aber ich denke, es reicht wenn er bei uns gut aufgehoben ist.