Stochern im Ungewissen: Die 8. Berlin Biennale verabschiedet sich vom Epizentrum der zeitgenössischen Kunst in Mitte und sucht im alten Westen nach Deutungsansätzen für die Rückwärtsgewandtheit des 21. Jahrhunderts.
Die Berlin Biennale, die in diesem Jahr bereits zum achten Mal stattfindet, zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie auswärtige Kuratoren einlädt, in einen Dialog mit der Stadt zu treten, daraus ein möglichst spannendes Ausstellungskonzept zu entwickeln und dieses dann an variierenden Orten zu präsentieren. Den Auftakt machten 1998 der Schweizer Ausstellungsmacher Hans Ulrich Obrist und die New Yorker Kuratorin Nancy Spector, die gemeinsam mit dem Lokalmatador und Gründer der Kunst-Werke, Klaus Biesenbach, rund um die Auguststraße in Mitte Kunst zeigten, die unter dem Untertitel „Berlin/Berlin“ den Aufbruch der Stadt als internationale Kunstmetropole markierte. Für spätere Ausgaben wurden dann unter anderem so illustre Persönlichkeiten wie der italienische Künstler Maurizio Cattelan oder der junge polnische Kurator Adam Szymczyk engagiert, der bekanntermaßen im Jahr 2017 auch die Documenta 14 leiten wird.
Mit dem kanadisch-kolumbianischen Künstler und Kunsthistoriker Juan A. Gaitán, Jahrgang 1973, schien nun erstmals ein Kurator gefunden, der bereits durch seine südamerikanischen Wurzeln dafür einsteht, den eurozentrisch-nordamerikanisch geprägten Fokus zu erweitern. Und tatsächlich liest sich Gaitáns Künstlerliste so wie ein „Who’s Who“ zeitgenössischer Kunst aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Abgesehen von einigen der üblichen Verdächtigen wie Anri Sala, Carsten Höller, Wolfgang Tillmans, Tacita Dean oder Olaf Nicolai begegnen dem Besucher lauter unbekannte Namen aus der Peripherie des westlich orientierten Kunstbetriebs. So weit, so gut.
Juan A. Gaitán aber scheint ein generelles Problem mit der Behauptungskraft von Kunst zu haben. Mit anderen Worten: Er traut es zeitgenössischer Kunst ganz offenbar nicht mehr zu, mit selbstbewussten ästhetischen Statements auf die Zumutungen der Gegenwart zu reagieren. Die rund 50 Projekte, die er an den drei Ausstellungsorten, den Museen Dahlem, dem Haus am Waldsee und dem KW Institute for Contemporary Art in Mitte, zeigt, verharren überwiegend im Unbestimmt-Provisorischen. Zeichnungen, oft skizzenhaft ausgeführt, dafür aber gleich dutzendfach und aufwendig gerahmt präsentiert, sind das unübersehbare Leitmedium dieser Biennale.
Gaitán verlangt von Kunst, dass sie „einerseits die Wirklichkeit erforscht und andererseits kritisch auf Distanz zu den Mechanismen ihrer Darstellung geht“. Der Betrachter sei dadurch aufgefordert, sich „mit den Werken als Behauptungen von bedingtem Geltungsanspruch zu befassen.“ Ein diffuser Vorschlags- und Selbstbespiegelungscharakter dominiert daher diese Schau. Ein paradoxes Unterfangen, beschneidet sich die Kunst doch durch diese selbst auferlegte Zurückhaltung ihrer gesellschaftlichen Rolle und ästhetischen Evidenz.
Kraftvolle Malerei oder Fotografie sucht man auf dieser Biennale nahezu vergeblich. Videoarbeiten und Filme, wie etwa David Zink Yis 72-minütige Erkundung der unmenschlichen Arbeitsbedingungen in einer peruanischen Silbermine, sind oft von so langer Dauer, dass man sie nur kursorisch im Vorübergehen wahrnehmen kann. Wenn Teilnehmer dann tatsächlich etwas spannend Neues und kulturell Hybrides generieren wie die portugiesische Künstlerin Leonor Antunes, die für ihre Installation in den KW von brasilianischen Ureinwohnern modernistische Raumteiler und andere Möbel herstellen ließ, so laufen diese Highlights Gefahr, im Strom des Immergleichen übersehen zu werden.
Umso erstaunlicher mutet das lau gekochte Süppchen dieser Berlin Biennale an, wenn man Gaitáns eigentlich stimmige Analyse der Berliner Verhältnisse zur Kenntnis nimmt. So interpretiert er das Vorhaben, dem derzeit entstehenden Humboldt-Forum eine rekonstruierte, neoklassizistische Schlossfassade vorzusetzen, zu Recht im Sinne einer global zu beobachtenden, allgemeinen Tendenz, ältere Geschichte rekonstruierend in den Mittelpunkt zu rücken und sich so vom Programm der Moderne im 20. Jahrhundert zu distanzieren.
Gaitáns Entscheidung, ausgerechnet die weit abgelegenen ethnologischen Sammlungen der Museen Dahlem, deren Bestände demnächst ins Humboldt-Forum umziehen, zum Hauptausstellungsort der 8. Berlin Biennale zu machen und die eingeladenen Künstler hier auf den museologisch-kolonialistischen Blick reagieren zu lassen, entbehrt nicht einer gewissen Logik. Es hätte jedoch weitaus kraftvollerer künstlerischer Interventionen bedurft, um diese Biennale wirklich zum Austragungsort zeitgenössischer Debatten werden zu lassen.
Ausstellung: 8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
Ort: Museen Dahlem, Haus am Waldsee, KW Institute for Contemporary Art (Kunst-Werke)
Zeit: bis 3.8.2014. Museen Dahlem und Haus am Waldsee: Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. KW Institute for Contemporary Art: Di-So 12-22 Uhr
Kurzführer: Hatje Cantz Verlag, 240 S., 80 Farbabb., Texte in Deutsch und Englisch, 12 Euro
Katalog: im Laufe des Sommers erscheint noch die umfangreichere Publikation Excursus
Internet: www.berlinbiennale.de<