Vollmondnächte in Münsters Bahnhofsviertel und wilde Männer im Schwarzwald: Kurz nach seiner großen Retrospektive in der Schirn Kunsthalle macht der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger jetzt mit neuen Projekten in Münster und St. Georgen auf sich aufmerksam.
Der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger, Jahrgang 1966, ist in diesem Jahr ein vielbeschäftigter Mann. Gerade erst ist in der Schirn Kunsthalle seine große Retrospektive zu Ende gegangen. Jetzt macht der Grenzgänger zwischen Kunst und Design mit Ausstellungsprojekten in Münster und in St. Georgen im Schwarzwald, der Heimatstadt der umtriebigen Sammlerfamilie Grässlin, auf sich aufmerksam. Knapp 600 Kilometer liegen zwischen den beiden Orten.
Eigentlich ein Katzensprung, verglichen mit den 384.400 Kilometern, die zwischen der Erde und dem Mond liegen. Der Erdtrabant steht nämlich im Zentrum des Projekts „The Moon in Alabama“, das Rehberger jetzt in Münster verwirklicht hat. Im vergleichsweise schmuddeligen und aktuell von Leerstand geplagten Bahnhofsviertel der ansonsten so adretten und einkommensstarken Universitätsstadt hat Rehberger jetzt elf von rund 60 Schaltschrankkästen in bunte und benutzbare Skulpturen verwandelt.
Abgesehen davon, dass die übrigen 49 weiterhin so grau und unansehnlich herumstehen wie eh und je, brillieren die elf gleichmäßig übers Quartier verteilten Schaltkasten-VIPs jetzt mit Features, die sie aus der grauen Masse ihrer Artgenossen hervorheben: Bunte Rohre brechen da unter dem Trottoir hervor und legen sich wie neugierige Raupen über die Kästen, andernorts laden dicke Rohrwülste oder hockerartige Rohrstümpfe zum Hinsetzen und Verweilen ein. Und damit auch wirklich Lust aufkommt, sich auf den Sitzobjekten, die so wirken, als seien sie zuletzt in Kindersendungen der 1970er Jahre als Kulissen verwendet worden, niederzulassen, verfügt jede der Stationen noch über eine große runde Leuchtkugel. Und die sehen spätestens nach Einbruch der Dunkelheit nicht nur aus wie der Mond, sie repräsentieren ihn auch. Tobias Rehberger hat elf Städte rund um den Globus ausgewählt, deren Mond in Liedern besungen oder in Romanen und Gedichten gerühmt wurde.
Die Auf- und Untergangszeiten des jeweiligen Mondes hat er jetzt mit seinen Leuchtobjekten in Münster synchronisiert: Geht der Mond etwa auf der Party-Insel Ibiza auf, so fängt auch sein Alter Ego auf Münsters Berliner Platz vis-à-vis vom Hauptbahnhof zu leuchten an. Guten Abend, gute Nacht und nichts weiter also? Ein bisschen Romantik für verliebte Germanistikstudenten? Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die zahlreichen am Bahnhof Gestrandeten?
Bei einem Künstler wie Tobias Rehberger darf man zu Recht mehr erwarten. Der Maestro aus Frankfurt sah sich nämlich anfangs vor ein ziemliches Dilemma gestellt. Die Idee, graue Schaltkästen in hippe Skulpturen mit Wiedererkennungswert zu verwandeln und dafür summa summarum rund eine halbe Million Euro zu investieren, hatte nicht er, sondern die Immobilien- und Standortgemeinschaft Bahnhofsviertel Münster e.V. (ISG).
Ein Blick auf deren Website genügt, um festzustellen, dass sich hier fast ausschließlich im Viertel aktive Immobilienbesitzer und Gewerbetreibende, sekundiert von Developern und Real-Estate-Spezialisten wie Engel & Völkers, zusammengefunden haben. Nach dem Vorbild größerer Städte lässt die IGS auch ihren privaten „Quartierdienst“ auf schicken Segway-Rollern durchs Viertel patrouillieren. Die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums, in den USA schon gang und gäbe, hält nun also auch in die deutsche Provinz Einzug. Natürlich ist auch das Stadtmarketing von Münster mit von der Partie. Das Projekt soll bereits jetzt auf die dann fünften Skulptur.Projekte im Jahr 2017 Lust machen.
Insgesamt ein etwas heikles Umfeld, in dem man als gefeierter und grundanständiger Kunststar schnell seinen Ruf verlieren kann. Doch Rehberger und mit ihm die Kuratorin des Projekts, Gail Kirkpatrick, die gleichzeitig Leiterin der Kunsthalle Münster ist, waren Profis genug, um sich nicht auf alle Begehrlichkeiten einzulassen. Mit seinen zwar bunten, aber durchaus auch sperrigen Skulpturen, die dem öffentlichen Raum ja noch mehr undefinierbare Leitungen und Rohre hinzufügen statt das Vorhandene zu kaschieren oder hübsch zu dekorieren, hat er dem Gentrifizierungsansinnen, das durchaus hinter dem Projekt steht, einigermaßen den Zahn gezogen.
Er macht uns darauf aufmerksam, dass die Schaltkästen so etwas wie das zentrale Nervensystem unserer Städte verkörpern. Hier laufen alle Stränge zusammen. Hier werden Strom, Telefon, Internet, Notrufsäulen, Brandmelder, Ampelschaltungen, Abwasserventile, Verkehrs- und Überwachungskameras verschaltet und verdrahtet. Und das, was normalerweise unter dem Asphalt verborgen ist, all die Versorgungsleitungen und XXL-Rohre, lässt Rehberger das Trottoir durchdringen, um uns gleichsam zu zeigen, dass unter dem Pflaster eben nicht, wie von den 68ern noch herbeigesehnt, der Strand liegt sondern die durchaus verwundbaren Nervenbahnen der modernen Gesellschaft. Die Anspielung im Titel des Projekts auf Bertold Brechts eigentlich jede Hoffnung zunichte machenden „Alabama Song“ aus der antikapitalistischen Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und die Tatsache, dass Rehberger einen seiner Monde auch über dem verstrahlten Un-Ort Tschernobyl aufgehen lässt, erscheinen da wie subtil eingebaute Störelemente, um sich den Vereinnahmungsversuchen der Auftraggeber wenigstens ein bisschen zu entziehen.
Rehberger pur und überwiegend retrospektiv gibt es dagegen in St. Georgen im Schwarzwald zu sehen. Wie es schon Tradition ist, präsentiert die Sammlerfamilie Grässlin dort nun schon zum siebten Male seit der Eröffnung des Kunstraums Grässlin im Jahre 2006 relevante Werkkomplexe aus ihrer Sammlung. Und das nicht nur im Kunstraum sondern auch in leerstehenden Produktionsgebäuden, Ladenlokalen, dem Sitzungssaal des Rathauses, der Sparkasse und nicht zuletzt den Privathäusern der vor Ort lebenden Familienmitglieder. Unter dem Titel „Klotz am Bein“ sind dieses Jahr skulpturale Werke von Künstlern wie Mark Dion, Kai Althoff, Cosima von Bonin, Andreas Slominski und vielen anderen zu sehen.
Im Fokus der aktuellen Präsentation steht jedoch Tobias Rehberger, der den Kunstraum samt Vorplatz, das Restaurant Kippys und ein Ladenlokal mit einer Auswahl von Arbeiten aus den späten 1990er Jahren bis heute bespielt. Die Schau ist mit Arbeiten aus der Sammlung sowie Leihgaben aus dem Atelier bestückt. Gleich auf dem Vorplatz des Kunstraums hat Rehberger seine schon legendäre Arbeit „Kao Ka Moo“ aus dem Jahr 2000 in einem luftigen und farbenfrohen Stoffzelt installiert. Er hat damals Handwerker im Niedriglohnland Thailand damit beauftragt, einen Porsche 911 nachzubauen.
Als Grundlage diente eine grobe Skizze Rehbergers. Das Resultat, ein taubenblaues etwas plumpes Gefährt, kommt als ambivalente Synthese westlicher und östlicher Projektionen, Konsumbedürfnisse, Statussymbole und Realitäten daher. Im Inneren des Kunstraums sind weitere zentrale Arbeiten zu sehen, so etwa ein Arrangement mit individuell gestalteten und frisch bestückten Blumenvasen, die jeweils als Porträt eines Mitglieds der Familie Grässlin angefertigt wurden. Hinter einem schwarzen Raumteiler, der an modulartige Fassadenelemente erinnert, wie sie im Kaufhausbau der 1960er Jahre üblich waren, verbirgt sich noch die von einem japanischen Teehaus inspirierte Installation „Der Kreislauf (Modell) vorn rein, hinten raus, oben rein…“ (2001/2014). Ein Ensemble, das scheinbar aus der Balance geraten ist. Halb ausgetrunkene Teeschalen stehen etwas chaotisch herum. Ein gelber Fleck an der Wand legt nahe, dass einer der Teilnehmer den Gang zur Toilette nicht mehr abgewartet hat. Allein eine rote Flamingoblume, die einsam in ihrer Vase herumsteht, bewahrt Haltung. Ein kreisrundes Loch in der Wand des Kunstraums erlaubt dann den Durchblick in den Gastraum des Restaurants Kippys. Hier zeigt sich Rehberger, der sonst so gerne den Begriff der Autorenschaft in Frage stellt und für obsolet erklärt, von einer ganz anderen, die individuelle künstlerische Handschrift betonenden Seite: Auf insgesamt 51 Aquarellen hat er „Wilde Männer“ porträtiert: fellbehangene, oft martialisch ausstaffierte Gestalten unter Tiermasken, die mit Glocken, Stöcken und allerlei anderen Objekten den Winter oder irgendwelche Dämonen vertreiben. Ein Phänomen, das natürlich auch auf den lokalen Brauch der schwäbisch-allemannischen Fassnacht verweist, aber im Grunde überall auf der Welt anzutreffen ist. „In meiner Arbeit geht es aber eher um Ungewissheit über das, was man Kunst nennt“, sagt Rehberger. Wer seinen vielfältigen Strategien also auf die Spur kommen möchte, der erhält in diesem Sommer sowohl in Münster als auch im Schwarzwald Gelegenheit dazu. Dem Meister selbst wird er wohl nicht begegnen. Der jettet wahrscheinlich gerade um die Welt, um neue hybride Arbeiten auszuhecken, die die Grenzen zwischen Kunst und Design, Autonomie und Benutzbarkeit, individueller Autorschaft und delegierter Teamarbeit schelmenhaft auf die Probe stellen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: The Moon in Alabama
Ort: Bahnhofsviertel Münster, 11 Standorte
Zeit: permanent
Internet: www.muenster-art-public.de
Ausstellung: Tobias Rehberger
Ort: St. Georgen im Schwarzwald
Zeit: bis Frühjahr 2015. Die Sammlung Grässlin kann nach Vereinbarung mit Fürhung besucht werden. Anmeldung unter Tel: 07724-9161805 oder info@sammlung-graesslin.eu