Kalligraphische Meisterwerke und Schrift als Vehikel des politischen Widerstands: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen in der Sammlung Falckenberg chinesische Schriftkunst aus den letzten drei Jahrzehnten. Dabei sind auch Ai Weiwei und andere Regimekritiker.
Als der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann 1999 auf der Biennale Venedig erstmals im großen Stil chinesische Gegenwartskunst im Westen zeigte, ging ein Raunen durch den Kunstbetrieb. So etwas Grelles, Lautes und Provokantes hatte man seit dem Aufkommen der amerikanischen Pop Art nicht mehr wieder gesehen.
Namen wie Ai Weiwei, Wang Du oder Zhang Huan machten schnell die Runde. Schon damals stammten viele der ausgestellten Werke aus der Sammlung des Schweizer Geschäftsmanns und Ex-Botschafters Uli Sigg, dem wohl weltweit wichtigsten Sammler chinesischer Gegenwartskunst.
Uli Sigg und das noch im Bau befindliche Hongkonger Megamuseum M+, das den größten Teil seiner Sammlung übernommen hat, sind jetzt auch die Hauptleihgeber der Ausstellung „Secret Signs. Zeitgenössische chinesische Kunst im Namen der Schrift“, die die Hamburger Deichtorhallen in ihrer Dependance, der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg, zeigen.
Zu sehen sind rund 110 Werke von 38 Künstlern, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem chinesischen Schriftsystem, der Kalligraphie und der Tuschmalerei auseinandersetzen.
Neben Arbeiten auf Papier und Leinwand werden in der Schau auch Installationen, Objekte, Fotografien und Videoarbeiten präsen-tiert. Und wieder reibt man sich verwundert die Augen. Wo ist er hin, der provokative Gestus chinesischer Gegenwartskunst?
Vieles in dieser Ausstellung wirkt auf den ersten Blick meditativ, harmonisch, ja dekorativ. Ein Eindruck allerdings, der sich bei genauerer Betrachtung einiger Werke als falsch erweist. So mutet etwa Ai Weiweis für „Secret Signs“ ganz neu entstandene raumfüllende Wandarbeit „Divine Diatribe“ zunächst wie eine sorgfältig kalligraphierte Ansammlung von schwarzen Schriftzeichen auf einer weißen Wand an. Wer näher herangeht und die kleinen Übersetzungstexte liest, erkennt jedoch schnell, dass es sich um Auszüge aus dem 2009 verbotenen, regierungskritischen Blog des Künstlers handelt.
Besonders eindrucksvoll auch die Installation von Mao Tongqiang: Mehr als 1.800 Akten mit Briefen und Aufzeichnungen von Privatleuten, die offizielle Stellen zwischen 1949 und 1977 archiviert haben, präsentiert der Künstler als analoges Archiv der Überwachung auf Schreibtischen, in Aktenschränken und auf dem Boden. Angesichts der heutigen Diskussion über Online-Überwachung und Big Data wirkt das Ganze schon fast als hilflos-naiver Versuch staatlicher Kontrolle.
Politik wird also keineswegs ausgespart. Daneben sind in der Schau aber auch faszinierende Meisterwerke der Tuschmalerei zu sehen. Etwa die abstrakten, unter anderem vom Action Painting Jackson Pollocks beeinflussten Gemälde Zhang Weis aus den 1980er Jahren. Oder die 284 Tuschzeichnungen von Bambusstauden auf weißem Reispapier umfassende Serie „Malerei des Augenblicks“ (2006-2008) des in Hamburg lebenden Shan Fan, die die verblüffende Nähe zwischen chinesischer Naturwahrnehmung und der Ästhetik der Schriftzeichen demonstriert.
In wohl keinem anderen Medium manifestiert sich die chinesische Tradition so stark wie in der Schrift. Eingeführt im 3. Jahrhundert vor Christus, war die Beherrschung der über alle Dialekte erhabenen chinesischen Einheitsschrift über Jahrtausende nur einem exklusiven Kreis von Gelehrten und Inhabern politischer Macht vorbehalten.
Erst durch Mao Zedongs Schriftreform 1956 wurde sie vereinfacht und popularisiert. Die Ausstellung „Secret Signs“ zeigt, dass die zeitgenössische chinesische Kunst ihre teils marktschreierische Anbiederung an die Ästhetik des Westens längst wieder hinter sich gelassen hat.
Der Sammler Uli Sigg jedenfalls beobachtet „in der chinesischen Gegenwartskunst schon länger einen »Turn« zurück zur eigenen Tradition“. „Das Ganze“, sagt er, „hat auch zu tun mit dem Wiederaufstieg Chinas zur Weltmacht: Was über 150 Jahre als Wurzel des Niedergangs der Nation diagnostiziert wurde – die chinesische Tradition – wird wieder zum affirmierten Alleinstellungsmerkmal.“
Auf einen Blick
Ausstellung: Secret Signs. Zeitgenössische chinesische Kunst im Namen der Schrift
Ort: Deichtorhallen in der Sammlung Falckenberg. Hamburg-Hamburg
Zeit: 8. November 2014 bis 8. Februar 2015. Sa/So 12-17 Uhr. 25.12.2014 bis 2.1.2015 von 12-17 Uhr geöffnet. Silvester und Neujahr geschlossen. Außerdem kann die Ausstellung im Rahmen von Führungen besucht werden. Termine und Anmeldung unter www.deichtorhallen.de/buchung
Katalog: Snoeck Verlag, 240 S., zahlreiche Abb., 35 Euro (Ausstellung), 48 Euro (Buchhandel)
Internet: www.deichtorhallen.de, www.chinatime.hamburg.de