An Silvester ist vorerst Schluss: Die in die Jahre gekommene Berliner Neue Nationalgalerie wird vom Londoner Star-Architekten David Chipperfield runderneuert. Der genaue Termin der Wiedereröffnung steht allerdings noch in den Sternen.
Geplant wurde der Bau in Chicago. Und ursprünglich war er sogar einmal als Konzernzentrale des Rumherstellers Bacardi in Santiago de Cuba gedacht. Nach der kubanischen Revolution verlegte Bacardi seinen Firmensitz aber auf die Bermudas, und die Planung wurde schnell wieder verworfen. Zwischenzeitlich interessierte sich dann ein Schweinfurter Unternehmer für den Entwurf.
Er plante ein Privatmuseum für seine Sammlung mit Kunst des 19. Jahrhunderts, schreckte dann aber angesichts der Unvereinbarkeit seiner Kollektion mit der kompromisslosen Modernität des Baus zurück. Realisiert wurde er dann schließlich 1968 als Neue Nationalgalerie in Berlin. Der 50 x 50 Meter große, streng reduktionistische Entwurf des deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) hatte also bereits bei seiner Einweihung eine bewegte Geschichte hinter sich. Für seinen Erbauer waren Flexibilität und die Verwendung einmal erprobter und bewährter Elemente ohnehin wichtiger als Originalität um jeden Preis.
Jeder Bau stellte für Mies in erster Linie eine Perfektionierung und Weiterentwicklung des Vorherigen dar. Für ihn war klar: „Man kann nicht jeden Montag eine neue Architektur erfinden.“ Heute gilt die Neue Nationalgalerie mit ihrem stark auskragenden, 65 x 65 Meter messenden Stahldach als eines der markantesten Paradebeispiele der Nachkriegsarchitektur in der deutschen Hauptstadt. Quadrate, wohin das Auge blickt. Die Bodenplatten aus grauem Granit, die Lüftungsschächte aus grün gemasertem Marmor, die Decken- und Fassadenelemente sowie die acht tragenden Außensäulen aus nahezu schwarzem Stahl.
Den Auftakt der Ausstellungsgeschichte in diesem West-Berliner Gegenstück zur alteingesessenen Nationalgalerie auf Ost-Berliner Gebiet markiert die große Eröffnungsschau mit Piet Mondrian unter dem Gründungsdirektor Werner Haftmann, der auch zu den Mitgründern der Documenta gehörte. Im Laufe der Jahrzehnte folgten Ausstellungen zu Yves Klein, Frank Stella, Richard Serra, Joseph Beuys oder Hiroshi Sugimoto. Spätestens seit dem legendären Blockbuster „Das MoMA in Berlin“ im Jahr 2004 und der spektakulären Retrospektive Gerhard Richters 2012 ist das Haus auch für ein breiteres Publikum zur Pilgerstätte geworden.
Hinzu kamen gerade in den Anfangsjahren legendäre Konzertreihen wie etwa „Jazz in the Garden“ oder das Meta-Musik-Festival mit Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Steve Reich oder Terry Riley, die das Haus zu einem Kristallisationspunkt des kulturellen Lebens im damaligen West-Berlin machten.
Für Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, eine Geschichte voller Segnungen, aber auch gelegentlicher Tiefpunkte, zu denen er ganz sicher die massive Beschädigung des Bildes „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue IV“ von Barnett Newman im Jahre 1982 durch einen offenbar von der Boulevardpresse angestachelten Besucher zählt.
Am kommenden Silvestertag allerdings schließt die Neue Nationalgalerie bis auf Weiteres wegen dringend erforderlicher Sanierungsarbeiten. „Wir wissen schon, was wir vermissen werden“, so Eissenhauer. Aber: „Wir freuen uns, dass erkannt wurde, dass wir dieses Haus von Grund auf sanieren müssen, wenn wir es für die nächsten Generationen sichern wollen.“
Für die Renovierung konnte der für seine behutsame Vorgehensweise bekannte, britische Architekt David Chipperfield gewonnen werden. Chipperfield vergleicht seine Aufgabe mit der Restaurierung eines Oldtimers: „Ich fühle mich so wie ein Kfz-Mechaniker, der einen wunderschönen Mercedes 1965 in die Werkstatt gestellt bekommt“. „Doch“, so Eissenhauer, „es geht nicht darum, einen Porsche-Motor einzubauen. Sie werden unter Umständen in das Gebäude hereinkommen und sich fragen: Was ist denn hier neu?“ So wird es auch nach der Renovierung bei der Einfachverglasung in der oberen Halle bleiben. Was an zusätzlicher Isolierung nötig ist, verstecken die Architekten geschickt in den alten Profilen.
Auch Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie, hält die Renovierung für „bitter notwendig“. „Dieses Gebäude konnten wir sicherlich so nicht weiter betreiben.“ Institutionell bleibt die Neue Nationalgalerie über den gesamten Bauzeitraum erhalten und weicht mit großen Ausstellungsprojekten auf andere Häuser der Staatlichen Museen aus.
So ist ab Mai 2015 in der Alten Nationalgalerie die Ausstellung „ImEx“ mit gut 160 impressionistischen und expressionistischen Meisterwerken deutscher und französischer Künstler wie Claude Monet, Edgar Dégas, Max Liebermann, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein geplant. Ab Herbst 2015 werden dann Teile der Sammlung der Klassischen Moderne und der Nachkriegskunst im Hamburger Bahnhof auf 800 Quadratmetern im halbjährlichen Wechsel unter dem Label „Neue Galerie“ präsentiert. Außerdem ist ein längeres Gastspiel im Israel Museum in Jerusalem geplant.
Zentrale Werke der Klassischen Moderne, etwa von Otto Dix, George Grosz und Max Beckmann, werden dort von Oktober 2015 bis März 2016 zu sehen sein. Anlass ist das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland. Ebenfalls 50 wird auch das Museum selbst.
Bauzäune, Kräne und Gerüste lassen noch auf sich warten. Im Januar beginnt zunächst eine rund einjährige Abbauphase. Die circa 1.600 zur Zeit im Haus untergebrachten Kunstwerke inklusive der Großskulpturen etwa von Henry Moore und Alexander Calder müssen demontiert und in andere Depots gebracht werden. Alle von Mies van der Rohe entworfenen Originalelemente wie Türgriffe, Sitzmöbel oder Garderoben aus englischer Mooreiche müssen gesichert werden. Im Anschluss daran rechnet Eissenhauer mit einer Bauzeit von drei bis vier Jahren. Im optimistischsten Fall wäre also 2019 mit einer Wiedereröffnung zu rechnen.
Wer allerdings die Berliner Verhältnisse kennt, kann davon ausgehen, dass dieser Termin nicht eingehalten werden kann. So wird die Staatsoper Unter den Linden bereits seit Herbst 2010 saniert. Der für Ende 2013 geplante Wiedereinzug musste gestrichen werden. Auf einen neuen Termin legt sich die Berliner Verwaltung zur Zeit nicht fest.
Die Kosten, so Eissenhauer, liegen „im hohen zweistelligen Millionenbereich“. Die Mittel dafür werden aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt. Wobei die Finanzierung nicht endgültig gesichert ist. Es kann also, ähnlich wie auch bei der Restaurierung eines Oldtimers, zu unliebsamen Überraschungen kommen. Bleibt zu hoffen, dass das Gesamtprojekt nicht zu einem Fass ohne Boden wird. Die Institution Neue Nationalgalerie und ihr unverwechselbares Gebäude sind für die Berliner Museumslandschaft unverzichtbar.
David Chipperfield jedenfalls geht seine Aufgabe mit großer Gelassenheit an. Gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ blieb er bei seinem Vergleich mit einem Oldtimer: „Wir werden also das Museum ein paar Jahre in der Werkstatt haben, die Motorhaube öffnen und alles in Schuss bringen. Und wenn es dann rauskommt, steckt man den Zündschlüssel rein, fährt einmal um den Block, und alles ist okay.“