MoMA-Standards garantiert: Nach ihrer umfangreichen, 17-monatigen Sanierung erfüllt die große Nordhalle der Hamburger Deichtorhallen jetzt höchste internationale Anforderungen – und besteht zudem jeden Schönheitswettbewerb.
„Das haut einen total um in seiner Großzügigkeit und Dimension“, freut sich Dirk Luckow, der Intendant der Hamburger Deichtorhallen, über die jetzt nach 17-monatiger Bauzeit frisch renovierte Nordhalle. Entstanden sei eine der schönsten Ausstellungshallen für zeitgenössische Kunst in Europa. Luckow verspricht: „Die Hamburger und ihre Besucher werden die Deichtorhallen ganz neu entdecken. Das ist genauso wie bei der ersten Ausstellung hier vor 25 Jahren.“
In der Tat: Die sanierte und nebenbei von überflüssigen Einbauten komplett entrümpelte, dreischiffige Nordhalle wartet nun allein im Erdgeschoss mit einer Netto-Grundfläche von 4.250 Quadratmetern auf. Davon entfallen 3.100 Quadratmeter auf den reinen Ausstellungsbereich. Die größere der beiden Deichtorhallen verfügt damit über die größte zusammenhängende Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst in Europa.
Der Rest steht für den Museumsshop, die Museumspädagogik und Büros zur Verfügung. Außerdem neu entstanden ist ein in warmen, rhythmisch aneinandergesetzen Farben gehaltenes Café, das der Hamburger Maler Michael Bauch gestaltet hat. Durch die neu hinzugewonnenen Räume an der Westseite der Halle richten sich die Deichtorhallen erstmals auch städtebaulich in Richtung Hafencity und Speicherstadt aus. Selbstverständlich berücksichtigt wurden auch die heutzutage strengen energetischen Richtlinien. Das Dach wurde dementsprechend gedämmt. Die historische Einfachverglasung der Fenster durfte nicht entfernt werden, sie wurde lediglich denkmalgerecht erneuert. Erhebliche Energieeinsparungen erreichen die Architekten aber trotzdem: Durch eine Art Pufferzone in Form neu eingesetzer, rundumlaufender Innenwände und Vorhangfassaden. Rund 16 Millionen Euro aus dem Infrastruktur-Topf der Stadt Hamburg wurden investiert.
Gleich beim ersten Betreten der Halle bemerkt man, wie viel heller und angenehmer die Lichtverhältnisse geworden sind. Tageslicht fällt jetzt durch Oberlichter und Außenfenster, die mehr als zwei Jahrzehnte lang von Einbauten versperrt waren. Der Raumeindruck ist dadurch ein völlig anderer. 840 neue, stufenlos dimmbare LED-Strahler, die – je nach Bedarf – kälteres oder wärmeres Licht produzieren, sorgen zudem für eine optimale Ausleuchtung. Für die ursprünglichen Strahler waren mittlerweile noch nicht einmal mehr die Leuchtmittel erhältlich. Die Wattzahl der neuen Spots konnte zudem von 250 Watt auf 35 Watt reduziert werden, was eine erhebliche Energieeinsparung bedeutet. Bert Antonius Kaufmann, der Kaufmännische Direktor der Deichtorhallen, ist begeistert : „Als die Beleuchtung das erste Mal angemacht wurde, haben wir richtig gute Laune gekriegt.“
Geplant hat den sehr sensiblen und behutsamen Umbau der zwischen 1911 und 1913 errichteten, denkmalgeschützten ehemaligen Markthalle das Büro Gregor Sunder-Plassmann Architekten im schleswig-holsteinischen Kappeln an der Schlei. Das Büro war unter anderem auch für den Neubau des Museums Kunst der Westküste auf der Insel Föhr und die Neugestaltung des Eingangsbereichs der Kunsthalle zu Kiel verantwortlich. Das ebenfalls von Sunder-Plassmann Architekten entwickelte „Museum of Innocence“ in Istanbul, es ist dem Werk und der Sammelleidenschaft des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk gewidmet, erhielt 2014 den Titel „Europäisches Museum des Jahres“.
Die Sanierung der großen Deichtorhalle war allerdings auch dringend notwendig geworden. Durch undichte Stellen im Dach waren Kunstwerke akut bedroht. Zudem erfüllte die Halle längst nicht die Standards, die heute von großen Museen wie dem MoMA in New York, der Londoner Tate Gallery oder dem Pariser Centre Pompidou für deren millionenteure Leihgaben gefordert werden. Der strenge „MoMA-Standard“, also absolut konstante Werte, insbesondere bei der Temperatur, Luftfeuchtigkeit und dem UV-Schutz, so Luckow, könne jetzt in der ganzen Halle garantiert werden. Er gelte im Übrigen auch für Sicherheitstechnik und Bewachung. Luckow: „Wir sind jetzt topp im internationalen Leihverkehr.“
Doch zum Luftholen bleibt Luckow keine Zeit. Gleich zwei Stunden nach der Übergabe des Baus durch den Architekten am vergangenen Freitag – die leere Halle wurden noch rasch fotografiert – begannen auch schon die Aufbauarbeiten für die erste Ausstellung nach der Modernisierung. Ab dem 1. April präsentieren die Deichtorhallen die spektakuläre Eröffnungspräsentation „Picasso in der Kunst der Gegenwart“, die rund 200 Arbeiten von über 90 internationalen Künstlern versammelt, die Picasso, den Übervater der Kunst des 20. Jahrhunderts, als Inspirationsquelle benutzen, ihn hinterfragen, persiflieren, sich an ihm abarbeiten oder ihn zu überwinden versuchen. Darunter Paul Klee, Marlene Dumas, David Hockney, Andy Warhol, Cindy Sherman, Kader Attia und sogar der Rapper Jay Z. Dirk Luckow: „Was die Streuung der Leihgaben betrifft, ist das die aufwendigste und komplexeste Ausstellung, die die Deichtorhallen je durchgeführt haben.“ Man darf gespannt sein.