Bloß weg vom Klischee der exklusiven Milliardärsveranstaltung: Mehr denn je versucht sich die 46. Art Basel einem breiteren Publikum zu öffnen. Gleichzeitig besinnt sie sich auf ihre Stärken und zeigt die Klassiker des 20. Jahrhunderts in konzentrierterer Form als je zuvor.
Basel. Dass die zeitgenössische Kunst allzu oft bloß um sich selbst kreist, ist ein häufig gehörtes Vorurteil. Aber vielleicht ist da ja auch was dran. Der Berliner Künstler Julius von Bismarck, Jahrgang 1983, jedenfalls tritt auf der diesjährigen 46. Ausgabe der Kunstmesse Art Basel den Beweis an, dass es sich in einem selbstgeschaffenen Setting relativ gut aushalten lässt – auch wenn alle zuschauen und man sich tatsächlich alle vier Sekunden um die eigene Achse dreht. „Egocentric System“ nennt sich von Bismarcks Dauerperformance, während der der adelige Künstler mit dem markanten Vollbart acht Stunden täglich in einer rotierenden Betonschale mit einem Durchmesser von nur fünf Metern haust.
Bett, Tisch, Lampe und Stuhl – alles Wichtige ist da. Ein perfekt ausbalanciertes Verhältnis von Geschwindigkeit, Fliehkraft und Gewicht verhindert, dass Künstler und Mobiliar durch die Halle schleudern. Nur rausschauen sollte er nicht, dann würde ihm unweigerlich übel werden. Von Bismarcks ebenso selbstironische wie anstrengende Zurschaustellung des Künstler-Ichs ist einer der Hingucker und Publikumslieblinge in der von Gianni Jetzer kuratierten Messesektion Art Unlimited, welche auf 15.000 Quadratmetern 74 großformatige oder raumgreifende Arbeiten versammelt. Auch der chinesische Künstler Ai Weiwei ist mit seiner Installation „Stacked“ aus 760 gestapelten Fahrrädern vertreten, die sich einerseits auf den Vater der Konzeptkunst, Marcel Duchamp, bezieht, andererseits auf die chinesische Arbeiterklasse und ihr Hauptfortbewegungsmittel anspielt.
Kunst auf Weltniveau in Basel: Als am Dienstagmorgen um 11 Uhr die Türen der wichtigsten Kunstmesse der Welt für die stolzen First Choice-Kartenbesitzer öffneten, ging sofort der Run auf die heiß begehrten Kunstwerke los. 284 Top-Galerien aus 33 Ländern und fünf Kontinenten wurden aus über 800 Bewerbern ausgewählt.
Sammler, Kuratoren, Kunstberater und Kritiker aus der ganzen Welt nutzen die Nummer 1 unter den Kunstmessen als Stimmungsbarometer und El Dorado für Werke auf höchster Qualitätsstufe. Darauf, dass diese nicht immer nur atelierfrisch sein müssen, legt Art Basel-Direktor Marc Spiegler großen Wert. In diesem Jahr wurde daher der historische Sektor der Messe mit klassischer Kunst ganz neu aufgestellt. Wer Picasso, Yves Klein, Max Ernst oder Alberto Giacometti kaufen will, soll nicht mehr in der ganzen Halle suchen müssen. 57 Galerien, die sich auf Kunst aus der Zeit von 1900 bis 1970 spezialisiert haben, rücken jetzt enger zusammen. „Galerien mit ähnlicher Kunst lagen zu weit auseinander. Deshalb haben wir das ganze Erdgeschoss neu gegliedert“, betont Spiegler.
Außerdem stellte er in einem Interview mit der Basler Zeitung klar: „Man muss eines sehen: Je höher die Preise an den Auktionen steigen, desto weniger haben sie mit dem täglichen Geschäft der Galerien zu tun. An den Auktionen gibt es eine Konzentration auf wenige Künstler, die sich sehr gut verkaufen.
Das sind vielleicht 50 oder 100. Diese sind auch an unserer Messe vertreten, doch insgesamt werden hier mehr als 4.000 Künstler gezeigt. Wir arbeiten nicht in erster Linie für die bereits gefragten Künstler, sondern für diejenigen, die von den Sammlern und Museumsdirektoren vielleicht erst noch entdeckt werden müssen. Es ist nicht unsere Aufgabe, aus ein paar wenigen Galeristen Milliardäre und aus ein paar wenigen Künstlern Millionäre zu machen. Es geht für uns darum, so vielen Künstlern wie möglich so viele Möglichkeiten zu schaffen wie möglich.“
Großer Zulauf am ersten Messetag am Stand von Esther Schipper aus Berlin, die neue Arbeiten unter anderem von Matti Braun, Tomás Saraceno und Philippe Parreno an den Stand gebracht hatte. Gleich nebenan präsentiert The Modern Institute aus Glasgow neue Skulpturen von Martin Boyce (35.000-45.000 Pfund), der gerade in einer Einzelausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Basel gefeiert wird.
Eine Installation mit fünf mit gefärbtem Wasser gefüllten PET-Flaschen der Schweizerin Pamela Rosenkranz, die gerade in Venedig den Schweizer Pavillon bespielt, dann bei Miguel Abreu aus New York. Noch einmal Venedig: Olaf Nicolai, der zur Zeit vom Dach des Deutschen Pavillons selbst fabrizierte Bumerangs fliegen lässt, ist mit einer großformatigen Zeichnung auf Zeitungspapier in Kombination mit einer Neonskulptur bei Eigen + Art (Berlin, Leipzig) vertreten (45.000 Euro). Eine Bodenskulptur von Pae White aus nebeneinander arrangierten, handgeblasenen Glasskulpturen in Form von Ziegeln dann am Stand von Neugerriemschneider (Berlin) für 70.000 US-Dollar.
Wer nach all der Kunst ein wenig Entspannung sucht, der ist wiederum auf der Art Unlimited gut aufgehoben. Ganz am Ende der Halle hat das brasilianische Künstlerkollektiv Opvivará eine Art Wellness-Oase aufgebaut. In bequemen Hängematten dürfen die Besucher vor sich hin träumen und dabei indianischen Kräutertee schlürfen.
Ein besonderes und zudem kostenloses kulinarisches Erlebnis offeriert auch der thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija: Seine Installation mit dem Titel „Do We Dream Under The Same Sky“ auf dem Messeplatz lädt noch bis zum Sonntag jeden dazu ein, unter der Anleitung eines finnischen Spitzenkochs Gemüse zu schnippeln, am Wok zu stehen, Reis zu kochen und gesundes, asiatisches Essen auszuteilen. Messemüde US-Milliardäre treffen da idealerweise auf noch unentdeckte Kunststudenten, Museumsdirektoren auf Obdachlose. Die Open Air-Gemeinschaftsküche als soziale Utopie und als mutiger Gegenentwurf zur durchkommerzialisierten Kunstwelt.
Auf einen Blick
Messe: 46. Art Basel
Ort: Messe Basel
Zeit: 18.-21.6., 11-19 Uhr
Katalog: Art Unlimited, 176 S., 40 CHF
Internet: www.artbasel.com
Nächster Termin: 16.-19.6.2016