Die Satellitenmesse LISTE in Basel feiert Jubiläum: Auch die 20. Ausgabe kommt wieder als gut bestückter Pool mit überwiegend frischer und junger Kunst daher. Alle wichtigen Top-Sammler schauen hier vorbei.
Viele kamen schon am Montag, um die gefragtesten Stücke zu ergattern. Vor der Eröffnung der Art Basel-Sektion Art Unlimited um 16 Uhr am Nachmittag waren auf der LISTE bereits die ersten Deals gelaufen. Verwöhnte VIP-Sammler, die sich am liebsten mit den dunklen Shuttle-Limousinen durch die Stadt kutschieren lassen, nahmen es auf sich, die engen Treppenhäuser in der ehemaligen Warteck-Brauerei hinauf- und hinabzusteigen und die manchmal versteckten Kojen der 79 Galerien zu erkunden. Über 300 Galerien aus aller Welt hatten sich für die Jubiläumsausgabe der LISTE beworben. Die Jury, die hier über die Teilnahme entscheidet, besteht ausschließlich aus Museumsleuten. Wer genau das ist, wird jedoch bewusst geheimgehalten, um jegliche Kungelei zu verhindern. In diesem Jahr kamen die Teilnehmer aus 31 Ländern, darunter auch Mexiko, Guatemala, Türkei und Rumänien. Die LISTE gilt nach wie vor als wichtigstes Sprungbrett für eine zukünftige Teilnahme an der Art Basel. Jedoch sind auch Rückkehrer willkommen. Wer hier einen Fuß in der Tür hat, darf darauf hoffen, ein Stückchen von dem großen Kuchen abzubekommen, der jedes Jahr im Juni in Basel verteilt wird.
„Was 1996 aus einer Initiative von jungen GaleristInnen entstanden ist, hat sich zur weltweit bedeutendsten Messe entwickelt, welche sich ausschließlich neuen Galerien und mehrheitlich junger Kunst widmet“, sagt LISTE-Direktor Peter Bläuer. 20 Jahre LISTE ist eine Erfolgsgeschichte. Wenn abends um 19 Uhr die Tore der Art Basel schließen, eilen etliche Sammler, Kuratoren und Galeristen noch schnell zur Satellitenmesse unweit des Wettsteinplatzes, um bis 21 Uhr ungewöhnliche Entdeckungen zu machen und Nachwuchskünstler kennenzulernen.
So etwa am Stand von Hunt Kastner aus Prag. Die tschechische Galerie präsentierte eine Solo-Show des Fotokünstlers Jiří Thýn. Der 1977 geborene Tscheche nutzt das Medium Fotografie auf innovative Art und Weise. Er bearbeitet Seiten aus Kunstmagazinen mit Übermalungen, Faltungen, Cut outs und Beschriftungen und erzeugt so neue Bedeutungsebenen und ästhetische Verschiebungen, die an die Formensprache des Konstruktivismus erinnern. Thýn arbeitet bewusst in analoger Technik. Ihm gelingt es, mit seinen Modifikationen die Fotografie ins Dreidimensionale zu überführen. Seine Verwendung von Vintage-Pressebildern aus den Ostblockstaaten der 1950er und 1960er Jahre, deren propagandistische Botschaften er übermalt, in Vitrinen neu arrangiert und mit eigenen poetischen Texten kommentiert, entlarven ihn als genauen Beobachter historischer und politischer Ereignisse in seinem Heimatland. Die Arbeiten kosteten zwischen 800 und 5.000 Euro. Sie sind entweder als Unikate oder in 5er-Auflagen erschienen.
Bereits seit 2008 nimmt die Berliner Galerie Croy Nielsen an der LISTE teil. „Die ersten Jahre haben wir immer Solopräsentationen gemacht, aber es ist auch schön, die Vielfalt unseres Programms zu zeigen“, sagt Henrikke Nielsen. Auf besonderes Interesse stießen die Assemblagen der Dänin Nina Beier, Jahrgang 1975, die zur Zeit in einer Einzelausstellung im Hamburger Kunstverein gezeigt wird. Beier presst Daunenwesten, Haar-Extensions und bedruckte Hermès-Krawatten hinter die Glasscheiben handelsüblicher Bilderrahmen. Als Trägermaterial dienen ihr dünne Schaumstoffplatten. Die an Kompressionen erinnernden Arbeiten in verschiedenen Größen kosteten zwischen 7.000 und 13.000 Euro. Ebenfalls am Stand: eine konzeptuelle Zeichnung des US-Malers Sebastian Black, die er bei einem professionellen Illustrator in Auftrag gegeben hat. Der 1985 geborene New Yorker ließ sich formalästhetisch von einem Einzahlungsformular einer New Yorker Bank inspirieren. In Zeiten des Online-Banking ein aussterbendes Relikt des Papierzeitalters. Die Zeichnung zeigt in der realistischen Anmutung einer konventionellen Architekturzeichnung ein fiktives Bank-Hochhaus, dessen Architektur 1:1 mit den geometrischen Formen auf dem Vordruck des Formulars korrespondiert. Das Unikat war für 6.000 US-Dollar im Angebot.
Sehr gefragt waren auch die psychedelisch anmutenden Buntstiftzeichungen des 1984 geborenen New Yorkers Sam Pulitzer bei der Galerie Gaga aus Mexico City. In einer hybriden Ästhetik, die sich Elemente aus Schauermärchen, Romantik, Freimaurersymbolik und Comics der 1970er Jahre einverleibt, entstehen präzise ausgeführte, figurative Zeichnungen, auf welchen immer wieder die Motive Auge und Ei auftauchen. Die Unikate wurden einzeln für 6.000 US-Dollar oder als mehrteiliges Set für 24.000 US-Dollar angeboten.
Eine interessante Videoarbeit dann am Stand von Hollybush Gardens aus London. Die 1973 geborene Schwedin Johanna Billing hat 2009 in einer Schule im rumänischen Ort Iasi den fast 17-minütigen Film „I’m Lost Without Your Rhythm“ gedreht. Zu dem eingängigen Sound einer schwedischen Band fängt die Documenta-Teilnehmerin fast beiläufig die Choreographie des Schulalltags ein: Prüfungsklausuren, die auf altmodischen DDR-Schreibmaschinen getippt werden, Rangeleien auf dem Schulhof, Musikunterricht in der renovierungsbedürftigen Aula, gelangweilte Nachbarn, streunende Hunde, dichter Verkehr in der Rush Hour, Handwerker beim Hantieren mit einem überdimensionalen Vorhang. Doch aufgepasst: Was wirkt, wie die realistische Dokumentation des Schulalltags ist in Wirklichkeit eine von Choreografinnen wie Trisha Brown und Yvonne Rainer inspirierte freie Improvisation, die Billing mit Tanzschülerinnen erarbeitet hat. Das Video in einer 6er-Auflage war für 25.000 Britische Pfund im Angebot.
Einen herausragenden Stand präsentierte die Galerie Proyectos Ultravioleta aus Guetamala City. Die Lateinamerikaner nahmen das Buch „Traurige Tropen“ von Claude Lévi-Strauss zum programmatischen Ausgangspunkt ihrer Zusammenstellung von sieben Künstlern aus den Tropen. Gewalt, Härte und der ständige Kampf ums Überleben wurden ebenso thematisiert wie Humor und Poesie, die unerlässlich sind, um in einer permanenten Bedrohungssituation das Leben zu meistern. Der in einer Straßengang in Guatemala sozialisierte Jorge de León, Jahrgang 1976, visualisiert Brutalität und die Gegenwart von Gewalt auf abstrakten Zeichnungen, die durch das aggressive Scratchen auf einer mit schwarzer Farbe bemalten Metalloberfläche entstehen. Die Unikate waren für 1.300 US-Dollar im Angebot. Ein Sammler schlug sofort zu und kaufte ein Konvolut von neun Zeichnungen. Die Fotografie „Vehicle Theft No 1“ von Byron Mármol, Jahrgang 1984, zeigt einen vom Künstler provozierten Autodiebstahl in der Bildsprache des US-amerikanischen Fotografen Philip-Lorca diCorcia. Marmól platzierte sein eigenes Auto an einem Ort, der für häufige Autodiebstähle bekannt ist, wartete nicht lange und drückte genau im richtigen Moment auf den Auslöser: Der Blitz der Kamera zeigt die Diebe in flagranti. Die Fotografie in 3er-Auflage kostete 2.500 US-Dollar. Weiter am Stand: Jesus Bubu Negrón, Jahrgang 1975, aus Puerto Rico fertigt überdimensionale, ausgedrückte Zigarettenstummel, die wiederum aus nichts anderem als weggeworfenen Zigarettenstummeln bestehen, die der Künstler an notorischen Verbrechensschwerpunkten aufsammelt und dann im Atelier zusammenklebt. Sie waren für 9.000 US-Dollar im Angebot.
Bereits zum vierten Mal in Folge nahm die Galerie Sabot aus Cluj-Napoca (Klausenburg) in Rumänien an der LISTE teil. Galeristin Daria Dumitrescu ist sehr zufrieden mit der Resonanz in Basel: „Bei uns kaufen überwiegend französische und amerikanische Privatsammler und Institutionen aus der ganzen Welt“, resümiert sie. In diesem Jahr hatte Sabot auf einem ungewöhnlichen Display aus Metallgittern überwiegend Malerei junger rumänischer Künstler im Angebot, die auch in anderen Medien installativ und konzeptuell arbeiten. Die Preise variierten zwischen 800 und 15.000 Euro.
Die Berliner Galerie Supportico Lopez präsentierte unter anderem den Londoner Maler Charlie Billingham. Der 1984 geborene Brite nimmt Buchillustrationen, satirische Massendrucke aus dem goldenen Zeitalter der englischen Karikatur im 18. und 19. Jahrhundert etwa von James Gillray (1757-1815) zum Ausgangspunkt für seine Gemälde, die in verschiedenen Farben und Techniken entstehen. Die historischen Motive fragmentiert er und überführt sie in teils poppige Neuinterpretationen, wobei der despektierliche, die Obrigkeit ins Lächerliche ziehende Charakter der Vorlagen eher noch betont wird. Billingham arbeitet mit imprägnierten Leinwänden, so dass sich die Farben verwischen lassen. Durch Spraytechnik erzielt er abstrakte Effekte. Die Arbeiten waren für 5.000 bis 17.000 Pfund im Angebot und stießen auf große Resonanz.
Zum elften Mal wartete die LISTE in diesem Jahr mit einem anspruchsvollen Performance-Programm auf. Eva Birkenstock, Kuratorin der KUB Arena im Kunstmuseum Bregenz und gerade von einem einjährigen New York Aufenthalt als Curatorial Resident am Goethe-Institut-Ableger Ludlow 38 zurückgekehrt, nahm Traditionen der Body Art, Queer Culture und der direkten Publikumsbeteiligung zum Ausgangspunkt eines täglich wechselnden Programms mit Teilnehmern aus der Schweiz, Deutschland, den USA, den Niederlanden und Belgien. Die Arbeit „Some were carried, some dragged behind“ der in Amsterdam lebenden litauischen Choreographin Eglé Budvytyte, die den Abschluss des Projekts bildete, stellte für die fünf Darsteller eine enorme körperliche Strapaze dar. In wechselnden Konstellationen zogen und schleppten sich die Tänzer unterhalb des Basler Münsters und am Rheinufer Schotterwege und Treppen hinab und hinauf, bis ihre Kleidung nur noch in Fetzen herabhingen. Das Publikum folgte dieser anrührenden Mischung aus Passionsspiel, Body Art und Grenzgängertum überwiegend schweigend wie bei einer Prozession.
Zurück aufs Warteck-Areal: Wer seinen LISTE-Rundgang unten im stets gut besuchten Barbereich ausklingen lassen wollte, konnte sich sicher sein, dass die beliebte Kalbsbratwurst hier nach wie vor so gut schmeckte wie einst auch in der Rotunde auf der Art Basel. Während dort mittlerweile ein bekannter deutscher Caterer das Regiment übernommen hat, verlässt man sich auf der LISTE noch immer auf den guten Basler Metzger. Überzeugt vom Essen, überzeugt von der Qualität der Kunst: Messedirektor Peter Bläuer kann sich auf sein gut eingeführtes, ebenso anspruchsvolles wie symphatisch unprätentiöses Konzept weiterhin verlassen und den nächsten Jahren mit junger Kunst auf hohem internationalen Niveau entspannt entgegenblicken.
Auf einen Blick
Messe: LISTE – Art Fair Basel
Katalog: 230 S., 15 CHF (bereits ausverkauft)
Internet: www.liste.ch
Nächster Termin: 14. – 19. Juni 2016 (Vernissage für geladene Gäste am 13.6.)