Rain drops keep fallin‘ on my head: Ihre begehbare Installation „Rain Room“ war bereits im Londoner Barbican Center und im New Yorker Museum of Modern Art ein Publikumsrenner. Jetzt ist das in London beheimatete, deutsch-britische Künstlerkollektiv Random International damit im privaten YUZ Museum in Shanghai zu Gast.
Shanghai. Shanghai im Spätsommer. Temperaturen um die 30 Grad Celsius und fast 100% Luftfeuchtigkeit. Schon morgens hängen Wolken und Smog tief über der Stadt. Es herrscht ein für die Jahreszeit typisches Waschküchenklima. Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt 50%. Wolkenbruchartige Niederschläge sind also an der Tagesordnung.
Wer ohne Schirm oder Anorak durch den strömenden Regen geht, muss sich daher darauf gefasst machen, nass zu werden. Nicht so im „Rain Room“ des deutsch-britischen Künstlerkollektivs Random International, der jetzt einige Kilometer außerhalb des Stadt-zentrums im privaten YUZ Museum präsentiert wird. Die begehbare Großinstallation, die nach Stationen im Londoner Barbican Center (2012) und im New Yorker Museum of Modern Art (2013) jetzt in der chinesischen 24-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai zu Gast ist, ermöglicht das Unmögliche.
Besucher, die die rund 150 Quadratmeter große, artifizielle Strichregen-Zone in einem komplett schwarz gehaltenen Ausstellungsraum des YUZ Museums betreten, können diese entspannt durchwandern – ganz ohne nass zu werden. Ein ausgeklügeltes, softwaregesteuertes System von Bewegungsmeldern, 3D-Überwachungskameras, Elekromagnetventilen, Druckminderungs-vorrichtungen, tausenden einzeln ansteuerbaren High-Tech-Wasserdüsen und vielen anderen technischen Finessen sorgt dafür, dass genau dort, wo sich der Besucher gerade befindet, der Regen innehält. Angezogen von einem gleißenden Scheinwerferlicht am anderen Ende des Raumes, laufen die Besucher über einen kellergitterartigen Boden, unter dem das Wasser aufgefangen, aufbereitet und wieder in den Kreislauf eingeschleust wird. 1.800 Liter Wasser werden so pro Minute durch das System geschickt.
Das Resultat: Während es um einen herum schnurregenartig schüttet und der Ausstellungsraum vom unüberhörbaren Tropfgeräusch der herabrieselnden Wassermassen erfüllt ist, kann man trockenen Fußes das mit großem Aufwand simulierte Naturschauspiel studieren, andere Besucher dabei beobachten, wie sie staunend und sterntalermäßig nach oben blicken, ihre Hände ausstrecken oder durch hektische Bewegungen versuchen, die Technik auszutricksen, um dann doch ein kleines bisschen nass zu werden. Was auch wieder nicht schlimm ist, denn das diensteifrige Aufsichtspersonal steht mit Papierhandtüchern bereit, um kleine Spritzer gleich wieder abzutrocknen. Denn so ausgefeilt die Technik auch ist: Wer sich nicht an die vorgegebene Choreographie hält, sich schneller als die anderen bewegt, ja bewusst aus der Reihe tanzt, wird dann doch bespritzt. Idealerweise verweilt man an einer zufällig gefundenen Stelle, die dann zu einem inselartigen Rückzugsort wird, während um einen herum das Wasser sintflutartig von der Decke regnet. Der „Rain Room“ ist ein interaktives Kunstwerk für alle Sinne: Der Besucher erlebt das Gefühl von Nässe, das Geräusch plätschernden Wassers, das Interagieren mit der Technik und anderen Besuchern sowie die Wahrnehmung eines scheinbaren Naturereignisses, das jedoch paradoxerweise mittels komplizierter, digitaler Technik gesteuert wird.
So ermöglicht die Installation ein Naturerlebnis ganz jenseits der Natur. Sie schafft ein ebenso poetisches wie surreales, letzlich alle Sinne umfassendes und herausforderndes Ambiente. Und sie knüpft damit an eine jahrhundertehalte Tradition der ästhetischen Erbauung durch die künstlerische Inszenierung des Elements Wasser im architektonisch geprägten Raum an. Rund 500 verschiedene Brunnen, Wasserspiele, künstliche Grotten sowie eine Wasserorgel weist etwa die aus der Renaissance stammende Villa d’Este in Tivoli bei Rom auf. Führende Architekten der Moderne wie Frank Lloyd Wright, Philip Johnson oder I. M. Pei haben gezielt Wasserfälle oder Wasservorhänge in viele ihrer Bauten integriert. Wohl wissend, dass Wasser ein extrem geduldiges, variables, beliebig formbares und flexibles Material ist. Es ist fast überall verfügbar, preiswert und ökologisch unbedenklich. Wasser fließt, es tropft, es spritzt, es schäumt. Man kann es zu unendlich feinem Sprühnebel zerstäuben, vertikal herabstürzen lassen oder sanft über Oberflächen leiten. Dabei reinigt es die Luft und sorgt für Abkühlung. Aufgrund seiner vielfältigen physikalischen Eigenschaften lässt sich Wasser bildhaft, ja wenn mal will, auch theatral und dramatisch einsetzen. Bühnenbildner lieben dieses Element.
Doch abgesehen von den vergnüglicheren Aspekten dieser Installation, regt die Arbeit auch zur Reflexion über Individualität und Kontrolle in einer übertechnisierten Gesellschaft an. „Man betritt den »Rain Room«, und die Technologie erfasst exakt, wo man sich gerade befindet, ohne dass man das beeinflussen könnte“, gibt sich Klaus Biesenbach, Direktor des Kunstzentrums PS1 und leitender Kurator des Museum of Modern Art (MoMA) in New York nachdenklich. Der Deutsche ist Initiator und Ideengeber der Installation des „Rain Room“ in Shanghai. Der „Rain Room“ sei auch kein „Funhouse“: „Er ist ein Musterbeispiel für die heutige Technologie. Und er führt uns die eigene Zerbrechlichkeit im Angesicht des technologischen Fortschritts vor Augen. Wir bilden uns ein, wir hätten alles unter Kontrolle, aber das stimmt nicht“, so Biesenbach. An den beiden vorherigen Ausstellungsorten in London und New York wurde die Arbeit schnell zum Talk of the Town. Da immer nur eine begrenzte Anzahl von Personen gleichzeitig im „Rain Room“ unterwegs sein darf, bildeten sich zeitweise lange Schlangen mit vier- bis fünfstündigen Wartezeiten. In Shanghai wird jetzt mit einem ähnlichen Andrang gerechnet.
Das im Mai 2014 eröffnete, 9.000 Quadratmeter große Privatmuseum des chinesisch-indonesischen Kunstsammlers und Unternehmers Budi Tek bietet den passenden, spektakulären Rahmen für eine Präsentation des „Rain Room“ in China. Das Magazin „Art & Auction“ zählt Tek zu den derzeit zehn wichtigsten Sammlern weltweit. Sein Interesse gilt insbesondere großen installativen Arbeiten, etwa von Künstlern wie Maurizio Cattelan, Ai Weiwei, Adel Abdessemed, Piotr Uklanski oder Zhang Huan. Dass ein Raum in dem vom japanischen Architekten Sou Fujimoto in einem ehemaligen Flugzeughangar errichteten YUZ Museum jetzt bis Ende des Jahres beregnet wird, passt also genau in Budi Teks Konzept.
Random International wurde 2005 als Studio für experimentelle Praxis in der Gegenwartskunst gegründet. Unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse, untersucht das zur Zeit aus rund zehn Künstlern, Designern, Technikern und Kommunikationsexperten bestehende Studio das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Technik. Im Zentrum ihrer meist partizipativ angelegten Arbeiten stehen häufig komplexe Versuchsanordnungen, die menschliches Verhalten in einer zunehmend technisierten Umwelt auf den Prüfstand stellen.
So bietet etwa die 2010 entstandene Wandinstallation „Self Portrait“ dem Betrachter das Erlebnis, sich selbst als Kunstwerk auf einer spiegelähnlichen, licht-empfindlichen Oberfläche zu betrachten, welches jedoch nach wenigen Augenblicken schon wieder verschwindet. Das verunsicherte Selbst wird hier als ephemere Erscheinung inszeniert. In der Lunds Konsthall im südschwedischen Lund zeigte Random International 2014 ihre ortsspezifische Sound-Installation „What It Isn’t“. 440 von der Decke herabhängende Glasphiolen mit jeweils zwei Messing-Zylindern darin wurden durch die Bewegungen der Besucher in tönende Schwingungen versetzt. Während der Ruhr-Triennale 2013 schließlich präsentierten sie auf der ehemaligen Zeche Zollverein die temporäre Arbeit „Tower – Instant Structure for Schacht XII“, einen vergänglichen Turm nur aus herabfallendem Wasser, der sowohl von Außen betrachtet als auch betreten werden konnte. Die wasserfallartige Installation simulierte ebenfalls einen heftigen Regen, hier allerdings verbunden mit dem Versprechen, auch wirklich nass zu werden.
Geführt wird das Team von seinen Gründern und kreativen Köpfen Florian Ortkrass und Hannes Koch, die sich bereits während ihrer Ausbildung an der Londoner Brunel University und dem Royal College of Art zusammengetan haben. Beide wurden 1975 in Deutschland geboren. Random International operiert von London aus. Es gibt allerdings auch ein Berliner Büro.
Wie steht es um die Autonomie des Individuums in einem Zeitalter, in dem nahezu alle Lebensbereiche durch technische Innovationen durchdrungen werden? Wie kann sich der Einzelne den allgegenwärtigen Kontroll- und Überwachungsmechanismen entziehen? Will er das überhaupt noch? Allzu freiwillig sind immer mehr Menschen bereit, ihr Schlaf-, Ess- und Bewegungsverhalten von Tracking-Armbändern aufzeichnen zu lassen. Und nicht nur das: Die Weitergabe dieser Daten an Ärzte, Versicherungen, Arbeitgeber oder staatliche Stellen scheint meist in stillem Einverständnis zu erfolgen.
Der „Rain Room“ präsentiert dem Besucher eine domestizierte Version des ebenso lebensspendenden, wie potentiell unzähmbaren, gefährlichen und todbringenden Elements Wasser. So regt er auch zum Nachdenken an. Darüber nämlich, dass Wasser nicht immer und überall in ausreichender Menge verfügbar ist, dass es nicht immer sauber und gesund ist, und dass es nicht immer nur Gutes mit sich bringt. Wasser ist ein ambivalentes Element. Es spendet Fruchtbarkeit und Leben, kann aber im nächsten Augenblick schon zur todbringenden Gefahr werden. Im Würgegriff multinationaler Konzerne wird Trinkwasser zudem weltweit zu einem immer stärker begehrten Spekulationsgut.
Spannend dürfte es sein, wie das chinesische Publikum den „Rain Room“ aufnehmen wird. Er kann als Metapher auf die Erhabenheit der Natur und ihre Manipulierung und Dienstbarmachung durch den Menschen mit allen negativen ökologischen Folgen verstanden werden. Man kann die Arbeit aber auch als Parabel auf den sanften, aber dennoch spürbaren Anpassungsdruck in einer immer noch das Kollektiv über das Individuum stellenden Gesellschaft interpretieren. Wie auch immer: Regen gilt auch in China als Symbol für Fruchtbarkeit und Zeugung – so gesehen aber auch für den Aufbruch in eine bessere Zukunft. Schon Konfuzius wusste: „Wenn Himmel und Erde sich befreien, erheben sich Donner und Regen. Wenn Donner und Regen sich erheben, so brechen die Hüllen aller Früchte, Kräuter und Bäume. Die Zeit der Befreiung ist wahrlich groß!“
Hinweis: Unterstützt wurde das Gesamtprojekt von der Volkswagen Group China. Der „Rain Room“ in Shanghai bildet den Auftakt für das kulturelle Engagement des Konzerns in China. Volkswagen als dortiger automobiler Marktführer plant, in Zukunft „die Entwicklung von Projekten für das Erleben neuer Kunst- und Kulturformen“ in China großzügig zu unterstützen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Rain Room
Ort: YUZ Museum, Shanghai, China
Zeit: bis 31. Dezember 2015. Täglich 10-22 Uhr.
Katalog: keine Publikation
Internet: www.yuzmshanghai.org