Stress ade: Der dänische Künstler Jeppe Hein hat die zentrale Halle des Kunstmuseums Wolfsburg in einen Wohlfühl- und Entschleunigungsparcours verwandelt. In der labyrinthisch angelegten Ausstellung mit vielen interaktiven Installationen thematisiert er seinen Burnout – er zeigt aber auch dem Betrachter Wege zu mehr innerer Ruhe und Gelassenheit auf.
Wolfsburg. Er war jung, berühmt, gutaussehend und erfolgreich. Einzelausstellungen in Tokio, Vancouver, Paris, Brüssel und Seattle, dazu noch Gruppenausstellungen und Biennalen in aller Welt, Gastprofessuren, längere Studienaufenthalte im Ausland, Projekte im öffentlichen Raum und zahlreiche andere Verpflichtungen absolvierte er scheinbar spielerisch. Das Jahr 2009 war für den 1974 geborenen dänischen Künstler Jeppe Hein eigentlich überaus erfolgreich. Seine Karriere, die rund zehn Jahre zuvor rasant an Fahrt aufgenommen hatte, war auf ihrem Zenit angelangt. Im Dezember geschah dann aber, was offenbar geschehen musste: Hein erlitt einen schweren Burnout, der ihn dazu zwang, seine bisherige Lebens- und Arbeitspraxis vollkommen in Frage zu stellen und seinen Alltag neu auszurichten.
Entschleunigung, Reflexion, Ruhe und Meditation prägen seitdem sein Leben. Kunst macht er trotzdem. Doch er hat gelernt, Dinge zu delegieren. Hein unterhält in Berlin-Kreuzberg ein Studio, in dem ihm Spezialisten der unterschiedlichsten Disziplinen zur Hand gehen: Architekten, Techniker, Kunsthistoriker oder Kommunikationsexperten. Ein Team, auf das er sich verlassen kann.
Gemeinsam mit dem dänischen Philosophen und Autor Finn Janning hat der Künstler im vergangenen Sommer auch das Buch „The Happiness of Burnout“ vorgelegt. Ausgehend von Jeppe Heins Fall, entwirft Janning darin eine kleine Kulturgeschichte der totalen Erschöpfung. Entstanden ist der Band auf einer 21-tägigen gemeinsamen Wanderung durch Norwegen. Die zentrale Frage darin lautet: Welches Leben ist lebenswert?
Mit Fragen dieser Art beschäftigt sich nun auch die sehr persönlich gefärbte Ausstellung „Jeppe Hein. This Way“, die das Kunstmuseum Wolfsburg noch bis Mitte März 2016 zeigt. Es ist die bisher größte Ausstellung des Künstlers. Jeppe Hein hat die 40 mal 40 Meter große, zentrale Ausstellungshalle des Hauses in ein labyrinthisches System aus ganz unterschiedlichen Räumen, piazzaartigen Ruhezonen, Durchgängen und Sackgassen verwandelt, das durch gleich drei verschiedene Eingänge betreten werden kann. Entstanden ist eine ganz unhierarchische Ausstellung ohne Anfang und Ende, in die der Besucher vorurteilsfrei und spielerisch eintauchen soll. Auf die sonst üblichen Saalschilder und Beschriftungen wurde bewusst verzichtet. Stattdessen hält die Schau, die Arbeiten aus den Jahren 2007 bis 2015 versammelt, jede Menge interaktive Arbeiten und Installationen bereit. Die Besucher werden auf eine Art Wahrnehmungsparcours gesetzt, der an vielen Stellen dazu animiert, den Arbeiten einmal näher zu kommen, als das sonst im Ausstellungsbetrieb üblich ist. Dass man dabei ganz beiläufig in Nebelschwaden gehüllt wird, eine Art Flammenwerfer in Gang setzt, Wasservorhänge auf- und niedergehen lässt oder auf zunächst ganz normal wirkenden Museumsbänken gemächlich durch den Raum gleitet, ist zunächst überraschend – es erweitert aber ungemein die Handlungsoptionen des Betrachters. Während viele seiner Künstlerkollegen heutzutage nur mit coolen Überwältigungs-gesten und hohlen Bedeutsamkeitsformeln operieren, setzt Hein ganz auf die Aktivierung des Betrachters.
„Mir geht es um Entschleunigung, ein Lachen, Augenkontakt und darum, im Moment zu sein und diesen zu genießen“, so Jeppe Hein über seine Kunst. Bis zu seiner Erkrankung war Hein bekannt für seine häufig von der Minimal Art inspirierten Skulpturen aus hochwertigen Industriematerialien, oft voller subtilem Humor, jedoch weitgehend ohne persönliche Handschrift. In Wolfsburg nun präsentiert er unter dem Titel „I am right here right now“ 3253 bunte Aquarelle, die zwischen 2010 und heute entstanden sind. Zu sehen ist eine Art visuelles Genesungstagebuch. Mal nur Kringel, Striche oder ein Motto, dann aber auch wieder stärker ausgearbeitete Motive. Hein lässt den Betrachter hier an seinen Ängsten und Beklommenheiten teilhaben, er zeigt ihm aber auch, wie sich diese nach und nach gelöst haben und er dem Teufelskreislauf des ewigen „Schneller, höher, weiter“ entkommen ist. Für Jeppe Hein führte dieser Weg über fernöstliche Entspannungstechniken, Meditation und Yoga. Dass er sich seit seiner Erkrankung auch intensiv mit dem Buddhismus und Hinduismus auseinandergesetzt hat, ist an vielen seiner neueren Arbeiten ablesbar. Tibetische Klangschalen, die von durch den Raum schwebenden Kugeln zum Klingen gebracht werden, der Atem des Künstlers in farbigen Glaskugeln oder von der Decke hängende Chakra-Leuchtobjekte. Dem Besucher der Schau fällt es streckenweise nicht unbedingt leicht, sich auf den bisweilen hohen esoterischen Gehalt einiger Arbeiten einzulassen. Doch das muss er auch gar nicht. Erstens gibt es genügend andere Arbeiten, die auch ohne spirituelles Rüstzeug erlebbar sind. Und zweitens geht es Hein nicht darum, sein Publikum zu irgendetwas zu bekehren. Wichtig ist es ihm allerdings etwas anderes: „Wenn man hier reinkommt, soll man seinen Kopf freilassen, abschalten vielleicht, und nur spüren. Man kommt in einen Raum rein, und da begegnet man dieser Arbeit, und dann geht‘s weiter in den nächsten Raum. Und da passiert wieder etwas.“
Auf einen Blick
Ausstellung: Jeppe Hein. This Way
Ort: Kunstmuseum Wolfsburg
Zeit: 15. November 2015 bis 13. März 2016. Di-So 11-18 Uhr. Heiligabend, Silvester und Neujahr geschlossen. 1. und 2. Weihnachtstag geöffnet
Katalog: Hatje Cantz Verlag, ca. 184 S., ca. 240 Abb., ca. 39,80, erscheint im Dezember 2015
Internet: www.kunstmuseum-wolfsburg.de