Versuch einer Ästhetik des Bösen: Der Kunstverein in Hamburg bringt mit Lydia Balke, Birgit Brenner, Martin Eder, Bernhard Martin und Dawn Mellor fünf Maler zusammen, deren Werke gängige Vorstellungen von Schönheit unterlaufen.
Hamburg. Das Medium Malerei steht schon seit Jahren unter einer Art Generalverdacht. Zumindest unter Kunstprofis oder denjenigen, die sich dafür halten. Rein marktgängig, unfähig zur Innovation, der Komplexität des digitalen Zeitalters nicht gewachsen. So lauten nur einige der gerne vorgebrachten Totschlagargumente. Kuratoren, die etwas auf sich hielten, mieden Malerei lange Zeit wie der Teufel das Weihwasser. Doch diese rigide Haltung scheint bereits wieder aufzuweichen. Okwui Enwezor etwa präsentiert ausgerechnet Georg Baselitz, einen der Veteranen des Mediums, auf der diesjährigen Biennale Venedig als Schlussakkord des Rundgangs im Arsenale. Zeit also, das viel gescholtene und doch nicht ausrottbare Medium einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Im Kunstverein in Hamburg werden jetzt unter dem leicht provokanten Titel „Malerei, böse“ fünf aktuelle Malereipositionen aus Deutschland und Großbritannien zusammengeführt. Die x-te Überblickschau zur Renaissance des Mediums will Kunstvereinsdirektorin Bettina Steinbrügge jedoch nicht abliefern. Formale Experimente bleiben außen vor. Vielmehr geht es in der Schau um Inhaltliches. Steinbrügges Fragestellung lautet daher: Wie machen sich Künstler den Vertrauensvorschuss, den das gemeinhin als leicht zugänglich geltende Medium bei der Mehrzahl der Betrachter immer noch hat, zu Nutze, um subversive Inhalte zu transportieren, rein konsumistische Erwartungshaltungen zu unterlaufen oder tradierte Wertvorstellungen in Frage zu stellen?
Der wohl bekannteste und gleichzeitig umstrittenste Teilnehmer der Schau ist der Berliner Martin Eder, 47. Im vergangenen Mai noch scharte sich das Vernissagepublikum des Berliner Gallery Weekends in seiner Galerie Eigen + Art um seine neuen Gemälde, die fast altmeisterlich gemalt, stylishe junge Frauen von heute in Ritterrüstungen und Heiligenpose zeigen. Das Ganze abgemischt mit etwas Fantasy und Heavy Metal. Die „New York Times“ bescheinigte ihm einst, seine Malerei sei „ein Jeff-Koons-hafter Versuch, Sentimentalität, Banalität und die Kommerzialisierung von Sehnsüchten und Begierden“ miteinander zu verschmelzen.
Der Kitschverdacht, mit dem Eders Bilder gern belegt werden, trifft auch den Berliner Bernhard Martin, 49. Er wolle Bilder mit „benutzerfreundlicher Oberfläche und benutzerfeindlichem Inhalt“ schaffen, behauptet der Künstler. Dennoch darf vermutet werden, dass seine mit allerlei effekthascherischen Maltechniken „aufgepimpten“ Porträts von Busenwundern und Partyhengsten genau von den Leuten gekauft werden, die sie angeblich bloßstellen sollen.
Die Britin Dawn Mellor, 45, repräsentiert so etwas wie die schlecht erzogene Gegenthese zu ihrer Landsmännin Elisabeth Peyton, deren unschuldig-schwärmerische Celebrity-Gemälde die Idole der Künstlerin eher verklären als sie bloß zu stellen. Auch bei Mellor begegnen uns Popikonen. Bette Davies, Helen Mirren oder Billie Holiday etwa tauchen bei ihr als finster dreinschauende, derangierte Zimmermädchen mit dunklen Ringen unter den Augen oder Pocken im Gesicht auf. Und den Megastar Madonna richtet sie auf ihrem 2007 entstandenen Monumentalgemälde „Strike a Pose“ regelrecht hin. Märtyrergleich durchbohrt von Dutzenden Pinseln, wird die Sängerin von zombiehaften Uniformierten umringt, die ihre Songtexte mit blutroter Farbe auf Demobanner malen.
Die jüngste Teilnehmerin, die 1987 in Dresden geborene Hamburgerin Lydia Balke, steht dem in nichts nach. Ihre ebenso aufwändig wie realistisch gemalten Porträts von notorischen Serienmördern aus der jüngeren Kriminalgeschichte dürften zarter besaitete Gemüter das Blut in den Adern gefrieren lassen. Eines ihrer Gemälde zeigt überlebensgroß den US-amerikanischen Serienmörder Jeffrey L. Dahmer. Er trägt ein gerafftes, weißes Hochzeitskleid, in dessen Faltenwurf Gesichter zu erkennen sind. Sind es die seiner Opfer? Sein eigenes Gesicht ist unter einer Maske in Form eines Schweinekopfes verborgen. Dem auch als „Milwaukee Monster“ bekannten Täter konnten mindestens 17 Morde an jungen Männern nachgewiesen werden. Auf anderen Bildern wiederum kombiniert Balke ihr Selbstporträt mit den Konterfeis von Mördern und stellt somit die ketzerische Frage, ob das Böse wohl der äußerlichen Erscheinung eingeschrieben ist.
Bleibt noch Birgit Brenner. Die 1964 geborene Berlinerin ist die einzige Teilnehmerin dieser Ausstellung, die es wagt, ihre eigene Verwundbarkeit zu thematisieren statt kokette malerische Behauptungen aufzustellen. Ihre sensiblen, bis auf eine Ausnahme kleinformatigen Assemblagen aus Sperrholz, Pappe, Acryllack und Kleber wirken fragil, ja provisorisch. Und sie stellen unbequeme Fragen etwa nach der Legitimität von privaten Konsumbedürfnissen in einer von Krieg, Gewalt und Fluchtbewegungen gekennzeichneten Zeit. Fazit also: Nicht die Malerei an sich ist böse, sondern oft genug das, was sie uns zu zeigen versucht.
Auf einen Blick
Ausstellung: Malerei, böse
Ort: Kunstverein in Hamburg
Zeit: bis 10.1.2016. Di-So 12-18 Uhr
Katalog: keine Publikation
Internet: www.kunstverein.de