Zum 12. Mal in den Hamburger Deichtorhallen zu Gast: Der Wettbewerb „Gute Aussichten“ mit prämierter Nachwuchsfotografie aus deutschen Kunsthochschulen versammelt Aufnahmen von Ist-Zuständen und Utopien.
Neun Preisträger aus 104 Einsendungen von 36 deutschen Kunsthochschulen, ausgewählt von neun Jurymitgliedern. Das sind die nackten Zahlen des Fotonachwuchswettbewerbs „Gute Aussichten“, der jetzt bereits zum zwölften Mal im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zu Gast ist.
Dessen Gründerin, die Kunsthistorikerin Josephine Raab, bezeichnet den namhaften Wettbewerb, dem sich eine internationale Ausstellungstournee anschließt, als „wichtiges Sprungbrett für Nachwuchsfotografen“. Und Ingo Taubhorn, Kurator am Haus der Photographie, verortet die aktuelle Produktion zwischen zwei Polen: „Auf der einen Seite ist Fotografie eine Reflexion über das Medium, auf der anderen Seite stehen die gesellschaftlichen Fragestellungen im Medium Fotografie. In diesem Deutungsraum bewegt sich die junge Fotografie.“
Die gebürtige Polin Maja Wirkus, 36, von der Kunsthochschule Kassel blickt in ihrer raumbezogenen Arbeit „Praesenz || Präsenz“ zurück auf die architektonische Avantgarde im Warschau der 1920er Jahre.
In einem langen Sichtungsprozess näherte sie sich einem Konvolut von Fotografien und Druckerzeugnissen an und übersetzte diese in zwei- und dreidimensionale Objekte. Ebenfalls um Architektur, genauer gesagt um die kalte Perfektion von Nutzbauten und die Beziehung des Menschen zur städtischen Architektur, geht es Aras Gökten, 38, von der Ostkrezschule für Fotografie in Berlin in seiner Serie „Arkanum“. Auch wenn es zunächst so anmutet: Seine Aufnahmen von rein funktionalen Un-Orten wie Mustersiedlungen, Messearchitekturen und Shopping-Malls sind keineswegs digital generiert sondern durchweg analog fotografiert.
Der Titel spielt auf eine alchimistische Geheimlehre an. Eine streng konzeptuelle Arbeit, die Verwandtschaften zu Fotografieikonen wie Stephen Shore und Martin Parr erkennen lässt, präsentiert die Koreanerin Kyung-Nyu Hyun, 36, von der Kunsthochschule für Medien in Köln in ihrer Serie mit dem doppeldeutigen Titel „Nahrungsaufnahme“. Sie hat an 365 Tagen alle ihre Mahlzeiten in Nahaufnahme fotografiert.
Die postkartengroßen Aufnahmen zeigt sie jetzt in konzeptueller Hängung. Anspielungen auf Sharing-Plattformen in den sozialen Netzwerken treffen hier auf das tagebuchartige Dokumentieren von Alltagshandlungen in unterkühlter Closeup-Ästhetik.
Arg affirmativ sind dann die Arbeiten von Gregor Schmidt, 28, von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, der sich auf fotografische Spurensuche in Katar begab. Schmidt zeigt die Bemühungen des autokratisch geführten arabischen Staates, sich bereits heute in einer Zukunft jenseits des Ölbooms zu verorten.
Die Schattenseiten – Tote und Zwangsarbeit auf den WM-Baustellen etwa – blendet er jedoch aus. Ebenfalls auf Spurensuche, in diesem Fall am Ort seiner Kindheit, begab sich Jewgeni Roppel, 33. Der Absolvent der Fachhochschule Bielefeld reiste nach Sibirien und entdeckte dort – inmitten grandioser Natur – spirituell erleuchtete Öko-Kommunen, die obskuren Sektenführern folgen. Seine als Rauminstallation aufgebaute Arbeit „Magnit“ besteht aus Fotografien, einem Video, einer Soundarbeit und Vitrinen mit diversen Drucksachen und Objekten. Ein ikonografisches Geflecht mit großer Suggestionskraft.
Der an der Berliner Ostkreuzschule für Fotografie ausgebildete Kamil Sobolewski, 41, wiederum ist mit seiner Schwarz-Weiß-Serie „Rattenkönig“ vertreten. Kurator Ingo Taubhorn bezeichnet die Serie als die „poetischste Arbeit der Schau“. Auf emotional berührenden Aufnahmen zeigt er etwa einen verschreckten Hund, einen schweißnassen Männerakt oder die bloß noch vierfingrige Hand seiner Mutter.
„Meine Bilder handeln von Liebe und Tod“, sagt der Ute Mahler-Schüler. Lars Hübner, 35, von der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ist ein Vierteljahr lang mit dem Motorrad durch Taiwan gereist und erhielt durch Vermittlung einer Freundin Zugang zu Milieus jenseits der touristischen Pfade. „Ein gutes Bild muss eine Geschichte erzählen“, so Hübner, der in seiner Serie „Nothing to Declare“ aus der europäischen Perspektive heraus ein einfühlsames Bild des „anderen“ Chinas vermittelt.
Die beiden letzten Fotografen der Schau begeben sich auf die Suche nach Bildern im digitalen Zeitalter. Felix Hüffelmann, 33, von der Fachhochschule Bielefeld erzeugt aus eigenen und im Netz gefundenen Bildern ein vieldeutiges Verweissystem zu den Themen Überwachung und Kontrolle.
Kolja Linowitzki, 38, von der Universität der Künste in Berlin erzeugt mit dem Smartphone und analogem Fotopapier faszinierend schöne Fotogramme. Jedes davon ein abstraktes, nur mit Licht gemaltes Unikat.
Aufnahmen also zwischen Ist-Zuständen und Utopien, inneren Befindlichkeiten und dokumentarischen Blicken auf eine sich rasch verändernde Welt, dazu konzeptuelle Herangehensweisen und experimentelle Methoden der Bilderzeugung.
Auf einen gemeinsamen Nenner lässt sich der hier gezeigte Fotonachwuchs zum Glück nicht festlegen. Die virulente Frage danach, wie es mit der Welt weitergehen mag, beantworten die preisgekrönten Nachwuchsfotografen auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Doch gerade das sind doch „Gute Aussichten“ für die Fotografie.
Auf einen Blick
Ausstellung: Gute Aussichten. Junge deutsche Fotografie 2015/2016
Ort: Deichtorhallen Hamburg. Haus der Photographie
Zeit: 4. März bis 17. April 2016. Di-So 11-18 Uhr. Jeden 1. Donnerstag im Monat 11-21 Uhr
Katalog: dpunkt Verlag, 224 S., ca. 350 Abb., 22,90 Euro
Internet: www.deichtorhallen.de, www.guteaussichten.org