Vom Bauarbeiterklo zum Gesamtkunstwerk: Die Hamburger Deichtorhallen würdigen den Bildhauer Andreas Slominski mit dem ebenso humorvollen wie tiefsinnigen Großprojekt „Das Ü des Türhüters“.
Hamburg. Andreas Slominski ist in diesen Tagen ein vielbeschäftigter Mann. Gerade erst wurde seine erste Einzelausstellung in Mexico-City eröffnet. Und in Salzburg machte er Anfang Mai unter anderem mit einer sieben Meter hohen Großskulptur von sich reden, die einer aufgerollten und um 180 Grad gedrehten Straße samt Gullis, Fahrbahnmarkierungen und Kanaldeckeln gleicht. Hintersinnig bearbeitete Nutzobjekte werden bei dem 1959 in Meppen im Emsland geborenen Bildhauer zur Skulptur. Das können ganz normale, fein säuberlich gefaltete Staubtücher sein, ein Zollstock oder ein Eimer Farbe.
Im Falle seiner aktuellen Ausstellung in der 3.800 Quadratmeter großen Halle für aktuelle Kunst der Hamburger Deichtorhallen sind es in erster Linie mobile Toilettenkabinen. Ähnlich wie der Überseecontainer repräsentiert auch das aus vorfabrizierten Kunststoffelementen zusammengenietete „Erleichterungsmodul“ von Bauarbeitern, Marathonläufern, Kirchentagsbesuchern oder – ganz aktuell – den Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften ein Stück unserer mobilen, aber ebenso flüchtigen Moderne.
Die Ausstellung trägt, inspiriert von Franz Kafkas berühmter Türhüterparabel „Vor dem Gesetz“, den Titel „Das Ü des Türhüters“. Und Türen gibt es in dieser ebenso klar gegliederten, wie materialreichen Schau in Hülle und Fülle. Türen, die in mobile Toilettenhäuschen hinein und wieder aus ihnen heraus führen. Aber auch Türen, die, ergänzt um andere Elemente, zu bildhaften Wandobjekten geworden sind. Der Ausstellungsbesucher kann bestimmte Exponate betreten, durch sie hindurchgehen oder sich eine Weile in ihre vier Wände zurückziehen.
Was beim Betreten der Schau sofort auffällt, ist die strenge, spalierartige Anordnung der WC-Kabinen. Der gelernte Bildhauer Slominski versteht es, auch mit großen, ja monumentalen Räumen umzugehen. In den Deichtorhallen hat er sich von der architektonischen Grundform einer Basilika inspirieren lassen. Den ohnehin schon kathedralenartigen Ausstellungsraum gliedert er mit großer Geste in drei Längsschiffe und eine in diesem Falle rechteckige Apsis, die ihm genügend Spielfläche bieten, um sie mit kleineren, überwiegend für die Ausstellung entstandenen Arbeiten zu füllen. Und selbst ganz oben unter der Decke hängt eine Art Kronleuchter aus rosettenartig aneinandergefügten WC-Kabinen. Derart religiös angefixt, könnte man auch auf die Idee kommen, die bunten Mobilklos für moderne Wiedergänger des klassischen Beichtstuhls zu halten. Eine Interpretation, der auch Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow zustimmt. Dienen doch beide Orte der Erleichterung. Slominski selbst hält sich, was die Interpretation seiner Arbeiten angeht, jedoch wie immer bedeckt. Während der Pressekonferenz blieb sein Stuhl leer, er werkelte lieber noch etwas an den Exponaten herum. „Behauptung trifft hier auf Distanzierung“, so Dirk Luckow. Slominski als postmoderner Künstler ziehe zwar alle Register. Er lasse sich aber auf nichts zurückführen und auf nichts festlegen.
In der Hamburger Schau zeigt Andreas Slominski aber auch einige Werke, die eine biografische Lesart zulassen. So stellt er in einer Vitrine „Die Milchkanne meiner Kindheit“, ein behenkeltes Mehr-Weg-Gefäß aus Aluminium, aus. In anderen, teils an Reliquienschreine erinnernden Vitrinen zeigt er Konstruktions-spielzeug in matten Farben aus der ehemaligen DDR. Gehäkelte Toilettenpapierhalter entlarven die Spießigkeit beider Deutschlands. Der im Westen sozialisierte, heute im brandenburgischen Werder an der Havel wohnhafte Slominski fängt mit seismographischem Blick die gesamtdeutsche Alltagskultur von der Barbiepuppe bis zur Bundesligatabelle ein. Aber auch die Malereigeschichte und der Kunstbetrieb selbst werden kräftig auf die Schippe genommen. Unter dem Titel „Moderne Kunst“ präsentiert Slominski eine ganze Reihe von Kunststoffreliefs, die er thermoplastisch berarbeitet hat. Die Umrisse von WC-Brillen treffen da auf die Formen von Pinseln, Staffeleien, Baumstämmen, Baguettes und Marienbildchen. Und am Ende begreift man, dass trotz aller zur Schau gestellten Ambivalenz und Unverbindlichkeit für Andreas Slominski alles mit allem zutun hat: Profanität und Kunst, Körper und Geist, Philosophie und Religion.
Auf einen Blick
Ausstellung: Andreas Slominski – Das Ü des Türhüters
Ort: Deichtorhallen Hamburg. Halle für aktuelle Kunst
Zeit: 14. Mai bis 21. August 2016. Di-So 11-18 Uhr. Jeden ersten Do im Monat 11-21 Uhr. Pfingstmontag geöffnet
Katalog: Snoeck Verlag, erscheint im Juni 2016
Internet: www.deichtorhallen.de