Der US-amerikanische Künstler Jimmie Durham wurde jetzt in Goslar mit dem renommierten Kaiserring ausgezeichnet. In seiner Ausstellung „Evidence“ blickt er unter anderem auf das Zeitalter der Hexenverfolgung zurück – durchaus auch mit Anspielungen auf unsere Gegenwart
Portraitaufnahme von Jimmie Durham Foto: Anno Dittmer/ Faceland Berlin
„Um Mithilfe wird gebeten: Haben sie diese Frau gesehen? Gesucht wird Frau Notburga Harzer, zuletzt wohnhaft im Raum Goslar.“ steht auf den kleinen Steckbriefen, die Jimmie Durham für seine Ausstellung „Evidence“ (Beweis) produziert hat. Darauf zu sehen ist das mit einem bemalten Leinentuch bedeckte Haupt einer alten Frau, die vor einer altmodisch gekachelten Wand eher schemenhaft fotografiert wurde. Sachdienliche Hinweise, so heißt es weiter, nehme das Mönchehaus Museum Goslar entgegen.
Jimmie Durham: Plakat, Foto: Stadt Goslar
Jimmie Durham: Steckbrief, Foto: Mönchehaus Museum Goslar
Der US-amerikanische Künstler, Essayist, Poet und politische Aktivist Jimmie Durham, Jahrgang 1940, der am vergangenen Wochenende mit dem renommierten Kaiserring der Stadt Goslar geehrt wurde, zeigt in der mit der Preisverleihung einhergehenden Ausstellung neben zwei älteren Videoarbeiten überwiegend neue Arbeiten, die einen unmittelbaren Bezug zur Stadt und zur Region herstellen.
Kaiserring Goslar © Stadt Goslar
Jimmie Durham: „Smashing“, 2004, Videostill, Foto: Heiko Klaas
Durham dazu: „Ich wollte eine Arbeit erschaffen, die eine Beziehung zu dem Ort hat. So gehe ich immer vor.“ 1992 und 2012 hat er an der Documenta und fünf Mal an der Biennale Venedig teilgenommen. Darüberhinaus an zahlreichen anderen Biennalen und Gruppenausstellungen rund um den Globus. Einen Kunstpreis allerdings hat er bisher noch nicht erhalten. Die Freude darüber war ihm daher durchaus anzumerken.
Jimmie Durham: The names of the team of scientists who submitted an article on the human chromosome14 in Nature magazine, February 2003, 2003 Assemblage on wood 130 x 100 cm collection Harrie Kolen, the Netherlands Photo: Robby Greif
„Wenn ich ein Stück Holz sehe, den Schädel eines Hundes, eine Plastikflasche, dann fühle ich, dass es da eine Verbindung gibt. Jeder dieser Gegenstände hat eine politische und eine materielle Geschichte, die ähnlich meiner eigenen ist“, erläutert Durham seine Vorliebe für gefundene Objekte, die er zu ebenso assoziationsreichen wie poetischen, ironischen wie politisch aufgeladenen Arbeiten verdichtet.
Jimmie Durham: „Evidence“, 2016, Foto: Heiko Klaas
Die mitunter auch dunkle Magie von Objekten führt der Künstler jetzt auch in Goslar vor. Auf Tischen hat er alle möglichen Fundstücke systematisch angeordnet. Darunter Vogelfedern, Steine, einen alten Mörser, ein Destilliergerät, eine Sichel, eine Kräuterfibel, Tierknochen, alte (Gift-)Flaschen, ein psychiatrisches Lehrbuch über die Angst oder E.T.A. Hoffmanns fantastische Erzählung „Abenteuer der Sylvester-Nacht“. An den Wänden wiederum hängen bündelweise getrocknete Kräuter sowie, sorgfältig auf Kleiderbügeln arrangiert, die Kleider einer Frau. Haben wir es hier tatsächlich mit den Habseligkeiten einer Hexe zu tun?
Jimmie Durham: „Evidence“, 2016, Foto: Heiko Klaas
Die sachliche, ja nüchterne Präsentation erinnert an ein kriminalistisches Verfahren. Worum es Durham geht? Darum, zu zeigen, wie einfach es in vordemokratischen Zeiten war, einen von der „Leitkultur“ des vorherrschenden Mainstream abweichenden Menschen mit Hilfe obskurer Beweise ins gesellschaftliche Abseits, ja ins Jenseits zu befördern. Aber ist das heute – gerade angesichts des bedrohlich erstarkenden Rechtspopulismus – nicht genauso? Durham: „Wenn die Behörden in ein Haus oder eine Wohnung einbrechen, kann von ihnen alles, was sie dort finden, als Beweis für die Kriminalität herangezogen werden.“
Jimmie Durham: „Evidence“, 2016, Foto: Heiko Klaas
Gleichsam als Mahnung zur Wachsamkeit in politisch bewegten Zeiten präsentiert Durham im ersten Raum seiner Ausstellung denn auch ohne jeden weiteren Kommentar ein Faksimile von Immanuel Kants 1784 erschienenem Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“. Gleich vis-à-vis davon steht seine eigens für die Ausstellung entstandene, große Skulptur „The Center of the World in Goslar“. Das an einen Baum erinnernde Ensemble aus einem Stamm, einem Heurechen, Metallrohren, Autoteilen, einer aktivierten Überwachungskamera und vielen anderen disparaten Materialien steht auf einem schwarzen Sockel, der, einem Thron vergleichbar, auf Adlerfüßen ruht. Das Wurzelwerk jedoch besteht aus modernen Datenleitungen und Glasfaserkabeln, bunten High-Tech-Materialien also, die die globale Kommunikation in Echtzeit überhaupt erst möglich machen und so die alte Trennung zwischen Zentrum und Peripherie mehr oder weniger aufgehoben haben.
© Jimmie Durham, „The Center of the World in Goslar“, 2016 Installation (Mischtechnik; diverse Materialien) courtesy Jimmie Durham
Inspiriert zu dieser Arbeit hat Durham ein in grimmig-wilhelminischer Malweise ausgeführtes Wandgemälde in der Goslarer Kaiserpfalz. Es zeigt, wie Karl der Große einen Baum, der in vorchristlicher Zeit von den Menschen der Region als Heiligtum und Zentrum der Welt verehrt wurde, zerstört, um eine neue Zeit einzuläuten. Jimmie Durham, der als Angehöriger der Cherokee-Indianer auch lange Zeit in der Bürgerrechtsbewegung „American Indian Movement“ tätig war, verabscheut derart kolonialistische Machtdemonstrationen und kulturelle Auslöschungsversuche. Seine Goslarer Skulptur betrachtet er als ein „visuelles Gedicht“: „Ich wollte einen Baum herstellen, zu Ehren des Baumes, der in Goslar vor Hunderten von Jahren zerstört worden war, und zu Ehren der Kultur, für die er einst stand.“
Jimmie Durham: Homage to Luis Buñuel, 2012 installation mixedmedia / 400 x 400 x 400 cm collection: Museum of Modern Art in Warsaw photo: kurimanzutto
Seit fünf Jahrzehnten entmystifiziert Durham nationale und transnationale Mythen, kollektive Glaubenssyteme und Selbsttäuschungsmechanismen – zumindest aber schürt er den Zweifel an ihnen. Durham gilt als charismatischer Vertreter einer Kunstauffassung, die Poesie, Humanismus, einen dezidiert gesellschaftskritischen Blick und einen feinsinnigen Skeptizismus in ein ausgewogenes Verhältnis bringt.
Jimmie Durham: Encore Tranquillité 2008 Fibreglass stone and airplane 150 x 860 x 860 cm collection: National Gallery of Canada, Ottawa Photo: Roman März
2017 wird Jimmie Durham im Hammer Museum, Los Angeles, dem Walker Art Center, Minneapolis und schließlich im New Yorker Whitney Museum mit einer großen Retrospektive geehrt. Gezeigt werden Werke aus allen Schaffensperioden von den 1970er Jahren bis heute. Ob er allerdings persönlich in die USA reisen wird, lässt er zur Zeit noch offen. Seit seinem politisch motivierten Umzug nach Europa 1994 hat Durham, der heute abwechselnd in Berlin und Neapel lebt, sein Geburtsland nicht mehr besucht. Den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl am 8. November wartet er daher zunächst noch einmal ab.
Jimmie Durham in Goslar beim Signieren, Foto: Heiko Klaas
Auf einen Blick:
Ausstellung: Jimmie Durham – Evidence
Ort: Mönchehaus Museum Goslar
Zeit: bis 29. Januar 2017. Di-So 10-17 Uhr
Katalog: Herausgeber Mönchehaus Museum, 160 S., 18 Euro
Internet: www.moenchehaus.de
Galerie: www.barbarawien.de
Gefördert durch Stadt Goslar und Volkswagen Aktiengesellschaft