200 Jahre für die Kunst: Der Kunstverein in Hamburg läutet mit der Ausstellung „The History Show“ sein umfangreiches Jubiläumsprogramm ein
Es muss eine illustre Runde von honorigen Hanseaten gewesen sein, die sich da ab 1817 regelmäßig im Haus des Bleideckermeisters David Christopher Mettlerkamp traf, um gemeinsam Kunstwerke zu betrachten und ästhetische Fragen zu diskutieren. Mettlerkamp war nicht irgendwer in Hamburg. Als Offizier hatte er erfolgreich an der Vertreibung der napoleonischen Besatzungstruppen aus der Hansestadt mitgewirkt, und als wohlsituierter Unternehmer war er Pionier in der Herstellung von Blitzableitern.
Erweitert wurde der kunstinteressierte Kreis um andere Hamburger Bürger, darunter der Architekt Alexis de Chateauneuf und der Diplomat Karl Sieveking. 1822 war es dann so weit: Die Zahl der Teilnehmer war jetzt so stark angewachsen, dass man sich fortan in den Räumen des Kunsthändlers Georg E. Hartzen traf und nun auch ganz offiziell einen Kunstverein gründete. „Von seinem Selbstverständnis her“, so der 1. Vorsitzende Harald Falckenberg, „führt der Verein seine Gründung ganz klar auf das Jahr 1817 zurück.“ Dass die juristische Gründung erst fünf Jahre nach der realen Gründung erfolgte, begründet er mit den informelleren Strukturen im Stadtstaat Hamburg, die sich deutlich von den förmlicheren Gepflogenheiten in preußisch dominierten Staaten abhoben.
„200 Jahre für die Kunst“ lautet jetzt das Motto des ambitionierten Jubiläumsprogramm des Kunstvereins in Hamburg, zu dessen Höhepunkten sicherlich eine große Einzelausstellung des Fotografen Wolfgang Tillmans im Herbst zählen wird.
Die erste Schau allerdings widmet sich unter dem Titel „The History Show“ der ziemlich wechselvollen Geschichte der Institution. Die Ausstellung versammelt eine Vielzahl von historischen Dokumenten, darunter Urkunden, Fotografien, Plakate, Mitgliedsausweise oder Baupläne. Rund anderthalb Jahre lang hat eine studentische Forschungsgruppe des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg Materialien gesichtet, in externen Archiven recherchiert und in privaten Fotoalben geblättert und dabei ebensoviele Fakten wie Lücken aufgedeckt. Der Berliner Künstler Olaf Nicolai hat sich für die Präsentation der zahlreichen Dokumente und Archivalien ein modulares Ausstellungsdisplay aus grafisch gestalteten Vitrinen und Wänden überlegt. Als Inspiration dienten ihm dabei die Entwurfszeichnungen des Architekten Karl Schneider (1892-1945), dessen avantgardistischem Kunstvereinsbau im Bauhaus-Stil leider nur ein kurzes Dasein beschert war. Von 1930 bis 1933 diente das elegante Gebäude im Stadtteil Rotherbaum dem Verein, danach beschlagnahmten es die Nationalsozialisten – 1943 wurde es durch Bomben unwiederbringlich zerstört. Im dokumentarischen Teil der Schau wird dieses spannende Kapitel aufgearbeitet.
Doch auch ein knappes Dutzend Künstler wurde eingeladen, auf das von den Wissenschaftlern recherchierte Material zu reagieren. So zeigt etwa der Konzeptkünstler und ehemalige Hamburger Hochschulprofessor Franz Erhard Walther einen durchlaufenden Wandfries mit kleinformatigen Reproduktionen von vierzehn heute prominenten Künstlern. Ob Caspar David Friedrich, Paul Cézanne, Jackson Pollock oder Lucio Fontana. Was diese sehr unterschiedlichen Künstler eint, ist die Tatsache, dass sie alle noch weitgehend unbekannt waren, als sie erstmals im Kunstverein in Hamburg gezeigt wurden. „Vereinsköpfe aus 200 Jahren“ lautet der Titel einer launigen Arbeit des Hamburger Malers Werner Büttner. Aus den in emblematischem Schwarz-Weiß-Rot gehaltenen Konterfeis von rund zwei Dutzend Kunstvereinsfunktionären hat Büttner eine Art postfaktische Gedenkwand kreiert. Zu allen – übrigens abgesehen von der aktuellen Direktorin Bettina Steinbrügge männlichen – Gesichtern hat er sich kleine biografische Texte ausgedacht. Da, wo die Historiker an ihre Grenzen kamen, erlaubt es sich Büttner, mit Fantasie und Ironie zu operieren. Künstlerische Freiheit eben.
Andere Teilnehmer haben mit Wandgemälden, Filmen oder Installationen auf die wechselvolle Geschichte des Vereins reagiert. Die Künstlergruppe „3 Hamburger Frauen“ etwa realisierte ein übergroßes Wandgemälde, auf dem sie selbst als amazonenhafte Protagonistinnen auftreten, collageartig unterfüttert mit Motiven aus 200 Jahren Vereinsgeschichte. Mit Geschichte und Geschichtsschreibung des Dritten Reichs setzt sich dann wiederum eine multimediale Installation des in Berlin lebenden israelischen Künstlers Dani Gal auseinander.
Elitäres Sammelbecken bürgerlicher Kunstliebhaber, Plattform der Avantgarde, Beute der Nationalsozialisten, Schaufenster der Nachkriegsmoderne, Forum der Friedensbewegung und westdeutscher Brückenkopf der DDR-Kunst in den 1980er Jahren, Arena der Institutionskritik in den 1990er Jahren – und manchmal auch nur ein verlängerter Arm des kommerziellen Galeriensystems. Die facettenreiche, streckenweise aber auch etwas didaktisch daherkommende Ausstellung macht eines deutlich: Der Kunstverein in Hamburg war – zum Guten oder zum Schlechten hin – immer auch ein Spiegel der wechselvollen gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch das dürfte wohl auf alle großen Kunstvereine gleichermaßen zutreffen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: The History Show
Ort: Kunstverein in Hamburg
Zeit: bis 2. April 2017. Di-So 12-18 Uhr
Katalog: es erscheint ein Reader. 148 S., zahlreiche Abb., 5 Euro
Internet: www.kunstverein.de