Ein neuer Blick auf Paula Modersohn-Becker: Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg denkt Paula Modersohn-Becker nicht von Worpswede sondern von Paris aus – und überzeugt mit dieser neuen Sichtweise
Mit einer Ausstellung im Louisiana Museum of Modern Art unweit von Kopenhagen ging es 2014 los. Es folgte eine große und sehr erfolgreiche Retrospektive im vergangenen Jahr im Musée d’art moderne de la Ville de Paris, und seit Dezember läuft im Kino, ebenfalls sehr erfolgreich, der Film „Paula – Mein Leben soll ein Fest sein“. Auch wenn man über die künstlerische Qualität dieses sehr frei mit den historisch verbürgten Tatsachen operierenden Kinofilms streiten kann: Fest steht, dass es zur Zeit offenbar außergewöhnlich großes öffentliches Interesse an Paula Modersohn-Becker (1876-1907) gibt.
Obwohl sie schon seit einigen Jahren in der Planung war, kommt da eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum genau zum richtigen Zeitpunkt. „Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne“ lautet der Titel dieser sehr sehenswerten Schau, die die Malerin auch in Deutschland endlich vom Etikett der reinen Worpsweder Regionalkünstlerin befreien will. Rund 80 Werke, darunter allein 60 Gemälde aus Museen und Privatsammlungen in Europa und den USA, werden präsentiert. Die selbstbewusste Botschaft der Ausstellung lautet: Hier ist eine Ausnahmekünstlerin zu sehen, die in ihrer kurzen Lebensspanne einen ganz eigenen Modernitätsbegriff entwickelt hat. Uwe M. Schneede, ehemaliger Direktor der Hamburger Kunsthalle und Gastkurator der Schau, betont die Problematik der bisherigen Rezeptionsgeschichte: „Unter Kunstkennern genießt Paula Modersohn-Becker keinen besonders guten Ruf – das liegt nicht an ihrem Werk sondern an der Resonanz darauf.“ Lange Zeit habe man herablassend immer nur über „Paula“ gesprochen, ohne auch nur ihren Nachnamen zu nennen. Die Tragik des frühen Todes im Kindsbett habe die Rezeption ebenso geprägt wie das aus dem Jahre 1925 stammende vernichtende Diktum des Kritikers Richard Hamann, ihr Werk gleiche „dem gemalten Schrei des Weibes nach dem Kinde“.
Modersohn-Beckers Werk sei deshalb so eigenständig und unverwechselbar, weil es sich zwischen zwei Generationen, nämlich den Spätimpressionisten um Max Liebermann und den erst langsam nach vorne drängenden Expressionisten des Blauen Reiters und der Brücke, seinen ganz eigenen Platz gesucht habe. Die entscheidenden Impulse dafür habe die Malerin aber während ihrer wiederholten Parisaufenthalte erhalten. Hier begegnete sie dem Werk von damals noch weitgehend unbekannten Malern wie Paul Cézanne und Henri Matisse. In Paris erwarb sie auch die Fähigkeit, ihre Bilder lange vor dem eigentlichen Malakt zu komponieren. Nicht der unter ihren Worpsweder Künstlerkollegen verbreiteten, eher gefühlsbetonten und möglichst naturgetreuen Wiedergabe des Gesehenen galt ihr Interesse, sondern der Überwindung der reinen Abbildlichkeit durch die Verwendung neuer, unorthoxer Bildmittel, experimenteller Form- und Farbkonstellationen.
Ein gutes Beispiel für ihre Methode, nahezu abstrakten Farbflächen dann doch wieder eine Ahnung von Gegenständlichkeit einzuhauchen, stellt das kleinformatige Gemälde „Don Quichote“ (1900) dar. Cervantes‘ „Ritter von der traurigen Gestalt“ reitet hier nicht durch die verdorrte La Mancha sondern durchs norddeutsche Teufelsmoor – im Hintergrund eine Bockwindmühle. Modersohn-Becker gelingt es, aus nur wenigen weißen Pinselschwüngen ein Pferd zu modellieren. Das Gesicht des Reiters besteht aus nur einem, senkrechten Pinselstrich in schmutzigem Braun – doch der ist perfekt platziert. Nichts überlässt sie also dem Zufall. Uwe M. Schneede dazu: “Die Werke sind gebaut, sehr gebaut.“
Wie sie ihre vereinfachende, aber umso charakteristischere Formensprache auf bestimmte Sujets anwendet, zeigen die vielen in Hamburg gezeigten Kinderbildnisse und Selbstporträts. Von eher bäuerlich anmutenden, noch eindeutig in die norddeutsche Landschaft eingebetteten Szenen gelangt die Künstlerin nach und nach zu stärker exotisierenden Mädchenporträts, die vor neutralen Hintergründen im Atelier entstehen. Die Mädchen sind jetzt als Akte dargestellt. Als Attribute erhalten sie Südfrüchte und an Stammesschmuck erinnernde Halsketten oder Armbänder. Alles Heimatliche ist hier komplett verschwunden, die Gesichtszüge erscheinen eher maskenhaft als individuell.
Die künstlerische Entwicklung Paula Modersohn-Beckers anhand weniger aber exemplarischer Werke prägnant aufzuzeigen, gelingt der locker gehängten Ausstellung auch bei der Auswahl der Selbstporträts. Uwe M. Schneede versammelt hier Selbstporträts einer jungen, experimentierfreudigen Künstlerin, die zwar überwiegend in Worpswede gelebt hat, die entscheidenden Impulse für ihren ganz persönlichen Aufbruch in die Moderne aber aus ihren äußerst anregenden und begegnungsreichen Paris-Aufenthalten bezog.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne
Ort: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Zeit: 4. Februar bis 1. Mai 2017. Täglich 11-19 Uhr. Do 11-21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 180 S., Farbabb. aller Werke, 29 Euro (Ausstellung), 39,90 Euro (Buchhandel)
Internet: www.buceriuskunstforum.de