Die Meister der venezianischen Hochrenaissance zu Gast an der Elbe: Die Hamburger Kunsthalle entdeckt das lange Zeit übersehene Werk Paris Bordones und anderer Künstler aus dem Umfeld von Tizian mit hochkarätigen Leihgaben aus den bedeutendsten Museen Europas
„Die Poesie der venezianischen Malerei“. Unter diesem etwas blumigen Ausstellungstitel entfacht die Hamburger Kunsthalle in diesem Frühjahr ein wahres Feuerwerk sinnesfroher, in Farben, Licht und stofflicher Pracht schwelgender Malerei aus der Lagunenstadt. Ob erotisch aufgeladene, liegende weibliche Akte, perspektivisch überwältigende und extrem verschachtelte Architekturdarstellungen oder lyrische Porträts prächtig gewandeter, gleichsam versonnen dreinschauender junger Männer: In insgesamt acht Kapiteln untersucht die Ausstellung die von mythologischen Bildthemen ebenso wie vom luxuriösen Lebensalltag begüterter Venezianer beeinflusste Malerei der venezianischen Hochrenaissance.
Im Zentrum der opulenten Ausstellung steht Paris Bordone (1500-1571), der lange Zeit vom Ausstellungsbetrieb vernachlässigte bedeutendste Schüler Tizians. Es ist die weltweit bisher umfangreichste Präsentation seiner Hauptwerke mit Leihgaben aus den großen italienischen Museen, aber auch aus dem Pariser Louvre, der St. Petersburger Eremitage oder dem Amsterdamer Rijksmuseum. Rund 100 Exponate, darunter zahlreiche großformatige Gemälde, aber auch Zeichnungen, Druckgrafik und wertvolle Bücher, umfasst die Schau. Neben zahlreichen Werken Bordones werden auch Werke seines Lehrers Tizian und seiner venezianischen Zeitgenossen Palma il Vecchio und Lorenzo Lotto präsentiert. Ein eigenes Kapitel untersucht die vielfältigen Beziehungen zwischen den Vertretern der venezianischen Renaissance und den Künstlern, die nördlich der Alpen ihren Wirkungskreis hatten. So ist neben süddeutschen und niederländischen Meistern auch das Bildnis einer Quellnymphe aus der Hand von Lucas Cranach d.Ä. zu sehen.
Sandra Pisot, die Kuratorin der Schau, betont den Stellenwert Bordones: „Paris Bordone ist ein bisher eher zu Unrecht im Schatten seines großen Lehrers Tizian stehender Künstler gewesen. Sein Werk ist es jedoch wert, ausführlich gewürdigt zu werden.“ Tizian sei der große Platzhirsch in Venedig gewesen. Er habe dafür gesorgt, dass Bordone keine großen Aufträge bekam.
Am Beispiel Bordones hat Sandra Pisot einen Aspekt besonders klar herausgearbeitet: Anders als in Florenz, dem anderen, gleichzeitig intellektuell-unterkühlteren Kraftzentrum der italienischen Renaissancemalerei, war in Venedig nicht das „disegno“, also der dem Inhalt verpflichtete Entwurf einer künstlerischen Idee, das bestimmende Gestaltungsmittel der Maler sondern allein die Farbe. Christoph Vogtherr, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, erläutert diesen Gegensatz: „Die Malerei Venedigs nahm die radikale Gegenposition ein. Sinnlichkeit und Erotik wurden durch die Farbe zur zentralen Aussage der Malerei. Gleichzeitig schufen viele venezianische Künstler Szenen, in denen der Inhalt bewusst eine untergeordnete Rolle spielte oder gar nicht zu entschlüsseln war.“ Während Maler andernorts ihre Pigmente häufig noch bei Apothekern kauften oder selber mischten, hatte sich in Venedig längst der Berufsstand hoch spezialisierter Farbenhändler, der „vendecolori“, etabliert. Diese mischten zum Beispiel pulverisiertes Glas unter die Pigmente, um deren Strahlkraft noch zu erhöhen.
Überhaupt galt die Lagunenstadt von der Mitte des 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts als das „Schmuckkästchen“ der damaligen Welt. Die Textilmanufakturen brachten eine enorme Bandbreite an unterschiedlich eingefärbten Woll- und Seidenstoffen, Damast, Brokat, Samt und Satin hervor. Hinzu kamen die vielfältigen Materialeigenschaften und die einfallsreichen Muster der mal zart durchscheinenden, mal schweren oder sich voluminös bauschenden Stoffe.
Den stofflichen Formenreichtum ihrer Umgebung und die geschmacklichen Vorlieben ihrer Käufer und Auftraggeber nahmen die Maler um Tizian und Bordone zum Anlass, um schöne Frauen ebenso wie schöngeistige junge Männer, arkadische Landschaften und prunkvolle Architekturen virtuos auf großformatige Leinwände zu bannen – bis zum 21. Mai zu besichtigen in der Hamburger Kunsthalle.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Die Poesie der venezianischen Malerei
Paris Bordone, Palma il Vecchio, Lorenzo Lotto, Tizian
Ort: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart
Zeit: 24. Februar bis 21. Mai 2017. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr. Ostermontag 10-18 Uhr. 1. Mai 12-18 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 304 S., 220 Farbabb., 30 Euro (Museum), 45 Euro (Buchhandel)
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de