Bereits zum 35. Mal findet jetzt die Art Brussels statt. Insbesondere von belgischen, französischen, niederländischen und deutschen Sammlern wird die Messe als Entdeckermesse hoch geschätzt
Die Art Brussels zählt zu den ältesten Kunstmessen der Welt. Neben der Art Cologne und der Art Basel gehört die 1968 gegründete Messe zu den traditionsreichen und etablierten Größen im internationalen Messekalender. Die 35. Ausgabe öffnete am Donnerstagabend ihre Pforten in den denkmalgeschützten Hallen des ehemaligen Warenlagers Tour & Taxis, wo sie in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet. Die luftigen Industriehallen mit großzügigen Ruhezonen, viel natürlichem Licht und hohen Decken kommen bei Ausstellern und Besuchern gut an. „Die Messe ist noch schöner geworden“ resümiert etwa der aus Deutschland stammende Brüsseler Galerist Michael Callies von der Galerie Dépendance. Die im letzten Jahr gegründete Nebenmesse Independent, die auch 2017 wieder in einem ehemaligen Kaufhaus in der Brüsseler Innenstadt stattfindet, vergleicht er mit der Basler Liste. Angst davor hat er nicht. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, gibt er sich gelassen, „viele Sammler gehen auf beide Messen.“ Michael Callies präsentiert an seinem Stand als Eyecatcher eine aus künstlichem Stroh bestehende Skulptur der Koreanerin Haegue Yang, Jahrgang 1971. Die mit Glöckchen, Pfauenfedern und einer Hochzeitskrone versehene Arbeit wurde nach den Anweisungen der in Berlin lebenden Künstlerin in handwerklicher Tradition in Korea hergestellt (Unikat: 42.000 Euro). Weiterhin am Stand: eine großformatige Fotografie von angerosteten Getränkedosen der Deutschen Lucie Stahl, geboren 1977. Der Clou: Die Objekte wurden auf einen Scanner gelegt. So entsteht eine ungewöhnliche Fotografie, die, auf Aluminium aufgezogen und in Kunstharz eingegossen, einen starken Objektcharakter entwickelt (Unikat: 20.000 Euro).
Bereits am Vernissagetag gaben sich viele belgische, französische und niederländische Sammler in Brüssel ein Stelldichein. Auch aus Deutschland, vor allem aus dem Rheinland, waren Kunstfans angereist, um die neuesten Trends aufzuspüren.
Managing Director Anne Vierstraete stellte auf der Pressekonferenz eine der Besonderheiten der Messe klar: „Wir haben kein Interesse daran, nur ein reiner Marktplatz zu sein. Wir wollen nicht nur eine kommerzielle Plattform sein, sondern auch eine Plattform ernsthaften intellektuellen Austauschs.“ Neben dem hochkarätig besetzten Talk-Programm unter dem Titel „The Politics of Things“, in dem Künstler und Kuratoren gefeatured werden, finden daher in diesem Jahr auch etliche Panel-Veranstaltungen zu Künstlernachlässen oder zur Rolle neuer Technologien in der zeitgenössischen Kunst statt.
Seit dem Umzug der Art Brussels vom relativ abgelegenen Brüsseler Messegelände an den zentrumsnah gelegenen neuen Standort setzt die Messeleitung ganz auf Reduktion und ein klares Profil. Die Teilnehmerzahl wurde bereits von der 2016 ausgeschiedenen griechisch-belgischen Kuratorin Katerina Gregos, die drei Jahre lang künstlerische Leiterin der Messe war, um rund ein Viertel reduziert. Die neue Übersichtlichkeit macht die Art Brussels zu einer sowohl bei Händlern als auch bei den Besuchern geschätzten Kunstmesse. Managing Director Anne Vierstraete, die die Messe jetzt alleine leitet, betont: „Es macht einfach viel mehr Spaß, eine Messe mit nur 145 teilnehmenden Galerien zu besuchen als eine mit fast 200. Daher waren wir dieses Mal mit dem Auswahlprozess wesentlich rigoroser. Gleichzeitig hat uns das aber auch ermöglicht, unser Profil als Entdeckermesse weiter zu schärfen.“ Auch die Zahl der gezeigten Künstler wurde von 2.000 auf lediglich 650 reduziert. Auch das eine Besonderheit: 95% der Werke stammen von lebenden Künstlern.
Knapp 145 Galerien aus 28 Ländern sind in diesem Jahr nach Brüssel gereist, hinzu kommen vier Editeure. 109 Galerien finden sich im Hauptsektor Prime. 30 Galerien sind in der Discovery Section mit junger Kunst, die zwischen 2014 und 2017 produziert wurde, zu finden. Neun Galerien bilden die Rediscovery Section, in der Arbeiten, die zwischen 1917 und 1987 entstanden sind, gezeigt werden. In diesem Jahr sind 36 neue Aussteller auf der Messe zu finden. Anne Vierstraete betont, dass die Newcomerquote weit höher liegt als auf der Art Basel, wo in diesem Jahr bei über 290 Galerien nur 17 neue präsentiert werden. 18 Galerien haben sich in diesem Jahr entschlossen, Solopräsentationen zu zeigen.
In den selben Räumen, in denen im vergangenen Jahr unter dem Titel „Cabinet d’amis“ Teile der Privatsammlung von Jan Hoet gezeigt wurden, präsentieren in diesem Jahr die beiden in New York ansässigen Kuratoren Jens Hoffmann und Piper Marshall unter dem Titel „Mementos: Artist’s Souvenirs, Artefacts and Other Curiosities“ jeweils ein besonderes Objekt aus dem Privatbesitz von 70 internationalen zeitgenössischen Künstlern, darunter Robert Barry, Larry Clark, Edith Dekyndt, Jenny Holzer, Kendell Geers oder Gert & Uwe Tobias. Der Betrachter dieser kurzweiligen Präsentation ist aufgefordert, Verbindungen zwischen den teils banalen, teils fetischartigen Objekten und dem Werk der Künstler herzustellen.
Zu sehen ist etwa ein vierzackiger, antiker Fleischerhaken aus dem Besitz von Jenny Holzer, ein gigantischer, grüner Plüschfrosch aus dem Atelier des Amerikaners Chris Martin oder eine Hillary-Clinton-Autogrammkarte aus dem Besitz des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth. Josephine Meckseper wiederum präsentiert die Erstausgabe von Hunter S. Thompsons „Gonzo-Reportagen“ mit dem Titel „The Great Shark Hunt“ unter einem an eine Wunderkammer gemahnenden Glassturz.
Doch zurück in die Haupthallen der Messe. Für Aufmerksamkeit sorgt der Stand der Galerie Mitterand. Die Pariser sind eng mit dem Nachlass von Niki de Saint Phalle (1930-2002) verbunden und zeigen seltene Skizzen, Zeichnungen und Skulpturen. Bereits am ersten Tag wurde die großformatige, detailreiche Zeichnung „Le Cœur“ von 1964 für 125.000 Euro an eine Brüsseler Privatsammlung verkauft. Doch auch für den kleineren Geldbeutel sind Original-Zeichnungen von Niki de Saint Phalle im Angebot: Unsignierte Skizzen, häufig mit Konstruktionsanweisungen versehen, kosten zwischen 3.000 und 6.000 Euro.
Der letztjährige Manifesta-Kurator Christian Jankowski, Jahrgang 1968, ist bei Enrico Astuni aus Bologna mit einer Serie von 43 Fotografien unter dem Titel „What people do for money“ vertreten. Jankowski ließ Passanten auf Pappschilder schreiben, was sie bereit wären, für Geld zu tun. Die Antworten fallen ebenso überraschend wie entlarvend aus: „Bananen verkaufen“, „Bei Mama betteln“ oder „Erben“ ist da zu lesen. Ein humorvoller Kommentar auf die kapitalistische Gesellschaft, und das auf einer Kunstmesse (Set: 35.000 Euro, Auflage: 5).
Die Galerie Fifty One aus Antwerpen hat vier Fotografien und eine Gouache des New Yorkers Saul Leiter (1923-2013) mit nach Brüssel gebracht. Die poetischen Straßenszenen aus dem bei Leiter vorzugsweise verregneten Manhattan entstanden Mitte der 1950er Jahre. Die später geprinteten Abzüge kosten je 14.400 Euro. Ein weiterer fotografischer Leckerbissen dann am Stand der Galerie Sage aus Paris. Hier im Angebot sind drei stark grafisch aufgefasste Schwarz-Weiß-Vintage-Abzüge des japanischen Street Photographers Daido Moriyama, geboren 1938, aus dem Jahre 1990 (je 10.000 Euro).
Am Stand der Galerie Senda aus Barcelona fiel das farbige Gemälde „Inside the Circle“ von Francis Lisa Ruyter, Jahrgang 1968, ins Auge. Das 2007 entstandene Bild zeigt Konzertbesucher mit technischen Gadgets und Getränkeflaschen. Es kostet 27.000 Euro. Seit kurzer Zeit arbeitet der überwiegend in Wien lebende US-amerikanische Maler zunehmend abstrakter und auch mit Aquarell. Senda bietet Watercolors von Ruyter, die unter anderem die Rolle des Zelts in der amerikanischen Kulturgeschichte untersuchen, für 3.200 Euro an.
Die Galerie VNH aus Paris präsentiert eine Solo-Show des in Los Angeles lebenden Deutschen Friedrich Kunath, Jahrgang 1974. Ironische Gemälde mit allerlei durcheinandergewirbelten Zitaten von der deutschen Romantik über das Biedermeier, bis hin zu Popkultur und Kitschpostkarten von kalifornischen Sonnenuntergängen sind für 35.000 bis 60.000 US-Dollar im Angebot.
Eine weitere hochkarätige Solo-Präsentation zeigt die Galerie Nathalie Obadia aus Brüssel und Paris. Die am Stand anwesende Turner Prize-Trägerin Laure Prouvost, Jahrgang 1978, hat alltägliche Objekte und Fundstücke mitgebracht, die sie mit knappen, ironischen Kommentaren versehen hat. So ist etwa eine offenbar frustrierte Büropflanze mit der vorwurfsvollen Aussage „They did not let me grow“ im Angebot.
Am Stand der Amsterdamer Galerie Ron Mandos sind elegante Schwarz-Weiß-Fotografien des britischen Künstlers und Filmemachers Isaac Julien, Jahrgang 1960, zu sehen. Sie stammen ursprünglich aus dem Jahr 1989. Die Negative sind zwischenzeitlich verloren gegangen. Doch die digitale Technik ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die erhaltenen Abzüge als hochauflösende Vorlagen für neue, größere Silbergelatineprints verwendet werden konnten. Die Serie ist im Rahmen der Dreharbeiten zu Juliens damals bahnbrechendem Film „Looking for Langston“ entstanden. Der Film und die Fotografien verstehen sich als Hommage an den homosexuellen und farbigen amerikanischen Dichter und Schriftsteller Langston Hughes, der ein wichtiges Mitglied der afro-amerikanischen Künstlerbewegung Harlem Renaissance war. Sie sind voller subtiler Anspielungen auf eine damals, in den 1930er und 1940er Jahren noch unfreiwillig im Verborgenen ausgelebte Homosexualität (9.400 Euro, Auflage: 4 + 2 AP).
Ebenfalls am Stand eine Solopräsentation des 1986 geborenen südafrikanischen Künstlers Mohau Modisakeng, der in diesem Jahr den südafrikanischen Pavillon auf der Biennale Venedig mit seinen stark politisch aufgeladenen Arbeiten bespielen wird. Die atelierfrische Büste „Untitled (Lefa Bust)“ zeigt den Künstler selbst, der sich in seinen Arbeiten häufig in die Rolle farbiger Opfer von Polizeigewalt begibt. Sie bezieht sich auf das Marikana Massaker im Jahre 2012, in dessen Verlauf 41 Minenarbeiter von der südafrikanischen Polizei erschossen wurden (12.000 Euro, Auflage: 10 + 2 AP).
In der Discovery Section fällt der Stand der Galerie The Hole aus New York sofort ins Auge. Zu sehen ist eine Solo-Show des 1976 geborenen Kaliforniers Eric Yahnker, der an der renommierten Hochschule CalArts studiert hat. Yahnkers grellbunte Pastellbilder auf feinkörnigem Sandpapier nehmen sich die ambivalenten Mythen amerikanischer Popkultur ebenso vor wie die Ikonen der jüngeren amerikanischen Geschichte. Barack Obama und Donald Trump dürfen da natürlich nicht fehlen. Seine Bilder sind voller filmischer, politischer und historischer Referenzen. „In den USA wären diese Bilder sofort ausverkauft, aber hier wollen wir die Arbeiten einem neuen Publikum vorstellen“, sagt Galerist Raymond Bulman. Die Bilder kosten 12.000 Euro.
Seit rund einem halben Jahr betreibt die in Hamburg ansässige Galerie Conradi auch eine Filiale in Brüssel. Der Stand der Galerie in der Discovery Section versammelt die launigen Arbeiten des Hamburger Künstlers Thomas Baldischwyler, geboren 1974, in einer Solo-Show. Wahrscheinlich ist hier auch die günstigste Arbeit der Messe erhältlich: Auf einem Plattenspieler dreht sich eine Vinyl-LP mit elektronischer Musik, die in einer Auflage von 300 für günstige 15 Euro im Angebot ist. Daneben sind aber auch Gemälde und eine Skulptur in Form eines ironisch modifizierten Standaschenbechers, wie er aus öffentlichen Gebäuden bekannt ist, im Angebot (Gemälde 3.700 bis 7.500 Euro, Skulptur 14.000 Euro).
Die Galerie 22,48 m² aus Paris zeigt, ebenfalls in der Discovery Section, eine Solo-Show der Französin Caroline Delieutraz, geboren 1982. Die Pariserin thematisiert in ihrem Werk die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Ihre Fotoserie „Pandinos Dictator“ (2016) etwa umfasst ebenso bizarre wie überraschend individuelle Porträts von 94 afrikanischen Skorpionen, die 2015 vom französischen Zoll beschlagnahmt wurden (2.100 bis 2.900 Euro, Unikate + 1 AP). Diesen typologischen Fotografien gegenübergestellt sind im Internet gefundene Filme über Sammler von Skorpionen und anderen Spinnentieren, aber auch die skulpturale Arbeit „Black Armor“ (2017), die aus im Internet bestellten Verkleidungen eines Motorrads besteht. Die martialisch geformten schwarzen Kunststoffelemente präsentiert Caroline Delieutraz, einem zerlegten Insektenkörper gleich, in bester Readymade-Manier als Wandarbeit (6.500 Euro, Auflage: 3 + 1 AP).
Während der Art Brussels öffnen traditionell zahlreiche Brüsseler Privatsammler ihre Häuser und sorgen somit für ein attraktives Rahmenprogramm. Zudem lockt in diesem Jahr auch das WIELS Contemporary Art Center unter dem Titel „The Absent Museum. Blue Print for a museum of contemporary art for the capital of Europe“ mit einer viel beachteten Jubiläumsschau zu seinem zehnjährigen Bestehen. Dort noch bis Mitte August zu sehen sind Arbeiten von über 30 Künstlern, darunter etwa Francis Alÿs, Marlene Dumas, Jimmie Durham oder Christopher Williams. Auch wenn einige Marktteilnehmer schon voller Nervosität die nächste Woche mit der Art Cologne und dem Gallery Weekend in Berlin planen, ist die Stimmung in Brüssel doch entspannt und kauffreudig. Die Art Brussels überrascht auch in diesem Jahr mit etlichen neuen Namen – und wird so ihrem Anspruch als Entdeckermesse gerecht. Dennoch, das zeigt die sorgfältig zusammengestellte Rediscovery Section, in der beachtenswerte, aber in Vergessenheit geratene Künstler und Künstlerinnen der Avantgarden des 20. Jahrhunderts präsentiert werden, werfen die Organisatoren bei allem Vorwärtsdrang auch immer wieder einen beherzten Blick in den Rückspiegel.
Auf einen Blick:
Messe: 35. Art Brussels
Ort: Tour & Taxis, Avenue du Port 86c, 1000 Brüssel
Zeit: bis 23. April 2017, 11-19 Uhr
Katalog: ca. 430 S., 20 Euro
Internet: www.artbrussels.com