Neben der Documenta in Athen und Kassel sowie der Biennale Venedig sind die alle zehn Jahre stattfindenden Skulptur Projekte Münster ein weiteres Kunst-Highlight in diesem Jahr. Nicole Büsing und Heiko Klaas führten im Vorfeld ein Interview mit Britta Peters und Marianne Wagner, die zusammen mit Kasper König das KuratorInnen-Team der Skulptur Projekte Münster 2017 bilden
Am 10. Juni eröffnet die fünfte Ausgabe der Skulptur Projekte Münster nahezu zeitgleich mit der Documenta in Kassel. Was macht den besonderen Charakter dieser Skulpturenschau im öffentlichen Raum aus?
Vor allem der zehnjährige Rhythmus der Ausstellungsreihe. Das ist wirklich eine lange Zeit zwischen den einzelnen Ausgaben. Brigitte Franzen, Kuratorin der vierten Skulptur Projekte 2007, etablierte den Begriff der Langzeitstudie. Das finden wir heute immer noch passend. Wir laden die Künstler danach ein, wie ihr Werk mit dem Grundthema der Ausstellung korrespondiert: das erweiterte Feld von Skulptur. Das Profil der jeweiligen Ausstellung schärft sich dann eigentlich erst in der Retrospektive.
Wie viele Künstler werden teilnehmen? Aus welchen Teilen der Welt kommen sie?
Wir werden 35 Arbeiten realisieren. Vier davon entstehen in der Zusammenarbeit eines Künstler_innen-Duos. Somit arbeiten wir mit 39 Künstler_innen. Sie kommen aus allen Teilen der Welt, leben aber manchmal nicht mehr in ihren Heimatländern.
In welchen Teilen der Stadt werden die Arbeiten dieses Mal realisiert?
Auch in der fünften Ausgabe der Skulptur Projekte werden sich die meisten Arbeiten im Innenstadtbereich befinden. Aber wir erweitern den Radius so weit wie noch nie. Mit Ei Arakawa auf eine Wiese hinter dem Aasee, mit Hreinn Fridfinnson in den abgelegenen, sehr romantischen Sternbuschpark im Südwesten der Stadt und mit Pierre Huyghe in eine leerstehende Eissporthalle kurz vor die Stadtgrenze im Nordwesten. Besucher sollten im Sommer am besten zwei Tage Münster einplanen.
Münster ist eine historisch bedeutsame, extrem gut lesbare Stadt. Inwiefern werden sich die Künstler auf die Stadtgeschichte beziehen?
Das Künstlerinnen-Duo Peles Empire bezieht sich mit seiner begehbaren Skulptur auf die Architektur des Prinzipalmarkts, die historisch rekonstruierte Stadtmitte. Christian Odzuck arbeitet auf der Brache der frisch abgewrackten Oberfinanzdirektion und integriert Versatzstücke des modernistischen Gebäudes aus den 1970ern. Hier also zwei Beispiele, die sich der Stadtgeschichte über die Architektur nähern.
Gibt es darüberhinaus auch Arbeiten, die die 40-jährige Geschichte der Skulptur Projekte reflektieren?
Nairy Baghramian wird eine Skulptur auf dem Hof des Erbdrostenhofs platzieren. Mit der Auswahl dieses Stadtorts setzt sich die Künstlerin bewusst mit der Tradition von männlich-bildhauerischen Traditionen wie Richard Serra (Trunk – Johann Conrad Schlaun Recomposed, 1987) oder Andreas Siekmann (Trickle down. Der öffentliche Raum im Zeitalter seiner Privatisierung), die in vergangenen Ausgaben der Skulptur Projekte diesen Ort für ihre Arbeiten auswählten, auseinander.
Kunst im öffentlichen Raum ist einem permanenten Wandel unterworfen. Was hat sich hier über die Jahrzehnte verändert? Welche Rolle spielen dieses Mal performative oder eher ephemere Arbeiten?
Performative Arbeiten spielen eine wichtige Rolle. Wir hatten von Anfang an den Ehrgeiz, mit den Künstlern performative Formate zu entwickeln, die über die gesamte Laufzeit von 16 Wochen stattfinden und nicht zu Einzelterminen aufgeführt werden. Das war eine unglaubliche Herausforderung. Alexandra Pirici, Xavier le Roy gemeinsam mit Scarlet Yu und die Gruppe Gintersdorfer/Klaßen wählen dafür jeweils eigene Wege. Lassen Sie sich überraschen…
Trump, Brexit, AfD: Wie wichtig ist Ihnen das Politische?
Sehr wichtig. Aber nicht in Form von Hau-drauf-Provokation. Wir glauben, dass es wichtig ist, Freiräume zu bewahren. Das sollte aber nicht mit politischer Bedeutungslosigkeit verwechselt werden. Es ist vielmehr eine Frage von Integrität: Wie sehr lassen wir uns vereinnahmen, wie widerständig ist man vielleicht auch im Kleinen?
Die Skulptur Projekte Münster finden alle zehn Jahre statt. Wird dieser langsame Rhythmus auch in Zukunft beibehalten? Falls ja, warum?
Dieses Mal gibt es eine Kooperation mit der Stadt Marl. Wie kam diese zustande? Welcher Austausch ist hier geplant?
Wir wollten den Radius der Skulptur Projekte dieses Mal unbedingt über die Stadtgrenzen hinaus erweitern, wir fanden, das ist der Gegenwart nur angemessen. Also machten wir uns auf die Suche nach „Partnerstädten“ und zwar mit dem Fokus auf eine ähnlich intensive Tradition mit Kunst im öffentlichen Raum. Wir reisten nach Houston/Texas und nach Douala in Kamerun. Doch irgendwie fühlten sich die Kooperationen immer künstlich an. Nicht wirklich erlebbar für die Besucher der Skulptur Projekte. Kasper König hatte immer schon ein Faible für die Stadt Marl und das dortige Skulpturenmuseum Glaskasten.
Was macht denn Marl als „Partnerstadt“ so reizvoll?
Marl ist 60 Kilometer von Münster entfernt aber fühlt sich an wie eine andere Welt. Bis in die 1960er Jahre hinein vollzog sich in der durch Industrie geprägten Stadt ein derartiger Bevölkerungszuwachs, dass man zwischenzeitlich davon ausging, Marl werde sich zur Großstadt entwickeln. Als Reaktion auf diese Prognosen und um das fehlende historische Zentrum zu kompensieren, errichtete die Stadt ein modernes Rathaus auf der „grünen Wiese“, mit Wohnhochhäusern und dem Einkaufszentrum Marler Stern. Die für Marl vorausgesagte Stadtentwicklung ist jedoch nie eingetreten: Im Gegensatz zur wachsenden Stadt Münster, erfüllt Marl heute alle Kriterien einer schrumpfenden Stadt. Wie große Teile des restlichen Ruhrgebiets auch, kämpft die Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit, Leerstand und einer Vielzahl von sozialen Problemen, die sich aus dieser Strukturschwäche ergeben.
Und wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?
In dem Kooperationsprojekt „The Hot Wire“ werden wir uns gegenseitig Skulpturen leihen und zusammen eine Ausstellung mit Modellen aus dem Archiv der Skulptur Projekte im Skulpturenmuseum Glaskasten machen. Außerdem wird es Künstler geben, die in beiden Städten arbeiten. Wir finden es wichtig, dass die Besucher der Skulptur Projekte ganz bequem unseren Kooperationspartner besuchen können.
Die Skulptur Projekte Münster waren bei der ersten Ausgabe 1977 in der Stadt noch umstritten. Mittlerweile sind sie zum Liebling von Bürgern, Kaufleuten, Lokalpresse, Tourismusmanagern und Politikern geworden. Droht bei so viel Zuspruch nicht, die Widerborstigkeit der Kunst verloren zu gehen? Beziehungsweise: Wie arbeitet man dagegen an?
Wie schon gesagt: Integrität bewahren, Widerstand im Kleinen leisten, auf die Freiräume der Kunst beharren.
Gleichzeitig ist die Schau zu einem internationalen Ereignis geworden. Welche Besucherzahlen erwarten Sie in diesem Jahr?
Wahrscheinlich mehr als vor zehn Jahren. Aber da die Skulptur Projekte ohne Eintritt zu besuchen sind (!) können wir die Besucherzahlen nie genau ermitteln. 2007 wurden ca. 480.000 Besucher „gezählt“.
Frau Peters und Frau Wagner, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führten Nicole Büsing und Heiko Klaas