Merkel, Sarrazin, Bushido und die anderen: Die ambivalent aufgeladenen Deutschlandbilder des Berliner Fotografen Andreas Mühe werden jetzt im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt
Kanzlerinnenfotograf, Schauspielersohn, Agent Provocateur. Viele Etiketten passen auf den Berliner Fotografen Andreas Mühe, dem die Hamburger Deichtorhallen jetzt im Haus der Photographie eine opulente Einzelausstellung ausrichten. Die Ausstellung mit dem vom Fotografen selbst gewählten Titel „Pathos als Distanz“ stellt den ersten großen institutionellen Überblick über sein Werk dar.
Allein die Hängung verblüfft: In der Haupthalle des Hauses der Photographie sind in geradezu überbordender Petersburger Hängung zentrale Werke aus verschiedenen Serien Mühes im Großformat angebracht. Man erkennt, oft erst auf den zweiten Blick, einige Prominente: Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, den Polit-Provokateur Thilo Sarrazin, den Rapper Bushido, den Kunstsamler Paul Maenz, den Maler Gerhard Richter, Angela Merkel im Berliner Botanischen Garten unter einem Baumriesen und Egon Krenz beim Heckeschneiden. Dann wieder poetische, romantische Landschaftsaufnahmen: ein Wald im Mondlicht, ein geöffnetes Fenster, die Kreidefelsen auf Rügen. Andreas Mühe arbeitet sich ab an der deutschen, oft problematischen Geschichte: Blutiges Wildbret im ehemaligen Kühlhaus Erich Honeckers, die piefige „Bonzen-Siedlung“ Wandlitz im sachlichen Stil der Becher-Schule, Freunde des Künstlers nackt oder aber kostümiert als Wehrmachtsoffiziere in der Serie „Obersalzberg“.
Deichtorhallenintendant Dirk Luckow resümiert: „Die Fotografien von Andreas Mühe sind extrem ausgefeilt in ihrer Lichtdramaturgie. Gleichzeitig sind sie provokativ in ihrer Herausforderung der geschichtlichen Ästhetik. Ich denke da etwa an die Bilder vom Obersalzberg.“ Luckow beschreibt Mühes Fotografien als düster, unheimlich und gleichzeitig überwältigend. Dieses kalkuliert eingesetzte Pathos des Mühe-Stils fasziniert offenbar die Mächtigen im Lande. Politiker, Diplomaten, Schauspieler, Literaten, Kunstsammler oder Adelige lassen sich bereitwillig von Mühe in Szene setzen. Auch in der Fotografie- und Kunstszene hat sich der Sohn des Schauspielers Ulrich Mühe und der Intendantin Annegret Hahn einen Namen gemacht.
Geboren 1979 in Karl-Marx-Stadt, wuchs Andreas Mühe überwiegend in Ost-Berlin auf. Bereits als 16-Jähriger absolvierte er eine Ausbildung zum Fotolaboranten im PPS-Fotolabor in Berlin. In dieser Zeit lernte er auch den Hamburger Fotografen und Fotosammler F. C. Gundlach kennen, den Gründungsdirektor des Hauses der Photographie. Später arbeitete er als Assistent bei mehreren Fotografen. Seit 2001 ist er als freier Fotograf tätig, zunächst vor allem als Magazinfotograf. Mühe spezialisierte sich bald auf Porträts von Politikern. Unter anderem für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ fotografierte er in Amtszimmern und Rathäusern, in Botschaften und im privaten Umfeld. Berühmt wurde seine Serie „A.M. – Eine Deutschlandreise“ für die er Angela Merkel auf ihren Reisen mit der Kamera begleitete. Entstanden sind halb staatstragende, halb privat wirkende Aufnahmen der Kanzlerin. Häufig werden die Aufnahmen Andreas Mühes mit der Malerei des Romantikers Caspar David Friedrich verglichen. Friedrichs Markenzeichen, die einsame Figur in der Landschaft, ist auch auf den analogen, mit der Großformatkamera erstellten Aufnahmen von Andreas Mühe ein wiederkehrendes Motiv.
Die Hamburger Ausstellung kommt als große Inszenierung daher. Alles ist arrangiert wie auf einer Bühne. Alte Bänke aus dem Volkspark Friedrichshain laden zum Verweilen ein. Ein begehbarer Hochsitz, der dem von Stasi-Chef Erich Mielke nachempfunden ist, beherrscht als skulpturale Setzung den Raum, darunter Leuchtkästen mit Aufnahmen von erlegtem Wild, die frischen Schusswunden detailliert in Szene gesetzt. Die Petersburger Hängung simuliert die Seriosität eines altehrwürdigen Kunstmuseums. Dirk Luckow stellt fest: „Eine Ausstellung, die einen in widersprüchliche Stimmungen verstrickt. Tabus werden vorgeführt. Was macht die Faszination von Uniformen, Frisuren und Licht aus?“
Andreas Mühe selbst ist sich des Provokationspotenzials seiner Hamburger Inszenierung, die man streckenweise durchaus als unangenehm deutschtümelnd empfinden kann, bewusst. „Es ist so massiv und brachial, dass es die Leute vielleicht sogar erschlägt“, gesteht er auf der Pressekonferenz. Und fügt gleich hinzu: „Aber vielleicht ist das ja auch ganz gut so.“
Auf einen Blick:
Ausstellung: Andreas Mühe – Pathos als Distanz
Ort: Deichtorhallen Hamburg, Haus der Photographie
Zeit: 19. Mai bis 20. August 2017, Di-So 11-18 Uhr, jeden 1. Do im Monat 11-21 Uhr, Mo geschlossen, Himmelfahrt und Pfingstmontag 11-18 Uhr geöffnet
Katalog: erscheint am 20. Juni 2017, Kehrer Verlag, 260 S., ca. 150 Farbabb., 58 Euro
Internet: www.deichtorhallen.de