Salonartige Atmosphäre auf der 11. Ausgabe der Art-o-Rama in Marseille: Rund 6.000 Besucher, darunter internationale Galeristen, Sammler und Kuratoren, gaben sich hier am letzten August-Wochenende ein Stelldichein. Bis zum 10. September können alle Werke noch besichtigt werden
Der französische Kunstherbst begann am letzten August-Wochenende bei sommerlich hohen Temperaturen in Marseille mit der von Messedirektor Jérôme Pantalacci bewusst überschaubar gehaltenen, aber hochkarätigen Kunstmesse Art-o-Rama. 26 internationale Galerien, darunter zwölf Neuzugänge, außerdem sechs Editeure, ein Off-Space und eine Gastkünstlerin versammelten sich zur 11. Ausgabe der Art-o-Rama in der luftigen Halle des Kulturzentrums Friche la Belle de Mai, einem ehemaligen Fabrikgebäude nördlich des Hauptbahnhofs Gare Saint-Charles. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der Galerien damit um sechs zusätzliche Teilnehmer gestiegen. Zur Vernissage am Freitagnachmittag kam ein internationales Publikum. Praktische Handfächer, die zur Grundausstattung in den azurblauen Messebeuteln gehörten, sorgten für Abkühlung.
Neu in diesem Jahr waren die zweimal am Tag stattfindenden Kuratorenführungen über die Messe. Luigi Fassi, seit 2012 Kurator Bildende Kunst beim Festival Steirischer Herbst im österreichischen Graz, und Vincent Honoré, Direktor und Chefkurator des Non-Profit-Kunstcenters DRAF (Daniel Roberts Art Foundation) in London, erstellten, ausgehend von den zeigten Werken, eine imaginäre Ausstellung, die sie den Besuchern in ihren Führungen quer durch die Messehalle näher brachten. Mit Unterstützung der Fondation d’entreprise Ricard fand zudem ein von Cédric Aurelle zusammengestelltes und moderiertes Talk-Programm statt, zu dem unter anderen internationale KünstlerInnen und KuratorInnen eingeladen waren.
Aus Deutschland angereist war unter anderen die Berliner Galerie Klemm’s, die ihren Stand von den beiden Künstlerinnen Fiona Mackay und Émilie Pitoiset gestalten ließ. Die beiden versahen die rund 20 Meter lange Rückwand ganz cool und selbstbewusst mit dem Signet der Galerie. Die in Brüssel lebende Britin Fiona Mackay präsentierte auf diesem Hintergrund stark farbige Gouachen auf Papier. Die während eines längeren Marseille-Aufenthalts entstandenen, großformatigen Blätter überführen das Farb- und Formenvokabular einer mediterran angehauchten Klassischen Moderne in teils düster-zwielichtige Kompositionen. Die in Paris lebende Émilie Pitoiset zeigte enigmatische, irgendwie aus dem Gleichgewicht geratene Figuren voller ambivalenter Aufladung. Kittelartige Gewänder, die sich als religiös konnotiert ausdeuten lassen, spielen in ihrem Werk eine ebenso große Rolle wie auf kleinen Metallsockeln präsentierte, elegante Damenhandschuhe, die in mehrdeutigen Gesten erstarrt sind und sich – je nach kulturellem Background des Betrachters – ganz unterschiedlich lesen lassen. Da verwundert es nicht weiter, dass die Künstlerin zur Zeit auch eine Ausbildung als Psychoanalytikerin absolviert. Die Resonanz auf die beiden Künstlerinnen jedenfalls war überaus positiv. Die Galerie Klemm’s plant, im nächsten Jahr wieder an der Art-o-Rama teilzunehmen. Gouachen von Fiona Mackay kosten 2.500 Euro, die Skulpturen von Émilie Pitoiset zwischen 3.000 und 7.000 Euro.
Philipp von Rosen aus Köln hatte Videos und Fotos von Rebecca Ann Tess mit nach Marseille gebracht, die sich mit Immobilien und Motorbooten als Statussymbolen auseinandersetzen. Die Architektur von Wolkenkratzern und Urlaubsdomizilen, aber auch den Wettbewerb um das jeweils höchste Gebäude einer Stadt, eines Landes oder der Welt setzt Rebecca Ann Tess in Beziehung zu dem Wettstreit der Geschlechtertürme im mittelalterlichen San Gimignano in der Toskana, als reiche Familien sich darin übertrafen, an sich funktionslose, jedoch hoch aufragende Türme zu errichten, die bis heute das Stadtbild prägen. Die Arbeiten kosten zwischen 2.200 und 7.500 Euro, Fotografien und Videos jeweils in 5er-Auflage.
Die Galerie Dawid Radziszewski aus Warschau zeigte konzeptuelle, abstrakte Malerei und Skulpturen von polnischen Künstlern, unter anderem von Marian Szpakowski (1926-1983), eine Schlüsselfigur in der polnischen Kunstszene der Nachkriegszeit. Seine dunkeltonigen geometrischen Abstraktionen sind zur Zeit wieder sehr gefragt. Großes Interesse kommt von polnischen Institutionen. (Gemälde zwischen 10.000 und 12.000 Euro, Skulptur 15.000 Euro). Weiterhin am Stand: ein konzeptuelles, pastoses Gemälde der jungen Malerin Agata Bogacka. Das ebenfalls mit geometrischen Formen spielende Bild wandert, wenn es nicht verkauft wird, immer wieder zurück in das Atelier der Künstlerin und wird so lange weiter übermalt, bis es einen Käufer findet. Erst dann gilt das Werk, das auch als ein strategischer Kommentar auf die Mechanismen des Kunstmarkts betrachtet werden kann, als abgeschlossen. Das am Stand präsentierte Acryl-Gemälde „Portrait Composition 5“ war für 6.000 Euro im Angebot.
Die rumänische Galerie :Baril aus Cluj-Napoca präsentierte unter anderem Arbeiten der Spanierin Cristina Garrido, die bedruckte Stoffbeutel von Museen, Galerien und Kunstmessen zu Gemälden verarbeitet, indem sie sie als Leinwandersatz benutzt und die aufgedruckten Logos in präzise Malerei umsetzt. Ob Frieze Art Fair, Saatchi Gallery oder das MoMA: Die beliebten Umhängebeutel, die gerne von Kunstfans aus der ganzen Welt als stolzer Beweis der Kennerschaft und des „Dabeigewesenseins“ getragen werden, werden so als aufwendig bearbeitete Artefakte wieder in den Kunstmarkt eingeschleust und vom billigen, massentauglichen Transportbehältnis zum preziösen Kunstobjekt geadelt. Die Gemälde kosten 1.500 bis 1.800 Euro.
Ebenfalls aus Cluj-Napoca angereist war die rumänische Galerie Sabot mit einer Solo-Präsentation des in Cluj lebenden Italieners Stefano Calligaro. Die Galerie erhielt für diese Präsentation mit dem Titel „Unpuffering Room“ den Prix Roger Pailhas für die am besten kuratierte Koje. Der seit 2015 auf der Art-o-Rama vergebene Preis ist nach dem 2005 verstorbenen Marseiller Galeristen Roger Pailhas benannt, der Künstler wie Daniel Buren und Bruce Nauman ausstellte und regelmäßig an der Art Basel teilnahm. Mit dem Preis verbunden ist außerdem die Erstattung der Gebühr für die Messeteilnahme. Die durchschnittlich 40 Quadratmeter großen Stände auf der Art-o-Rama kosten vergleichbar moderate 3.000 Euro. Stefano Calligaro hat den Stand mit einfachen Mitteln in eine leicht sarkastische, freche und marktkritische Installation verwandelt. Rocker-Jacken hängen lässig über den Stühlen, bearbeitete Fotoprints von Passantinnen mit zerrissenen Jeans und trockenes Brot in Form von Ringen geben der Präsentation einen subversiven Touch voller Ironie und rätselhaft aufgeladener Poesie. Alle Arbeiten kosten zwischen 800 und 3.500 Euro.
Extra aus Kalifornien angereist war die Galerie ltd aus Los Angeles. Galeristin Shirley Morales zeigte Videos, bedruckte Seidentücher, Fotografien, eine Skulptur und aufwendigen Schmuck von drei jungen Künstlerinnen: die Kanadierin Margaret Haines, die Schwedin Josefin Arnell und die Kanadierin Arielle de Pinto. Alle Arbeiten am mutig in Pink gestrichenen Stand oszillierten zwischen Traum und Realität, Sexualität und Schlaflosigkeit, Coolness und Witz. Alle Arbeiten sind für 2.000 bis 14.000 US$ im Angebot.
Mittlerweile regelmäßiger Teilnehmer an der Art-o-Rama ist Daniel Marzona aus Berlin. Diesmal hatte er eine große Rauminstallation des Georgiers Vajiko Chachkhiani mit nach Marseille gebracht. Eine vergilbte Tapete, auf der abgehängte Bilder und Spiegel ihre Spuren hinterlassen haben, ein alter Teppich, tief hängende, altmodische Lampen sowie ein über Putz verlegtes Stromkabel vermitteln den Eindruck, hier sei gerade die Wohnung einer (womöglich verstorbenen oder ins Altersheim umgezogenen) älteren Dame ausgeräumt worden. Chachkhiani hat bei Gregor Schneider in Berlin studiert. Das Arrangement der stark konnotierten Objekte basiert auf einem humanistischen Gedicht. Die soziale Realität mischt sich mit dem Fluss der Zeit und dem sehnsuchtsvollen Hang zu einer gewissen Nostalgie und zum Bewahren der flüchtigen Dinge im Beschleunigungsrausch des digitalen Zeitalters. Großes Interesse an der Installation mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Elephants on their way to vanish“ bestand seitens einer französischen Privatsammlung. (Preis auf Anfrage).
Ebenfalls aus Berlin angereist war die Galerie ChertLüdde. Sie zeigten das Solo-Projekt „Utopias are for Birds“ des Spaniers Alvaro Urbano. Extrem ästhetisch und durchaus erschwinglich sind in dioramaartigen Schaukästen präsentierte Collagen mit kombinierten Vogel- und Architekturmotiven. So lässt Urbano etwa einen Specht mit Architekturskizzen von Peter Eisenman oder Coop Himmelblau interagieren (Collagen: 2.000 Euro). Von avantgardistischer Architektur inspirierte Vogelhäuser wiederum sind für bis zu 4.000 Euro im Angebot. Idealerweise sollen mutige Käufer sie im Außenraum aufhängen, um sie so zur Performance-Bühne und zum Rückzugsort lebender Vögel zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Künstlerkollegen Petrit Halilaj entstanden zudem textile Objekte, die zwischen 1.300 und 2.500 Euro liegen.
Rund um die Messe lockt Marseille zum Auftakt des Kunstherbstes mit einem spannenden Ausstellungsprogramm, darunter eine sehenswerte Doppelschau des US-Künstlers Mark Dion sowohl im FRAC (bis 24.9.) als auch im Muséum national d’Histoire Naturelle in einem Flügel des historistischen Prachtbaus Palais Longchamp (bis 1.10.). Eine weitere sehenswerte Schau zeigt das Goethe-Institut Marseille in dem ebenfalls in der Friche la Belle de Mai angesiedelten Ausstellungsraum La Salle des machines: Die beiden deutschen Künstler Erik Göngrich und Boris Sieverts arbeiten an der Schnittstelle zwischen Bildender Kunst, Architektur und Urbanistik. Sie haben sich in Marseille mit der Topografie der Calanques, einer fjordartigen Küstenlandschaft in unmittelbarer Nähe der Großstadt, und der Soziologie ihrer Besiedlung beschäftigt und daraus die Ausstellung „L’arrière-pays est devenu patrimoine“ entwickelt. Ihr Projekt beruht auf einer bereits 2012 begonnenen und im Rahmen von mehreren Gastaufenthalten weiter vertieften Recherche. Die Installation besteht aus künstlerisch aufbereiteten dokumentarischen Materialien, aber auch skulpturalen Elementen. So sind die Besucher der Schau eingeladen, ein raumgreifendes, aus feuchtem Ton bestehendes Bodenmodell der Calanques zu modifizieren. Die Ausstellung ist bis zum 24. September zu sehen.
Auch wenn die Galeristen bereits abgereist sind: Bis zum Sonntag, 10. September 2017 bleibt die Art-o-Rama als Ausstellung aufgebaut und kann von Interessierten besucht werden.
Auf einen Blick:
Messe: Art-o-Rama, Salon international d’art contemporain
Ort: Friche la Belle de Mai, Marseille
Zeit: 25. bis 27.8.2017 (Professional Weekend), bis 10.9.2017 (Ausstellung)
Internet: www.art-o-rama.fr