Der Künstler als innovatives Stil-Chamäleon: Die Berliner Gnyp Gallery präsentiert jetzt mit dem polnisch-amerikanischen Maler Wojciech Fangor einen hierzulande zu Unrecht unbekannten Repräsentanten der internationalen Nachkriegskunst
In seinem Geburtsland Polen wird er ganz selbstverständlich zu den Klassikern der Nachkriegsmoderne gezählt: der polnisch-amerikanische Maler, Grafiker, Bildhauer, Plakat- und Installationskünstler Wojciech Fangor (1922-2015). Doch auch außerhalb seines Heimatlandes wurde Fangor, dessen Werk fast so wechselvoll und vielfältig ist wie die gesamte Kunstgeschichte der Nachkriegszeit, in den vergangenen sieben Jahrzehnten immer wieder mit wichtigen Ausstellungen geehrt: so etwa 1959 im Amsterdamer Stedelijk Museum und in den 1960er Jahren im New Yorker Museum of Modern Art und im Guggenheim Museum. In Deutschland jedoch ist dieser Künstler, abgesehen von einem kurzen Intermezzo Mitte der 1960er Jahre in Berlin, noch nahezu unbekannt.
Die Berliner Gnyp Gallery ist gerade dabei, das zu ändern: Unter dem Titel „Wojciech Fangor: A Portrait of the Artist“ ist dort noch bis zum 5. November 2017 eine nahezu museal aufbereitete Retrospektive mit Arbeiten aus allen Werkphasen des Künstlers zu sehen. In Vitrinen präsentierte Briefe, Zeitungsausschnitte, Fotografien und andere Dokumente unterstreichen den kunstwissen-schaftlichen Anspruch der Schau. Das Spektrum der gezeigten Werke reicht von frühen Arbeiten im Propaganda-Stil des Sozialistischen Realismus über kubistische Stilübungen und realistische Darstellungen bis hin zu flimmernden Leinwandexperimenten im Stil der Op Art oder des Color Field Painting.
Zustandegekommen ist die Schau in enger Zusammenarbeit mit der Fangor Foundation und der Witwe des Künstlers, die den Nachlass betreut, und zahlreichen privaten und institutionellen Leihgebern überwiegend aus Polen und Deutschland. Ungewöhnlich für eine Galerieausstellung: Nur drei der gezeigten Werke stehen überhaupt zum Verkauf.
Galeristin Marta Gnyp hat bereits 2014 für das „Zoo Magazine“ eines der letzten ausführlichen Interviews mit dem im Oktober 2015 verstorbenen Künstler geführt. Seitdem war es ihr Traum, Wojciech Fangor mit einer in die Tiefe des Werks vorstoßenden Übersichts-schau einem breiteren Publikum in Deutschland vorzustellen.
Den Auftakt macht ein malerisch eher konventionelles Selbstporträt des jungen Malers aus dem Jahr 1944. Es zeigt einen jungen Mann im hellgrauen Rollkragenpullover, der, ausgestattet mit einem braunen Malkittel, Palette und Pinseln, selbstbewusst den Betrachter anblickt. 1922 in Warschau als Sohn eines Industriellen und einer kultur- und musikbegeisterten Mutter geboren, wuchs Wojciech Fangor in einem wohlhabenden, überaus kunstsinnigen Haushalt auf. Seine Mutter war Sammlerin und bereiste zusammen mit ihrem Sohn wichtige Ausstellungen in ganz Europa. 1937 etwa besuchten die beiden Pablo Picassos Gemälde „Guernica“ im Spanischen Pavillon auf der Internationalen Ausstellung in Paris. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog die Familie aufs Land, wo Fangor privaten Kunstunterricht bei den eher traditionell ausgerichteten Malern Tadeusz Pruszkowski und Felicjan Kowarski nahm. Durch Zufall fiel ihm jedoch ein Buch mit dem Briefwechsel zwischen Vincent van Gogh und seinem Bruder Theo in die Hände, welches ihm in einer Art Erweckungserlebnis vollkommen neue Perspektiven eröffnete und gleichzeitig einen enormen Produktionsschub auslöste.
Nach dem Krieg – der Vater war mittlerweile wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen von den Kommunisten verhaftet worden – fand er sich in einem völlig anderen politischen System wieder, von dem er zunächst jedoch überzeugt war. Nach außen hin passte er sich den neuen gesellschaftlichen Vorzeichen an. Es entstanden zahlreiche Bilder im Stil des Sozialistischen Realismus, darunter – unter dem Eindruck des Koreakrieges – auch das in Polen sehr bekannte Gemälde „Koreanische Mutter“ (1952), das einen kleinen verzweifelten Jungen über den Leichnam seiner offenbar erschossenen Mutter gebeugt zeigt, während im Hintergrund Dörfer und Städte brennen. Fangor dazu: „Ich wollte Frieden. Mit dem Bild wollte ich dazu beitragen.“
Abgesehen davon, dass linientreue Bilder wie dieses gelegentlich von staatlichen Stellen erworben wurden, gab es zu der Zeit in Polen keinen funktionierenden Kunstmarkt. Wojciech Fangor begann daher, im Auftrag des staatlichen Zentrums für Filmvertrieb Filmposter zu entwerfen, um sich wirtschaftlich über Wasser zu halten. Diese Tätigkeit war zudem mit relativ großer künstlerischer Freiheit verbunden. Das Dogma des Sozialistischen Realismus war hier weitgehend außer Kraft gesetzt. Mit freigestellten Motiven und signifikanten typografischen Elementen schufen die Künstler Plakate, die eher die Traditionen von Bauhaus und russischer Avantgarde in die Gegenwart überführten, als marktschreierisch US-amerikanische Vorbilder zu imitieren. Diesem hochinteressanten Werkaspekt widmet die Berliner Ausstellung ein eigenes Kapitel. Fangor gilt heute als einer der innovativsten und wichtigsten Repräsentanten der berühmten „Polnischen Schule der Plakatkunst“, die insbesondere in den 1950er bis 1980er Jahren international für ihre durchdachte Reduziertheit bekannt war und weltweit zahlreiche Preise und Auszeichnungen gewonnen hat. Gut erhaltene polnische Filmplakate aus dieser Zeit gelten heute als begehrte Sammlerobjekte. Etliche von Fangor gestaltete Motive sind in der Berliner Ausstellung zu sehen.
Erstaunlich ist die Bandbreite malerischer Ausdrucksmittel Fangors. In der Schau ist ein sehr farbenfrohes Porträt Albert Einsteins aus dem Jahre 1946 mit stilistischen Anleihen an Giorgio de Chirico ebenso zu sehen wie ein 1948 entstandenes Frauenporträt im kubistischen Stil. Das Bild „The Stone“ (1948) mit einem Stein, der vor dem knallgelben Hintergrund der Leinwand geradezu zu schweben scheint und mit roten, an geheime Schriftzeichen erinnernden Linien bedeckt ist, verweist dagegen eher auf den Surrealismus.
Seine enorme stilistische Vielfalt rechtfertigte Fangor einmal so: „Wenn ich das Thema wechsle, wechsle ich auch die Ausdrucksmittel. Das unterscheidet die Perioden meines Schaffens. Aber meine Bilder – dünn oder dick, klein oder groß, sommersprossig oder schielend – stammen, obwohl von verschiedenen Müttern, alle von einem Vater. Alle gehören zu einer Familie und existieren in ein und derselben Zeit“.
Besonders herausgearbeitet in der Berliner Ausstellung wird aber ein ganz spezieller Werkaspekt, der Fangor auch für heutige Betrachter zu einem beachtenswerten Vertreter der polnisch-amerikanischen Nachkriegsavantgarde macht: seine abstrakten Leinwandexperimente mit flimmernden Kreisen, scheinbar vor der Leinwand schwebenden Rauten, pulsierenden Farbwellen oder scheinbar mit der Sprühpistole realisierten Pigmentwirbeln, die in Wahrheit Punkt für Punkt mit dem Pinsel aufgetragen wurden. Wojciech Fangor erweist sich in seinem abstrakten Werk als großer Experimentator, was das Erzeugen von illusionistischen Räumen und Bildtiefen angeht. Um die Vermittlung spiritueller Erfahrungen, wie etwa bei Mark Rothko, ging es ihm dabei jedoch keineswegs. Der Rationalist Fangor war vielmehr fasziniert von astronomischen Phänomenen, Fokusverschiebungen oder Unschärfen, die sich mit optischen Instrumenten erzeugen liessen.
„Seit 1954 wusste ich, dass das System eine reine Utopie war, eine schöne Ideologie, die aber in der Wirklichkeit ihr genaues Gegenteil hervorbrachte.“ Um diese desillusionierende Erkenntnis reicher, wuchs in Fangor der Wunsch, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Mit seiner endgültigen Hinwendung zur Abstraktion im Jahr 1957 hatte er sich bereits innerlich vom Kunstschaffen in seiner Heimat Polen abgekoppelt. Eng befreundet mit verschiedenen Architekten, war Fangor schon früh an der Konstruktion von räumlich wirkenden Oberflächen interessiert. „Raum“, so betont er im Interview mit Marta Gnyp, „betrachte ich als etwas, um daraus eine unabhängige Kunst zu schaffen und nicht etwa nur als Material zur Herstellung funktionaler Architektur“.
1966 erfolgte Fangors Umsiedlung in die USA. Hier lebte er eher zurückgezogen, pflegte aber gelegentlich auch Kontakte zu Künstlern wie Richard Artschwager und dem 40 Jahre älteren Josef Albers, der seine Bilder mit einem anerkennenden „chapeau bas!“ (Hut ab!) kommentierte. Zu Anfang verkaufte er über seine New Yorker Galerie Chalette genügend Bilder, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen in den USA und England kamen hinzu. Lange Zeit war er Professor an der Fairleigh Dickinson University in New Jersey, rund 50 Kilometer von Manhattan entfernt. In den 1980er Jahren aber wurde es ruhig um ihn – das Interesse an Op Art war spürbar zurückgegangen. Mittlerweile Pensionär, zog Fangor zunächst weiter Richtung Norden, um sich dann, sichtlich angestrengt von den langen kalten Wintern an der amerikanischen Ostküste, für einige Zeit in Santa Fe, New Mexico niederzulassen. „Ich malte Landschaften, Stillleben, meine unmittelbare Umgebung, aber niemand interessierte sich für das, was ich machte. Als Polen dann demokratisch war, wurde die Rückkehr zu einer Option für mich“, so Fangor.
1999, mittlerweile 77 Jahre alt, zog er dann gemeinsam mit seiner Frau Magdalena Shummer-Fangor (ihrem malerischen Werk ist am zweiten Standort der Gnyp Gallery in der Knesebeckstraße eine eigene Ausstellung gewidmet) tatsächlich nach Polen zurück, in ein Dorf rund 60 Kilometer südlich von Warschau. Seiner Karriere verlieh diese späte Heimkehr einen enormen Schub. Fangor richtete sich in einer alten, denkmalgeschützten Mühle ein Studio ein, malte weiter und wurde mit großen Retrospektiven in den wichtigen Museen des Landes ausgestellt. Fangor erhielt Verdienstorden und Medaillen. Zudem setzte unter polnischen Kunstsammlern geradezu ein Run auf seine Werke ein. Die Preise auf dem Sekundärmarkt verdoppelten sich innerhalb kurzer Zeit. 2007 wurde er mit der Gestaltung von Wandpaneelen für alle Stationen einer Warschauer U-Bahnlinie beauftragt. Ihm wurde in seiner alten Heimat also jegliche Form später Anerkennung zuteil. Hätte er womöglich schon eher nach Polen zurückkehren sollen? Im Interview mit Marta Gnyp kommentierte Wojciech Fangor den späten Erfolg jedenfalls mit einer altersweisen Mischung aus Genugtuung und Bedauern: „Schade nur, dass das alles erst passiert ist, als ich schon 90 war und nicht bereits mit 40.“
Auf einen Blick:
Ausstellung: Wojciech Fangor: A Portrait of the Artist
Ort: Gnyp Gallery, Hardenbergstraße 9, 10623 Berlin
Zeit: bis 5. November 2017, Do-Sa 13-18 Uhr und nach Vereinbarung
Internet: www.gnypgallery.com
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Ausstellung: Magdalena Shummer-Fangor: Pleasures
Ort: Gnyp Gallery, Knesebeckstraße 96, 10623 Berlin
Zeit: bis 5. November 2017, Do-Sa 13-18 Uhr und nach Vereinbarung
Internet: www.gnypgallery.com