Wir lieben und wir töten sie: Mit der groß angelegten Themenschau „Tiere“, die außergewöhnliche Exponate aus der gesamten Kunstgeschichte umfasst, untersucht das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) jetzt unser ambivalentes Verhältnis zum Tier
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Joachim Lutz: Große Elefanten, weitere Tiere sowie Menschen in vielen Schichten gemalt nach einem Wandbild der Mutoko-Höhle in Simbabwe, Afrika, 1929, Aquarell auf Papier (Detail), Foto: Heiko Klaas
Den Auftakt macht ein gigantisches Wimmelbild, das deutsche Forscher 1929 als Reproduktion einer rund 40.000 Jahre alten Höhlenmalerei in Simbabwe angefertigt haben. Den Hintergrund bilden zwei riesige weiße Elefanten, während sich im Vordergrund neben realistischen Darstellungen von Flusspferden, Zebras, Antilopen oder Gazellen auch jede Menge menschliche Wesen und Mischwesen aus Mensch und Tier tummeln. Friedliche Koexistenz statt Dominanz und Ausbeutung.
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Otto Seifert: Junger Gorilla um 1890, Foto: Heiko Klaas
„Wieviel Tier braucht der Mensch, um sich seines Menschseins bewusst zu werden?“ fragt Dennis Conrad, einer der drei Co-Kuratoren der Ausstellung „TIERE. Respekt/Harmonie/Unterwerfung“, die jetzt im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in Hamburg zu sehen ist. Die materialreiche Schau versammelt auf rund 1200 Quadratmetern mehr als 200 Exponate von prähistorischen Funden über altägyptische Artefakte, Porzellanarbeiten des Barock, Asiatika, Gemälde verschiedener Epochen bis hin zu zeitgenössischen Werken von Künstlern wie Ai Weiwei, Douglas Gordon odr Michael Schmidt. Mithin ist die gesamte Kunst- und Menschheitsgeschichte in der Schau repräsentiert.
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Ai Weiwei: „Zodiac Heads“, 2011, Bronze, vergoldet, Foto: Heiko Klaas
„Das Verhältnis von Tier und Mensch muss neu verhandelt werden! Tiere sollen endlich zu ihrem Recht kommen, ihr subjektives Empfinden, ihre Individualität und Verletzlichkeit verlangen Respekt“, so Sabine Schulze, die im Mai 2018 aus dem Amt scheidende Direktorin des MKG und Hauptkuratorin der Ausstellung. Mit Ausstellungen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen hat das MKG unter ihrer Leitung in den vergangenen zehn Jahren immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt. Die aktuelle Schau nimmt den „Animal Turn“, darunter versteht man die aktuell zu beobachtende Hinwendung der Geisteswissenschaften und der vergleichenden Verhaltensforschung zur Ähnlichkeit von Mensch und Tier, zum Anlass, ganz grundlegende Fragen an unser immer noch von Dominanz- und Ausbeutungsmechanismen bestimmtes Verhältnis zum Tier zu stellen.
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Ausstellungsansicht, Michael Schmidt, Lebensmittel (Detail), 2006–2010, 177 Fotografien, Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt, Foto: MKG
„Die Ausstellung ist nicht chronologisch zu verstehen, sondern sie will eher Gedanken in Bewegung setzen“, erläutert Dennis Conrad den Parcours, der anhand von rund einem Dutzend Themeninseln die Komplexität der Mensch-Tier-Beziehungen vorstellt. Der Mensch kam in eine Welt, die ursprünglich von Tieren dominiert wurde. Er machte sie sich untertan: als Beute, als gezähmtes Haustier, als Kultwesen, als Forschungsobjekt. Gerade das ambivalente Verhältnis des Menschen zum Affen wird in der Schau intensiv beleuchtet. Zu sehen ist etwa das ironische Gemälde „Affen als Kunstrichter“ (1889) von Gabriel von Max, eine Jazzkapelle aus Meißner Porzellan mit Affen als Musikern, aber auch historische Postkarten aus dem Hamburger Tierpark Hagenbeck, die domestizierte Affen in Windeln und Kleidung zeigen.
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Gabriel von Max (1840-1915), Affen als Kunstrichter, um 1889, Öl auf Leinwand, Privatsammlung, © Foto: Martin Hahn
Ein besonders anrührendes Exponat stellt das Gemälde „Orang Utan, Erdbeeren fressend“ von Tethart Philipp Christian Haag aus dem Jahre 1776 dar. Es zeigt ein junges, aufgeweckt wirkendes Orang-Utan-Weibchen, das 1776 aus Borneo nach Den Haag gebracht worden war. Dem Leiter der dortigen Naturaliensammlung gelang es, dem jungen Tier menschliche Essmanieren beizubringen. Es wurde in einer Menagerie öffentlich zur Schau gestellt. Von der Vielzahl neugieriger Besucher unter ständigen Stress gesetzt, starb es jedoch nach nur sieben Monaten. „Es gibt keine Mischwesen zwischen Affe und Mensch. Es gibt unterschiedliche Stellen auf der Skala“, stellt Sabine Schulze fest.
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Tethart Philipp Christian Haag, Orang Utan, Erdbeeren fressend, 1776, Öl auf Leinwand, 109 x 89 cm, Braunschweig, Herzog Anton Ullrich-Museum, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen
Besonders eindrucksvoll sind auch die zahlreichen historischen Exponate aus Ägypten. Mehrere Statuetten der Göttin Bastet sowie eine Katzenmumie zeugen von der besonderen Verehrung der Katze. Die Tiere galten als heilig. Es war verboten, sie zu töten. Sie hatten ihre eigenen Grabstätten.
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Franz Marc (1880-1916), Liegender Hund im Schnee, 1910/1911, Öl auf Leinwand, 62,5 × 105 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V., Foto: © Städel Museum – ARTOTHEK
Weltberühmte Gemälde wie Franz Marcs „Liegender Hund im Schnee“ (1911), Paul Klees „Der Goldfisch“ (1925), „Der Nachtmahr“ (1790/91) von Johann Heinrich Füssli oder „La Belle et la Bête“ (1908) von Henri Rousseau machen die Schau auch für Kenner der Malerei zu einem Hochgenuss. Daneben sind aber vom Filmklassiker „King Kong und die weiße Frau“ aus dem Jahre 1933 bis hin zu Comics und Graphic Novels auch zahlreiche popkulturelle Exponate zu sehen.
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Merian C. Cooper & Ernest B. Schoedsack, King Kong und die weisse Frau, 1933, Filmstill, © Foto: Beta Film / Deutsches Filminstitut, Frankfurt-KINEOS Sammlung
Ganz am Ende der Ausstellung gibt es dann noch einmal eine besonders anrührende Begegnung mit einem Elefanten. Für seine Videoinstallation „Play Dead; Real Time“ (2003) ließ der britische Künstler Douglas Gordon den Zirkuselefanten Minnie und seinen Dompteur in den neutralen White Cube der New Yorker Gagosian Gallery bringen. In dem tonlosen Video hören wir zwar dessen Befehle nicht, doch schnell wird dem Zuschauer klar, dass hier ein Tier immer wieder zu einem nicht artgerechten Verhalten aufgefordert wird. Nahezu in Lebensgröße begegnet der Betrachter einer gequälten Kreatur, der man offenbar beigebracht hat, sich auf Zuruf totzustellen.
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Douglas Gordon: „Play Dead; Real Time (this way)“, (2003) © Studio lost but found/VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Heiko Klaas
„Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, wie sie sich zum Tier stellt“, sagt Sabine Schulze. Mit dieser Arbeit am Ende der Schau zeigt sie uns, dass der Weg zu einem respektvollen Umgang zwischen Mensch und Tier noch ebenso weit wie alternativlos ist.
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Anonym, Postkarte mit Affenmotiv aus dem Tierpark Hagenbeck, um 1910, Chromolithografie, 10 x 15 cm, Archiv Hagenbeck, Hamburg, © Carl Hagenbeck GmbH Archiv
Auf einen Blick:
Ausstellung: TIERE. Respekt/Harmonie/Unterwerfung
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe (MKG), Hamburg
Zeit: 3. November 2017 bis 4. März 2018. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 288 S., ca. 200 Abb., 29 Euro (Museum), 39,90 Euro (Buchhandel)
Internet: www.mkg-hamburg.de