Das Hamburger Bucerius Kunst Forum zeigt den Brücke-Künstler Karl Schmidt-Rottluff im Dialog mit ausgewählten Stücken seiner Sammlung außereuropäischer Stammeskunst
Im Leben des jungen Karl Schmidt-Rottluff ging alles immer Schlag auf Schlag. 1884 wird er als Sohn eines Müllers im Chemnitzer Stadtteil Rottluff als Karl Friedrich Schmidt geboren. Mit 15 beginnt er zu zeichnen, mit 17 gründet er einen Debattierklub, und mit 20 besucht er seinen ein Jahr älteren ehemaligen Mitschüler Erich Heckel in Dresden, der dort ein Architekturstudium aufgenommen hat. Hier lernt er mit Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bley auch zwei weitere Architekturstudenten kennen, die sich jedoch viel lieber der Malerei widmen. Am 7. Juni des Jahres 1905 gründen die vier die „Brücke“ und damit eine der bis heute legendärsten Künstlergruppen des 20. Jahrhunderts. Seinen Allerweltsnamen ergänzt Schmidt noch im selben Jahr um den Zusatz „Rottluff“. Max Pechstein und Emil Nolde kommen 1906 als weitere Mitglieder des bis 1913 existierenden Zusammenschlusses hinzu. Mit ihren kantigen Formen, den kräftigen Farben und den oft aus dem prallen Leben gegriffenen Sujets sollten die Brücke-Künstler die deutsche Kunst nachhaltig verändern.
Soviel zu den Gemeinsamkeiten der Hauptvertreter des deutschen Expressionismus. Einen ganz besonderen, bisher im Ausstellungsbetrieb noch nicht näher untersuchten Aspekt im Werk von Karl Schmidt-Rottluff rückt jetzt das Hamburger Bucerius Kunst Forum in den Fokus einer Einzelausstellung. Die Schau „Karl Schmidt-Rottluff: expressiv, magisch, fremd“ konzentriert sich vornehmlich auf Schmidt-Rottluffs lebenslange Faszination und Sammel-leidenschaft für afrikanische und ozeanische Kunst- und Kultobjekte. Kathrin Baumstark, die Kuratorin des Bucerius Kunst Forum, hat die Schau gemeinsam mit zwei externen Expertinnen eingerichtet: Magdalena M. Moeller, bis September 2017 Direktorin des Brücke-Museums Berlin, und Christiane Remm, Kuratorin der im Brücke-Museum beheimateten Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung.
Am Anfang des Parcours hängt eine kleine, an Erich Heckel adressierte Postkarte aus dem Jahr 1909. Kopfüber dargestellt – Georg Baselitz verkaufte diesen Kunstgriff erst 60 Jahre später als sein Markenzeichen – ist eine Figur aus Kamerun. Das kleine Fundstück aus den Beständen des Altonaer Museums zeigt, dass Schmidt-Rottluff offenbar bereits früh ein Faible für außereuropäische Artefakte entwickelt hatte. Die Hafenstadt Hamburg, wo er sich 1910 in einer Dachkammer ein Atelier einrichtete, war damals ein ausgesprochen guter Ort, um solche Masken, Figuren und Kultgegenstände zu erwerben. Die Freundschaft mit der wichtigen Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire tat ein Übriges. Schapire brachte Schmidt-Rottluff mit zahlreichen Händlern und Sammlern in Kontakt, so dass seine Kollektion stetig Zuwachs bekam.
Dass Objekte seiner Sammlung unmittelbar Eingang in seine Bilder, Aquarelle, Zeichnungen und sein druckgrafisches Werk fanden, beweist die Ausstellung jetzt mit rund 80 Exponaten. „Man kann sagen, dass Karl Schmidt-Rottluff in Deutschland der Erste war, der auf afrikanische Plastik reagiert hat“, betont Magdalena M. Moeller. Und Kathrin Baumstark ergänzt: „Masken und Objekte haben ihn ein Leben lang begleitet. Er rezipierte sie auf verschiedene Art und Weise.“
Auf Gemälden wie „Masken“ (1938) oder „Schräge Maske“ (1961) inszeniert Schmidt-Rottluff Stücke seiner Sammlung im harmonischen Einklang mit ornamentalen Stoffen, Schalen und Blumenvasen zu oft farbgewaltigen Arrangements. Die Ausstellungsmacherinnen rücken allerdings auch andere Aspekte seiner malerischen Auseinandersetzung mit dem Fremden und Magischen in den Blick. So sind mehrere atmosphärisch aufgeladene Landschaftsbilder aus den 1920er Jahren zu sehen. Schmidt-Rottluff verbrachte damals die Sommermonate mit seiner Frau an der Ostsee. Das Gemälde „Aufgehender Mond“ aus dem Jahre 1920 etwa zeigt eine menschenleere, spätsommerliche Landschaft mit bereits gelben Kornfeldern, distelartigen Gewächsen und einem kleinen Tümpel, in dem sich das Mondlicht auf geheimnisvolle Art und Weise spiegelt.
Ein ganzes Kapitel ist auch den Bildern gewidmet, die während mehrerer Italien-Aufenthalte, insbesondere während seiner Zeit als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom 1930, entstanden. Obwohl römische Ruinen zu sehen sind, geht es ihm hier keineswegs um eine reine Antikenrezeption. Vielmehr betont Schmidt-Rottluff durch seine übersteigerte Farbpalette und die dramatische Lichtführung seine Faszination für das Transzendente. Nachdem er 1936 vom NS-Regime als „entartet“ gebrandmarkt wird und über 600 seiner Werke aus den Museen entfernt werden, zieht sich Karl Schmidt-Rottluff in die innere Emigration zurück. Gerade in dieser Zeit aber entstehen weiterhin Stillleben voller afrikanischer Masken, die nun zunehmend die Funktion von Schutzgöttern und Fetischen einzunehmen scheinen, welche die draußen lauernden Gefahren auf Distanz halten sollen. Mit wieder lebensfroheren Werken aus den 1950er und 1960er Jahren endet die Schau – und sie zeigt, dass dem Maler, der 1976 in Berlin starb, trotz seiner leidvollen Erfahrungen im Dritten Reich der Sinn für Farben, kraftvoll durchgestaltete Formen und magische Überhöhungen nicht ausgetrieben werden konnte.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Karl Schmidt-Rottluff: expressiv, magisch, fremd
Ort: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Zeit: 27. Januar bis 21. Mai 2018. Täglich 11-19 Uhr. Do 11-21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 164 S., zahlreiche Farbabb., 29 Euro (Ausstellung), 39,90 Euro (Buchhandel)
Internet: www.buceriuskunstforum.de