Zwischen sommerlich-leicht und alarmiert: Der französische Künstler Philippe Parreno lockt die Besucher seiner unbetitelten Ausstellung im Berliner Gropius Bau auf einen Parcours voller widersprüchlicher Sinneserfahrungen
„Diese Ausstellung trägt keinen Titel, sie ist der Zustand“, sagt Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele. In seiner ersten größeren Einzelausstellung in Deutschland schickt der französische Künstler Philippe Parreno, Jahrgang 1964, die Besucher des Berliner Gropius Baus auf eine Art Wahrnehmungsparcours, den er mittels subtiler, technisch jedoch aufwendiger Eingriffe inszeniert hat.
Da schweben Dutzende heliumgefüllter Plastikfische durch einen in gelbliches Licht getauchten Ausstellungsraum und vermitteln dem Besucher die Illusion, er durchschreite ein gigantisches Aquarium. Da darf sich der Besucher im Lichthof auf eine kreisrunde schwarze Sitzlandschaft von sieben Meter Durchmesser setzen, die sich fast unmerklich dreht. So richtet sich sein Blick abwechselnd auf zwei elegante, nach neuester Technik hergestellte Videoscreens sowie auf ein mit dunkler Flüssigkeit gefülltes Bassin, auf dessen Oberfläche immer wieder konzentrische Kreise sichtbar werden, die von kleinen Unterwasserlautsprechern erzeugt werden.
Zurück in den sommerlich hellen Ausstellungsräumen, fällt gleich ein weiterer Eingriff Philippe Parrenos ins Auge: Die Jalousien im Erdgeschoss des Gropius Baus heben und senken sich in einem mitunter hektischen Rhythmus und in wechselnden Geschwindigkeiten, so dass Innen und Außen zeitweise miteinander verschmelzen und der Blick unwillkürlich auf das Gelände des ehemalige Gestapo-Hauptquartiers, das jetzt die historische Dauerausstellung „Topographie des Terrors“ beherbergt, freigegeben wird – ein von Parreno sicherlich nicht ganz unbeabsichtigter Hinweis auf die düsteren Aspekte der deutschen Geschichte. In allen Räumen flackert zudem das Licht auf irritierende Art und Weise. In unregelmäßigen Abständen erklingen wechselnde Sounds aus fast unsichtbar angebrachten Lautsprechern: englische Texte werden rezitiert, Live-Geräusche von Außen werden hörbar, und ein sprechender Findling wird zum Medium einer philosophischen Erörterung. Zudem begegnen dem Besucher in der gesamten Raumfolge immer wieder obskur aufgeladene Tuschezeichnungen des Künstlers, die abstrakte Landschaften oder Aggregatzustände andeuten.
„Alles ist hier mit allem verbunden“, erläutert Philippe Parreno, der die Ausstellung als Künstler und Kurator in Personalunion entwickelt hat und in seiner konsequenten Inszenierung von dem mathematischen Prinzip der Fibonacci-Folge ausgeht. Um die komplexen Abläufe, Prozesse und Wahrnehmungserlebnisse zu steuern, hat Philippe Parreno als Herzstück der Schau eine biochemische Versuchsanordnung konstruiert, in welcher Hefebakterien als Impulsgeber und Steuerungsquelle für die komplizierten, computergesteuerten Algorithmen dienen. Diesen futuristischen Bioreaktor versteht er als eine Art Lebensimpulsgeber. „Ich benutze Mikroorganismen, die Menschen seit Jahrhunderten benutzt haben, um Brot herzustellen“, erläutert er nonchalant. Philippe Parreno steht in enger Verbindung zu befreundeten Künstlerkollegen wie Pierre Huyghe und Dominique Gonzales-Foerster, mit denen er seit den 1990er Jahren wiederholt kooperiert hat, und die mit ähnlichen künstlerischen Strategien internationale Erfolge erzielen.
Philippe Parreno vermeidet für seine Arbeit den Begriff „Installation“. Er bevorzugt hingegen die Bezeichnung „Illusion“: „Wenn die Objekte auf die Bühne gebracht werden, kümmern wir uns nicht mehr um das Repertoire, sondern wir dringen in andere Dimensionen vor“, betont er.
Für Thomas Oberender rückt diese streckenweise surreal daherkommende Sommerausstellung die „Kreisläufe des Lebens und des Lichts“ in den Fokus der Aufmerksamkeit. „Die unterschiedlichen Gehirnhälften werden hier stimuliert“, ergänzt Stephanie Rosenthal, die nach Stationen in München und London seit Februar 2018 als neue Direktorin am Berliner Gropius Bau tätig ist.
Philippe Parreno führt uns in Berlin vor Augen, wie die für den Menschen nicht nachvollziehbaren Entscheidungsprozesse eines Bioreaktors den Mikrokosmos Ausstellung in Bewegung versetzen. In Zeiten künstlicher Intelligenz, digitaler Dominanz und der Verquickung von Neurowissenschaft und Kunst kann diese abwechslungsreiche, zwischen großem Ernst und verschmitztem Humor changierende Ausstellung als intelligent gemachter Beitrag zu aktuell virulenten gesellschaftlichen Diskursen gewertet werden.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Philippe Parreno
Ort: Gropius Bau, Berlin
Zeit: bis 5. August 2018, Mi–Mo 10–19 Uhr, Di geschlossen
Katalog: Verlag der Buchhandlung Walther König, ca. 80 S., Deutsch/Englisch, in Vorbereitung
Internet: www.gropiusbau.de
www.berlinerfestspiele.de