Über 90 Werke aus sechs Jahrzehnten: Das Museum Barberini in Potsdam zeigt Gerhard Richter als analytischen Vordenker und unumstrittenen Großmeister der ungegenständlichen Malerei
Das Potsdamer Museum Barberini am vergangenen Donnerstag. Wo Gerhard Richter auftaucht, da herrscht immer eine Art Belagerungszustand. Der mittlerweile 86-Jährige erträgt den medialen Rummel um seine Person jedoch mit erstaunlicher Gelassenheit. Rund 200 Pressevertreter, darunter mindestens 50 mit viel technischem Equipment ausgestattete Fotografen und Kameraleute, nutzten die Gelegenheit zu einer einstündigen Begegnung mit dem teuersten lebenden Künstler der Welt. Alle Fragen wurden von Richter im Plenum geduldig beantwortet. Einzelinterviews waren allerdings nicht möglich. Nach genau einer Stunde verschwand der Meister dann sichtlich ermüdet mit dem Aufzug in der Tiefgarage, wo schon ein Fahrer auf ihn wartete.
Die Ausstellung „Gerhard Richter. Abstraktion“ im Potsdamer Privatmuseum des Softwareunternehmers und SAP-Gründers Hasso Plattner versammelt jetzt, verteilt auf neun Themenräume, über 90 Werke Gerhard Richters. Angefangen mit Arbeiten aus den frühen 1960er Jahren bis hin zu nahezu atelierfrischen Bildern aus den Jahren 2016/2017 ermöglicht es die Schau dem Betrachter, Kontinuitäten und Brüche im Werk des 1932 in Dresden geborenen und heute in Köln lebenden Künstlers anhand repräsentativer Schlüsselwerke und Serien nachzuvollziehen. Etliche Werke waren zuvor noch nie öffentlich ausgestellt.
Im Fokus der Ausstellung stehen diverse abstrakte Strategien und Verfahren, die von Richter im Laufe der Jahrzehnte erfunden, weiterentwickelt, abgewandelt, verworfen oder perfektioniert wurden. Gerhard Richters Umzug in den Westen und damit auch der Beginn seiner eigentlichen künstlerischen Karriere fielen in eine Zeit, als allerorten eine Hinwendung der avantgardistischen Künstler zu neuen Formen des Ausdrucks zu spüren war. Arte Povera, Minimal Art, Konzeptkunst, Happenings oder Performances prägten plötzlich den Diskurs. Der Kunstbetrieb war der Malerei, die als bürgerlich bis reaktionär konnotiertes Medium betrachtet wurde, überdrüssig geworden. Der Hamburger Kunsthistoriker Laszlo Glozer prägte dafür den Ausdruck „Ausstieg aus dem Bild“.
Wie also mit dem Malen weitermachen, wenn man sich selbst – wie Gerhard Richter – als fortschrittlicher Künstler begreift? Ortrud Westheider, die Direktorin des Museum Barberini und gemeinsam mit Dietmar Elger, dem Leiter des Gerhard Richter Archivs in Dresden, Co-Kuratorin der Ausstellung, dazu: „Richter legitimierte die Malerei, indem er sich mit ihren Grundlagen befasste“.
Den Anfang der sehenswerten Ausstellung markieren die überwiegend in Grau gehaltenen Bilder der frühen 1960er Jahre. Richter konzentriert sich hier noch ganz auf Strukturen, die er in der industriell produzierten Dingwelt vorfindet: Fenster, Wellbleche, Gitter, Röhren oder Vorhänge etwa. Indem er sie zunächst fotografiert und dann in abgestuften Grautönen auf die Leinwand bringt, baut er Distanz auf. Er notiert: „Mich interessieren nur die grauen Flächen, Passagen und Tonfolgen… Wenn ich eine Möglichkeit hätte, auf den Gegenstand als Träger dieses Gefüges zu verzichten, würde ich sofort abstrakt malen.“
1966 ist es dann soweit. Mit dem Bild „Ohne Titel (194-9)“ – es besteht nur noch aus einem monumentalen Pinselstrich – proklamiert er gewissermaßen die radikale Gegenstandslosigkeit. Was folgt, ist die analytische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Farbe an sich. In Potsdam versammelt sind nahezu alle zentralen Farbtafeln Richters. Inspiriert von Musterkarten aus dem Farbgeschäft, füllte Richter ab den späten 1960er Jahren etliche Leinwände mit gleichmäßig angeordneten, kleinen farbigen Rechtecken. Das Spektrum reicht hier vom eher übersichtlichen Bild „Zwei Grau übereinander (143-2)“ von 1966 bis zum 1973 entstandenen, drei mal drei Meter großen Gemälde „1024 Farben (351)“. Neutralität und das Prinzip Zufall stehen hier im Vordergrund. Die Farbfolgen bestimmte nämlich ein Losverfahren. Das Malmaterial wird hier sozusagen mit unterkühltem Gestus vorgeführt. Ein individueller künstlerischer Ausdruck, wie im Abstrakten Expressionismus der Amerikaner oder dem deutschen Informel üblich, wird jedoch komplett negiert.
Was und wie malen also, um von der illustrierenden Wiedergabe realer Gegenstände wegzukommen? Die seit 1976 bis heute entstehenden „Abstrakten Bilder“ Richters feiern die Farbverläufe im Ungegenständlichen. Die Rakel, eigentlich bloß ein Abstreifinstrument für überflüssige Farbe, wird jetzt zu seinem bevorzugten Malwerkzeug. Auf oft mehrere Quadratmeter große Leinwände trägt Richter Schicht für Schicht Farbe auf. Mit der Rakel fährt er dann mal sanft, mal kraftvoll durch die noch nicht getrocknete Oberfläche und erzeugt – eher Bildproduzent als Maler – Strukturen, Verwischungen und partielle Freilegungen. Er verschmilzt ältere Zustände mit neueren und erzeugt so, was er selbst einmal den „gegenstandslosen Anschein unbestimmter Schönheit“ genannt hat. Bis zu 41 Millionen Euro, so der bisherige Rekord aus dem Jahr 2015, sind Sammler bereit, für ein solches Gemälde zu zahlen. In Potsdam sind diese Bilder nun gleich dutzendweise versammelt.
Und wenn der Betrachter dann doch versucht sein sollte, in den „Abstrakten Bildern“ etwas erkennen zu wollen? Für den altersmilden Gerhard Richter ist auch das in Ordnung: „Es ist ein natürliches Bedürfnis, dass wir immer erkennen wollen, was wir sehen“, so der Maler in Potsdam.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Gerhard Richter. Abstraktion
Ort: Museum Barberini, Potsdam
Zeit: 30.6. bis 21.10.2018. Täglich außer dienstags 10-19 Uhr. Jeden 1. Donnerstag im Monat 10-21 Uhr
Katalog: Prestel Verlag, 240 S., 174 Farbabb., 29,95 Euro (Museum), 39 Euro (Buchhandel)
Internet: www.museum-barberini.com