Form, Proportion und Farbe: Die Villa Hügel in Essen widmet Josef Albers, einem der faszinierendsten und einflussreichsten Künstler und Kunstpädagogen des 20. Jahrhunderts, eine umfangreiche Retrospektive. Sein Weg führte ihn von Bottrop über das Bauhaus bis an die Yale University
Er war Künstler, Pädagoge und Kunsttheoretiker. Und es ist wohl nicht übertrieben, zu behaupten, dass er, der eher Stille, der einflussreichste Kunsthochschulprofessor überhaupt war, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA gewirkt hat. Der in Bottrop geborene und 1933 in die USA ausgewanderte Sohn eines Dekorationsmalers hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich Kunstrichtungen wie die Minimal Art und die Konzeptkunst überhaupt erst entwickeln konnten. Zu seinen Schülern, die er von 1933 bis 1949 am berühmten Black Mountain College in North Carolina und ab 1950 an der Yale University unterrichtete, zählten später weltberühmt gewordene Künstler wie Donald Judd, Robert Rauschenberg, Eva Hesse und Richard Serra. Sein eigenes Werk wird jedoch meist auf eine bestimmte Serie reduziert. Höchste Zeit also, es einmal in seiner gesamten Bandbreite vorzustellen.
Die Rede ist von dem Bauhauskünstler, Maler, Fotografen, Designer und Farbtheoretiker Josef Albers (1888-1976), der sein Werk vor allem im amerikanischen Exil konsequent weiterentwickelt und seine künstlerischen Überzeugungen an nachfolgende Generationen vermittelt hat. 1988 hat ihn das New Yorker Guggenheim Museum aus Anlass seines 100. Geburtstags mit einer umfangreichen Einzelausstellung gewürdigt. Seit rund 30 Jahren war allerdings keine größere Retrospektive seines Werkes mehr zu sehen. Die von Heinz Liesbrock und Ulrike Growe kuratierte Ausstellung „Josef Albers. Interaction“ in der Villa Hügel in Essen füllt jetzt diese Lücke.
Sie versammelt rund 170 Exponate der Medien Malerei, Druckgrafik und Fotografie. Daneben sind aber auch von Albers entworfene Glasarbeiten, Möbel, Designobjekte sowie etliche Beispiele präkolumbianischer Skulpturen aus der gemeinsamen Sammlung des Ehepaars Josef und Anni Albers (1899-1994) zu sehen. Zu den wichtigsten Leihgebern zählen das Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop, die Josef and Anni Albers Foundation in Bethany, Connecticut, aber auch zahlreiche weitere institutionelle und private Leihgeber in Westeuropa und den USA. Die beiden Ausstellungsmacher selbst sind als Direktor beziehungsweise Kuratorin am Bottroper Josef Albers Museum tätig und können daher als ausgewiesene Albers-Experten bezeichnet werden. Dass diese große Josef-Albers-Ausstellung jetzt in der 1873 errichteten, prestigeträchtigen Villa Hügel, dem früheren Stammsitz der Unternehmerdynastie Krupp und heutigen Ausstellungshaus der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, stattfindet, kann als besonderer Glücksfall gewertet werden. Zumal die Stiftung in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiert.
Die chronologisch aufgebaute Schau gliedert sich in zwölf Kapitel. Von den noch gegenständlichen, frühen Anfängen über die produktiven Jahre am Bauhaus, die verschiedenen amerikanischen Werkphasen, den Einfluss seiner zahlreichen Reisen nach Mexiko, sein Verhältnis zur Spiritualität bis hin zu Arbeiten seiner wichtigsten Schüler werden alle zentralen Aspekte von Albers‘ Werk und dessen Wirkungsgeschichte ausführlich gewürdigt. Neueste Forschungsergebnisse sind in die Schau mit eingeflossen. Sie vermitteln ein sehr differenziertes Bild des Künstlers, das seine große Eigenständigkeit betont und ihn nicht etwa, wie lange Zeit üblich, bloß als Vertreter des Konstruktivismus oder der Op-Art einordnet.
Einen Schwerpunkt der Schau bildet selbstverständlich auch die Werkgruppe „Homage to the Square“, die Josef Albers zwar erst im Alter von 62 Jahren begann, die seinen Ruhm aber bis heute begründet. Zwischen 1950 bis unmittelbar vor seinem Tod 1976 hat Albers rund 2000 Bilder dieses Typus gemalt. Die kleinsten kommen im Format 40 x 40 Zentimeter daher, die größten messen 120 x 120 Zentimeter. All diesen Bildern gemeinsam ist ihr klar strukturierter Aufbau. Das an sich schon quadratische Format des Bildträgers – Albers verwendete keine Leinwände sondern Hartfaser- beziehungsweise Masonitplatten – wird von drei bis vier farblich mal mehr, mal weniger stark voneinander abweichenden, ineinander verschachtelten Quadraten ausgefüllt.
Warum Quadrate? Josef Albers ging es nicht um die markante geometrische Form an sich, sondern viel mehr darum, ein möglichst neutrales Schema zu benutzen, das den Betrachterblick nicht durch inhaltliche Aufladung ablenken sollte. Das für ihn Wesentliche ist nämlich nicht die Darstellung eines Gegenstandes sondern die Interaktion zwischen Farbe, Linie, Fläche und Raum. In erster Linie soll so die Wahrnehmung des Betrachters geschult und herausgefordert werden. „I want to open eyes“ (Ich möchte [den Menschen] die Augen öffnen). Mit diesem programmatischen Satz beantwortete der vor den Nationalsozialisten geflohene Josef Albers auch die Frage eines US-Einwanderungsbeamten nach seiner geplanten beruflichen Tätigkeit in Amerika. Indem er in der Serie „Homage to the Square“ unterschiedliche Farbflächen aufeinanderstoßen lässt, demonstriert Albers, wie diese sich gegenseitig verändern. Man könne, so hat sich Albers einmal geäußert, zum Beispiel „das langweiligste Grau zum Tanzen bringen“, wenn man es einem Schwarz gegenüberstelle.
Und noch etwas ist wichtig. Albers‘ Bilder aus der Serie „Homage to the Square“ sind nicht mit dem Pinsel gemalt. Die von ihm verwendete Ölfarbe hat der Künstler in handwerklicher Manier stets gleichmäßig mit dem Spachtelmesser aufgetragen. Das Vermeiden einer individuellen künstlerischen Handschrift war ihm dabei äußerst wichtig. Dennoch strahlen seine Bilder keine sterile Perfektion aus. Ihre „Gemachtheit“ ist an den Übergangslinien durchaus ablesbar. Kurator Heinz Liesbrock dazu: „Es gibt eine angenehme Unregelmäßigkeit, wenn die mit freier Hand gestalteten Farbfelder aneinanderstoßen. Nicht lineare Abgrenzung, sondern organischer Übergang ist das Thema… Seine Farbflächen sprechen leise und pointiert – ihr Tonfall ist unaufdringlich und zurückhaltend.“
Meist sind es Bilder dieser Serie, mit denen Albers in den Sammlungen großer Museen, in Wechselausstellungen oder in Kunstbänden und Lexika zu sehen ist. Das Charmante und Überzeugende an der Essener Ausstellung ist jedoch die außerordentliche Breite, mit der sein Werk hier aufgefächert und beleuchtet wird. So sind gleich im ersten Raum der Schau auch Möbelstücke und Designobjekte zu sehen, die während seiner Zeit am Bauhaus entstanden sind. Ein eleganter Armlehnstuhl etwa aus Schichtholz und Stahlrohr, ein Satz Beistelltische mit Glasoberflächen in Rot, Gelb, Blau und Türkis oder auch eine puristische Fruchtschale aus Glas, Metall und Holz.
Im Raum nebenan steht „Magisches Glas“ im Mittelpunkt. Hier zu sehen sind Glasarbeiten aus den frühen 1920er Jahren. In den Jahren der Hyperinflation war an den Erwerb von traditionellen Künstlermaterialien überhaupt nicht zu denken. Albers machte daher aus der Not eine Tugend. Er ging mit Rucksack und Hammer auf Müllhalden, zerschlug farbige Glasflaschen und schuf aus den Scherben im Atelier faszinierende, quasi von innen heraus leuchtende Gitterbilder und Glasassemblagen.
Viel Raum wird auch den Mexiko-Reisen eingeräumt, die Albers gemeinsam mit seiner Frau Anni ab 1936 wiederholt unternommen hat. Beide waren fasziniert vom Licht, den Farben und Formen, die ihnen dort begegneten. Diese Eindrücke schlugen sich unmittelbar in ihrem Werk nieder. In der Essener Ausstellung sind neben farbenfrohen Gemälden, unter anderem aus der berühmten „Adobe-Serie“ (1946-1966), auch Schwarz-Weiß-Fotografien, Kontaktabzüge und kleine Drucksachen wie Postkarten, Landkarten und Tourismusbroschüren zu sehen. Zahlreiche Figurinen, Kultgefäße, Masken und Schmuckanhänger aus der umfangreichen Sammlung präkolumbianischer Kunst des Ehepaars Albers lassen die inhaltliche Tiefe erahnen, mit der sich die beiden mit der für sie unbekannten Kultur auseinandersetzten.
Einen besonderen Glücksfall stellt im Übrigen auch die Tatsache dar, dass dem Werk von Anni Albers rund 30 Kilometer entfernt, in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (K20) in Düsseldorf ebenfalls eine große, gemeinsam mit der Tate Modern in London entwickelte Retrospektive gewidmet ist, die noch bis zum 9. September zu sehen ist.
Doch zum Schluss noch einmal zurück zu Josef Albers selbst. Ein bisher unbeachteter Aspekt seiner Künstlerpersönlichkeit, den die beiden Kuratoren durch die vergleichende Präsentation seiner Werke mit russischen Ikonen, einem mittelaterlichen Kruzifix und einer Madonnenstatue aus dem 15. Jahrhundert besonders eindrucksvoll herausgearbeitet haben, ist der tief verwurzelte katholische Glaube des Künstlers. Der britische Kunsthistoriker Charles Darwent weist in seinem Katalogbeitrag unter anderem darauf hin, dass Albers täglich die Messe in der Kapelle der Yale University besucht habe, und er kommt zu dem Schluss, dass die Bilder der Serie „Homage to the Square“, was ihre enorme Anzahl, aber auch „die Repetitivität ihrer Herstellung, ihre tägliche Wiederholung in einem schlichten, der Welt entrückten Raum… Andachtsübungen wie Meditation oder Gebet“ ähneln. Dieser zumindest wahrnehmungs-psychologischen und vielleicht sogar spirituellen Komponente des auf den ersten Blick so rational und konzeptuell wirkenden Werkes von Josef Albers kann man als Besucher der Essener Ausstellung jetzt auch selbst nachspüren. Nehmen Sie sich einfach einen der zahlreich vorhandenen Stühle und schenken Sie einem Bild für einige Minuten ihre ganze Aufmerksamkeit!
Auf einen Blick:
Ausstellung: Josef Albers. Interaction
Ort: Villa Hügel, Essen
Zeit: bis 7. Oktober 2018. Di-So 10-18 Uhr
Katalog: Verlag der Buchhandlung Walther König, 312 S., ca. 200 Farbabb., 28 Euro (Ausstellung), 39,80 Euro (Buchhandel)
Internet: www.josefalbers.villahuegel.de