Bilder der Neuen Sachlichkeit treffen auf Fotografien des Neuen Sehens: Erstmals in diesem Umfang untersucht jetzt eine Ausstellung die enge Verzahnung der beiden Medien in der Kunst der 20er Jahre. Zu sehen ist sie im Bucerius Kunst Forum in Hamburg
Wer den ARD-Mehrteiler „Babylon Berlin“ gern gesehen hat, der wird diese Ausstellung lieben. „Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre“ lautet der Titel einer faszinierenden Präsentation im Hamburger Bucerius Kunst Forum, die der fiebrigen und aufgeheizten Tanz-auf-dem-Vulkan-Stimmung in der Zeit der Weimarer Republik nachspürt. Nur eben nicht in bewegten sondern in erstarrten Bildern. Massenarbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und politischer Extremismus, aber auch Technikbegeisterung, der Siegeszug der selbstbestimmten „Neuen Frau“ und die Lust am künstlerischen Experiment.
Diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Phänomene kennzeichnen eine nur rund 15 Jahre währende Periode zwischen dem Untergang des Kaiserreichs und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Die damit verbundenen gesellschaftlichen und künstlerischen Aufbrüche waren aufgrund der Fragilität der politischen Verhältnisse von Anfang an bedroht – gerade deshalb vielleicht wagten ihre Protagonisten so radikal Neues.
Rund 40 Gemälde der Neuen Sachlichkeit und mehr als 115 Fotografien des Neuen Sehens wurden vom Kuratorenduo Kathrin Baumstark und Ulrich Pohlmann für die Schau zusammengetragen, darunter viele erst im Laufe der Recherche entdeckte Trouvaillen aus Privatsammlungen und Museumsdepots.
Maler wie Otto Dix, Christian Schad oder Anton Räderscheidt, Fotografen wie Albert Renger-Patzsch, August Sander oder Lotte Jacobi, Meister der politischen Fotomontage wie Hannah Höch, Erwin Blumenfeld oder László Moholy-Nagy: Sie alle entwickelten nach dem Ersten Weltkriegs eine radikal neue Ästhetik, in deren Fokus der nüchterne Blick auf die Wirklichkeit stand. Weg von den gestischen Ausbrüchen der expressionistischen Malerei. Hin zu einer neuen Präzision des Sehens und der künstlerischen Wiedergabe. Putzeimer, Treppenhäuser, Baustellen. Das scheinbar Nebensächliche wurde plötzlich bildwürdig.
Die Hamburger Ausstellung setzt ein mit einem unverstellten Blick auf die Dinge. Karl Blossfeldts fotografische Detailaufnahmen von Mohnkapseln und Winterschachtelhalmen treffen da auf Otto Schöns gemaltes „Atelierstillleben“ mit exotischen Zimmerpflanzen. Ein äußerst elegantes Arrangement des Fotografen Albert Renger-Patzsch mit Laborgläsern auf einer spiegelnden Glasfläche auf das nicht minder stilvoll ausgetüftelte Gemälde „Gläser“ von Hannah Höch, das in der Spiegelung sogar noch ein kleines Selbstporträt der Künstlerin enthält.
Durchgängiges Prinzip der in sieben Kapitel gegliederten Schau ist der vergleichende Blick auf die Spezifika der Medien Malerei und Fotografie. Wie beeinflussen sich diese in den 20er Jahren gegenseitig? Wie prägt die neue Lust am präzisen fotografischen Erfassen der Wirklichkeit auch die malerische Wiedergabe? Christian Schads „Halbakt“ aus dem Jahre 1929 etwa zeichnet sich durch hyperrealistische Detailfreude aus. Jedes noch so kleine Äderchen unter der leicht gebräunten Haut der jungen Frau mit dem schwarzen Bubikopf ist zu erkennen. Keine anonyme erotische Projektionsfläche sondern eine reale Frau aus Fleisch und Blut steht hier im Mittelpunkt des künstlerischen Interesses.
Ob Akte oder Stadtansichten, Individualporträts von Künstlern und Intellektuellen oder Typenbilder von Zeitungsausträgern, Werftarbeitern oder Prostituierten. „Welt im Umbruch“ lädt auf vielfältige Art und Weise zum erhellenden Vergleich der Aneignungs- und Darstellungsmodi in den verschiedenen Medien ein. In ihrem Schlusskapitel mit politischen Montagen führt uns die Schau aber auch mahnend vor Augen, wie eine von Raffgier, Armut, Nationalismus und Rechtspopulismus zerfleischte Gesellschaft urplötzlich in den Abgrund blickt.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre
Ort: Bucerius Kunst Forum Hamburg
Zeit: 9.Februar bis 19. Mai 2019. Täglich 11-19 Uhr. Do 11-21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 264 S., 236 Abb., 29 Euro (Museum), 39,90 Euro (Buchhandel)
Internet: www.buceriuskunstforum.de