Die 37. Ausgabe der Art Brussels kommt einmal mehr als international gut aufgestellte Entdeckermesse daher
250 bis 300 Kunstmessen und messeähnliche Veranstaltungen gibt es mittlerweile weltweit. Allein in diesen Tagen findet in Monaco die Art Montecarlo statt, und in Berlin nehmen 45 Galerien am nunmehr 15. Gallery Weekend teil. Nächste Woche beginnen dann die Frieze New York, die Art New York und die TEFAF New York. Anne Vierstraete, die Direktorin der Art Brussels, lässt sich von derlei Konkurrenz nicht beeindrucken: „Wettbewerb ist etwas Positives, denn er spornt einen dazu an, selbst sein Bestes zu geben.“
„Das Publikum, das wir in erster Linie im Blick haben, sind natürlich die belgischen Sammler“, so die Messedirektorin. Dieser Stammklientel bescheinigt sie, besonders mutig zu sein, was die Bereitschaft angeht, auch etwas schwierigere Kunstwerke zu erwerben. Dabei spielen, so Vierstraete, über Generationen weitergereichte, familiäre Traditionen ebenso eine große Rolle wie die Bereitschaft, sich über Kunst und Künstler ein großes Wissen anzueignen. Ihr Geheimrezept für die Art Brussels: Die Messe soll nicht nur eine schöne Zusammenstellung von Objekten sein, die irgendwie nach Kunst aussehen, sondern die Besucher auch mit komplexeren Arbeiten herausfordern, die nicht unbedingt jedermanns Geschmack bedienen.
Anne Vierstraete macht aber auch darauf aufmerksam, dass Kunstmessen in einer Zeit, die nahezu besessen von neuen digitalen Technologien und sozialen Netzwerken ist, es zunehmend schwerer haben, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken: „Zeit, Distanz, Geschwindigkeit, Raum: Unsere Wahrnehmungsmuster haben sich stark verändert. Wir sind einem derartigen Übermaß an visuellen Reizen ausgesetzt, dass man sich zunehmend anstrengen muss, sein Publikum noch mitzureißen“, so Vierstraete. In Belgien nehme man sich jedoch nach wie vor noch sehr viel Zeit für den Besuch einer Kunstmesse. Viele Sammler kommen nicht nur einmal in die Kojen ihrer Lieblingsgalerien, sondern kehren immer wieder auf die Messe zurück, um dann am Ende womöglich eine positive Kaufentscheidung zu treffen, so ihre Beobachtung.
157 Galerien aus 32 Ländern sind für die 37. Ausgabe der Art Brussels angereist. Sie präsentieren Werke von 735 Künstlern in den Hallen von Tour & Taxis, einem im 19. Jahrhundert errichteten ehemaligen Lagerhaus und Industriekomplex unweit der Brüsseler Innenstadt. Das Quartier mausert sich zunehmend zu einem neuen kulturellen Hub. Seit Mai 2018 befindet sich hier auch KANAL, Brüssels neues Museum für zeitgenössische Kunst mit rund 35.000 Quadratmetern Nutzfläche. Untergebracht in einem ehemaligen Autohaus der Marke Citroën aus dem Jahr 1934, entsteht hier in enger Zusammenarbeit mit dem Pariser Centre Pompidou ein großes Kulturzentrum, das neben Ausstellungsflächen auch mehrere Bühnen für darstellende Künste beheimaten wird. Noch bis Juni 2019 ist das Gebäude sozusagen im Rohzustand zu erleben. Danach beginnt eine mehrere Jahre andauernde Renovierungsphase. Während der Umbauzeit wird die Institution KANAL jedoch an mehreren anderen Orten in der Brüsseler Innenstadt Quartier nehmen. Die endgültige Eröffnung ist für 2023 vorgesehen.
Anne Vierstraete betont, dass 28% der auf der Art Brussels gezeigten Künstler weiblich seien. Damit liege man immerhin über dem internationalen Durchschnitt von 24%. Der Fokus der Teilnehmer der Art Brussels liegt auf den einheimischen belgischen Galerien, gefolgt von Galerien aus Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Deutschland.
Bereits am Vorabend der Messe waren zahlreiche Sammler und Kunstinteressierte auf der Brussels Gallery Night unterwegs. In den beiden Galerienvierteln, die von Insidern nur als „Uptown“ und „Downtown“ bezeichnet werden, zeigten Brüssels führende Galerien wie Xavier Hufkens, Barbara Gladstone, Greta Meert, Meessen de Clercq, Rudolphe Janssen, Almine Rech, Michel Rein oder Daniel Templon neue Ausstellungen mit Künstlern aus ihrem Programm. Aber auch junge Nachwuchsgalerien und unabhängige Kunsträume wie etwa die nomadische Galerie Ballon Rouge Collective nahmen an der Gallery Night teil. Hier fielen ebenso sparsam mit vegetabilen Gebilden besetzten, überwiegend roh belassenen Leinwände der jungen türkischen Malerin Merve Iseri, Jahrgang 1992, auf. Die downtown ansässige Galerie dépendance zeigte die 1971 geborene Britin Gillian Carnegie mit meisterhaft gefertigten, abgesehen von subtilen Farbakzenten überwiegend Grau in Grau gehaltenen figurativen Gemälden. Zu Carnegies bevorzugten Motiven gehören menschenleere Interieurs, zuweilen angereichert mit Tieren und Pflanzen. Kahl-puristische Bilder zwischen Vilhelm Hammershøi und Neuer Sachlichkeit.
Eine ungewöhnliche malerische Position zeigte die Galerie Sorry We’re Closed mit dem 1946 geborenen texanischen Maler Otis Jones. Seine abgerundeten Bildobjekte bestehen aus mehreren übereinandergelegten Schichten von Sperrholz, auf die dann am Ende eine Leinwand aufgetackert wird. Was auf den ersten Blick monochrom und postminimalistisch zu sein scheint, erweist sich dann bei näherem Hinsehen als komplexe Schichtung mehrerer Farben, die vom Künstler, seiner Intuition folgend, immer wieder mit Sand abgerieben, erneuert und wieder abgerieben werden, bis am Ende ein exzentrischer Bildkörper voller Patina und spiritueller Aufladung übrig bleibt.
„The place to be“ an diesem Abend war jedoch die 2017 eröffnete Brüsseler Filiale der in São Paulo und New York beheimateten Blue-Chip-Galerie Mendes Wood DM. Auf zwei großzügigen Etagen einer historischen Stadtvilla an der zentral gelegenen Place du Grand Sablon zu sehen sind Arbeiten des 1977 geborenen brasilianischen Shooting Stars Paulo Nazareth. Autobiografie und Ethnografie gehen bei diesem Künstler Hand in Hand. So präsentiert er etwa auf Paletten stehende, in Kunstharz eingegossene Verpackungen von Lebensmitteln und Putzmitteln, die seine Mutter zu kaufen pflegte. Der Clou dieser Arbeit: Alle Produkte sind nach christlichen Heiligen benannt. Der heimische Vorratsschrank wurde also zu einer Art Mini-Altar, der die Familie vor bösen Einflüssen schützen sollte.
Doch zurück auf die Art Brussels. Was die Messe besonders besucherfreundlich macht, ist ihre Aufteilung in klar definierte Sektoren: Neben dem „Prime“ übertitelten Hauptsektor hat die Messe vier weitere Abteilungen mit einem spezielleren Fokus im Angebot. Im Sektor „Discovery“ etwa sind in diesem Jahr 38 Galerien am Start. Der Schwerpunkt liegt hier auf jüngerer, am Markt noch nicht etablierter Kunst. Die auf Künstler der Neuen Leipziger Schule spezialisierte Leipziger Galerie Kleindienst zeigt mit dem 1983 geborenen Julius Hofmann einen jüngeren Künstler, der bei Neo Rauch an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) studiert hat. Seine surreal aufgeladenen schwarz-weißen Papierarbeiten wirken auf den ersten Blick wie Druckgrafiken. Tatsächlich aber handelt es sich um mit allen möglichen Werkzeugen in Acrylfarbe ausgeführte, monochrome Zeichnungen. Als Vorlagen für seine Motive nutzt Julius Hofmann Bilder aus dem Internet, Film Stills oder kunstgeschichtliche Vorbilder wie etwas Hans Bellmers berühmte Fotografie „Die Puppe“ („The Doll“) aus den 1930er Jahren (Zeichnungen zwischen 2.200-6.800 Euro).
In der „Rediscovery“-Sektion wiederum präsentieren elf Galerien Werke von Künstlern, die in den vergangenen 20 Jahren ein wenig außer Sichtweite geraten sind, deren Wiederentdeckung sich jedoch lohnt. So zeigt etwa die in Brüssel und Knokke beheimatete Galerie Zwart Huis Werke der 1952 geborenen belgischen Künstlerin Liliane Vertessen, die gerne als „belgische Cindy Sherman“ bezeichnet wird. In den frühen 1970er Jahren begann Vertessen damit, erotisch aufgeladene Selbstporträts anzufertigen. Auf vielen dieser Bilder ist die in Lack und Leder gekleidete und tätowierte Künstlerin in provokanter Punk-Pose zu sehen. Ihre meist quadratischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen werden von roter Neonschrift flankiert in Plexiglaskästen präsentiert. Diese stammen allesamt aus ihrer Entstehungszeit in den 1980er Jahren (14.000-16.000 Euro).
In der Sektion „Solo“ zeigen 23 Galerien Einzelpräsentationen ihrer Künstler. Die mexikanische Galerie Proyectos Monclova zeigt den 1981 in Slowenien geborenen, heute in Brüssel lebenden Konzeptkünstler Ištvan Išt Huzjan. Neben aufwändig gestalteten Künstlerbüchern in 100er-Auflage ist die aus 92 Motiven bestehende fotografische Arbeit „Thank you all for coming“ zu sehen, die anlässlich seiner Ausstellungseröffnung in den Räumen der Galerie in Mexico City im Jahr 2019 entstanden ist. Huzjan schüttelte damals bei der Eröffnung jedem Ausstellungsbesucher persönlich die Hand und hielt diese Geste mit der Kamera fest. Die Gesamtinstallation bestehend aus 92 Unikaten wird für 28.000 Euro angeboten.
Neu in diesem Jahr ist die mit neun Galerien beziehungsweise Art Spaces besetzte Sektion „Invited“. Der Fokus hier liegt auf jungen Galerien oder unabhängigen Kunsträumen, die sich eine Messeteilnahme aus wirtschaftlichen Gründen normalerweise nicht leisten könnten. Alle Teilnehmer wurden ohne Bewerbungsprozess direkt von der Messe eingeladen und erhielten Carte Blanche für ihre Präsentation. Ein durchaus mutiges Modell also, das so an den meisten anderen Messeplätzen bisher nicht bekannt ist. „Ohne diese ganz jungen Galerien würde das Ökosystem des Kunstmarktes irgendwann zusammenbrechen“, erläutert Anne Vierstraete. Im Sektor „Invited“ zeigt die junge Londoner Galerie Alice Black drei junge Künstler, darunter den 1990 geborenen Briten Tristan Pigott, dessen farbenfrohe Stillleben zum Teil vom belgischen Surrealismus inspiriert sind. Das mit menschlichen Silhouetten, Zimmerpflanzen und Alltagsgegenständen wie Kunstbänden oder Lebensmittelverpackungen aufgeladene Gemälde „Juicy Bits“ etwa war für 11.000 Euro im Angebot.
Als Sonderausstellung präsentiert die Art Brussels in diesem Jahr das Videoprogramm „Screen It“, kuratiert von dem jungen belgischen Kurator Pieter Jan Valgaeren. Gegliedert in die vier Themenbereiche Media, Globalisation, Technology und Identity zeigt Valgaeren jeweils vier bis fünf Videokünstler, die von ausstellenden Galerien und Kunstinstitutionen in Brüssel repräsentiert werden.
Ob großformatige Leinwände des Antwerpener Malers Koen van den Broek bei der Gallery Baton aus Seoul, die ironische Fußmatten-Installation „Composition Trouvée“ des belgischen Altmeisters der Readymade-Kunst Guillaume Bijl aus 18 unterschiedlich bedruckten Fußmatten bei Keteleer Gallery aus Antwerpen oder die wiederentdeckten geometrischen Abstraktionen des deutschen Malers Georg Karl Pfahler (1926-2002) am Stand der Brüsseler QG Gallery – die diesjährige Art Brussels ist anders als etwa die vor zwei Wochen zu Ende gegangene Art Cologne eine wirkliche Entdeckermesse mit hoher Qualität in allen Sektionen.
Den Anspruch, am Puls der Zeit zu sein, haben die Brüsseler allemal. Für diejenigen, die gleich zur Eröffnung in der nächsten Woche oder in den Monaten darauf zur Venedig Biennale fahren wollen, bietet die Messe sogar einmal am Tag eine einstündige Führung in englischer Sprache an. Hier liegt der Fokus auf Künstlern, die auch auf der 58. Biennale Venedig gezeigt werden, darunter etwa Jimmie Durham, der in diesem Jahr den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk verliehen bekommt. Er ist mit einer totempfahlähnlichen Skulptur aus dem Jahr 1991 bei Michel Rein (Paris, Brüssel) vertreten, die für 150.000 Euro angeboten wird. Die in London lebende französische Turner Prize-Trägerin Laure Prouvost wird in diesem Jahr den französischen Pavillon bespielen. Die in Paris und Brüssel beheimatete Galerie Nathalie Obadia hatte von der Künstlerin einen 290 x 425 cm großen, opulent verarbeiteten Gobelin mit dem Titel „This Means Tableau“ im Angebot. Produziert wurde dieser in Flandern. Das rätselhaft aufgeladene Werk voller traumartiger Bilder und Begriffe, in dessen Mittelpunkt ein Ziegenbock steht, kostet 80.000 Euro (Auflage: 3).
Die erst 26-jährige, in London lebende Künstlerin Kudzanai-Violet Hwami wird in diesem Jahr ihr Geburtsland Simbabwe in Venedig vertreten. Hwami entwirft auf ihren großformatigen Gemälden das optimistische Szenario eines zukünftigen afrikanischen Kontinents, der frei ist von politischer Unterdrückung und der Diskriminierung sexueller und anderer Minderheiten. Die Londoner Galerie Tyburn hatte die Gemälde für je £25.000 im Angebot. Die Budapester Galerie Ani Molnár zeigt Computergrafiken des 1959 geborenen, heute in Hongkong lebenden Ungarn Tamás Waliczky. Mittels 3D-Computergrafik und Animation hat Waliczky ein ganzes Sortiment imaginärer Fotoapparate, Filmkameras und Projektoren entworfen. Würden diese Apparate tatsächlich gebaut werden, so würden sie Bilder mit außergewöhnlichen Effekten produzieren. In Venedig wird Tamás Waliczky den ungarischen Pavillon bespielen.
Die Galerie Geukens & De Vil aus Knokke/Antwerpen schließlich zeigt ethnografisch aufgeladene, postminimalistische Arbeiten des 1980 geborenen Mexikaners Gabriel Rico. Messingstäbe treffen da mitunter auf rostige Messer, Papageienfedern und Neonelemente. Gabriel Rico gehört zu den 79 Künstlerinnen und Künstlern, die Biennale-Leiter Ralph Rugoff in der Hauptausstellung „May You Live in Interesting Times“ im Zentralen Pavillon und im Arsenale präsentieren wird. Einen großen Messeauftritt haben auch Jos de Gruyter, Jahrgang 1965, und Harald Thys, Jahrgang 1966, die in diesem Jahr den Belgischen Pavillon in den Giardini bespielen. Ihr vielteiliges Panoptikum mit lebensgroßen skulpturalen Köpfen aus dem 3D-Drucker umfasst Politiker, Diktatoren, Mörder, Mordopfer aber auch B-Movie-Darsteller, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ins kollektive Gedächtnis Belgiens beziehungsweise der internationalen Öffentlichkeit eingebrannt haben. Horror und Belustigung liegen hier ganz eng beieinander.
Zum Schluss sei noch positiv hervorgehoben, dass die Art Brussels im Gegensatz zu anderen Kunstmessen wie etwa der Art Cologne, der Art Basel und der Art Rotterdam nach wie vor einen sorgfältig redigierten, umfangreichen, gut bebilderten, und vor allen Dingen auf Papier gedruckten Katalog für ihre Besucher bereithält. Bleibt zu hoffen, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Auf einen Blick:
Messe: 37. Art Brussels – Contemporary Art Fair
Ort: Tour & Taxis, Avenue du Port 86C, 1000 Bruxelles
Zeit: 26.-28. April 2019, 11–19 Uhr
Katalog: 480 S., 20 Euro
Internet: www.artbrussels.com
Nächster Termin: 23.-26. April 2020