Mit der Foto- & Videoausstellung „Here We Are Today“ eröffnet das Bucerius Kunst Forum sein neues Domizil in Hamburg. Das beliebte Ausstellungshaus positioniert sich mit moderner Architektur und brisanteren Themen wesentlich zeitgenössischer als zuvor
Neue Räume am Alten Wall. Das 2002 eröffnete Hamburger Ausstellungshaus Bucerius Kunst Forum hat Anfang Juni seine neuen Ausstellungsräume nur wenige Meter vom alten Standort entfernt mit einer großen Feier eingeweiht. Das Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) hat hinter der historischen Fassade des Gebäudekomplexes am Alten Wall direkt neben dem Rathaus ein modernes, zeitgemäßes Ausstellungshaus auf vier Etagen mit einer Gesamtfläche von 3.400 Quadratmetern errichtet. Neben dem klimatisch und lichttechnisch auf den allerneuesten Stand gebrachten, 850 Quadratmeter großen Ausstellungssaal im ersten Stock bietet das neue Bucerius Kunst Forum den Besuchern ein großzügiges Auditorium mit Lichthof und Foyer im zweiten Obergeschoss, einen vergrößerten Shop im Erdgeschoss sowie ein gläsernes Malatelier mit Blick aufs Fleet für alle Besuchergruppen.
Kathrin Baumstark, nach dem überraschenden Weggang ihres Vorgängers Franz Wilhelm Kaiser neue künstlerische Leiterin des Bucerius Kunst Forums, erläutert die neuen Möglichkeiten nach dem Umzug: „Die neuen Räume haben den großen Vorzug, dass wir die Kunst auf einer Ebene präsentieren können. Auf die jeweilige Ausstellung abgestimmt kann der Saal im Ganzen bespielt oder in viele kleine Kabinette unterteilt werden.“
Die erste Ausstellung in den neuen Räumen setzt den eingeschlagenen Weg des Hauses fort, in konzentrierten Einzel- und Themenausstellungen mit hochkarätigen internationalen Leihgaben ein breites Publikum anzusprechen. Rund 200.000 Besucher kommen jedes Jahr zu den Ausstellungen und den dicht getakteten Veranstaltungen. Noch bis zum 29. September ist die von Kathrin Baumstark kuratierte Ausstellung „Here We Are Today. Das Bild der Welt in Foto- & Videokunst“ zu sehen. Die in fünf Kapitel unterteilte Gruppenschau versammelt 80 größtenteils seriell angelegte Fotografien und sieben Videos von internationalen Gegenwartskünstlern, darunter Hito Steyerl, Tobias Zielony, Peter Piller und Herlinde Koelbl. In ihren teils politischen, teils biografisch gefärbten Arbeiten behandeln sie brennende Fragestellungen vor dem Hintergrund der globalisierten Gesellschaft.
Kathrin Baumstark gliedert die Schau in die Themenkomplexe Identität, Heimat, Vergangenheit, Verbrechen und Kapital. Manche Zuordnungen wirken jedoch allzu déjà-vu-mäßig und plakativ wie etwa die großformatige Fotografie eines Amazon-Warenlagers von Andreas Gursky im Kapitel „Kapital“ oder im Kapitel „Identität“ der Film „Roja“, in dem die in New York lebende, iranisch-stämmige Foto- und Videokünstlerin Shirin Neshat sich mit ihrer Rolle als Exilantin auseinandersetzt.
Überzeugend hingegen die vielschichtige Fotoserie „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“ der 1966 geborenen Münchnerin Eva Leitolf im Kapitel „Heimat“. Sie setzt sich in ihren unspektakulären Fotografien mit der Häufung rechtsextremer Gewalttaten gegen Asylsuchende in den 1990er Jahren auseinander, indem sie Tatorte von Anschlägen, Sympathisanten oder unbeteiligte Zuschauer mit der Kamera einfängt. So entwirft sie ein auch heute noch erschreckend aktuell wirkendes Bild von Heimat in einem Deutschland, das nicht frei ist von Schuld und überzogenem Nationalgefühl.
Unter die Haut geht auch die Serie „Permanent Error“ von Pieter Hugo. Der Fotograf aus Südafrika hat Aufnahmen an einer Müllhalde für Elektroschrott in der ghanaischen Hauptstadt Accra gemacht. In erschütternden Bildern stellt er die von Rauchschwaden eingenebelten Resteverwerter der Konsumgesellschaft ins Zentrum seiner Serie, die im Ausstellungskapitel „Kapital“ ausgestellt wird und den westlichen Privilegierten den Spiegel vorhält.
Mit dieser explizit zeitgenössischen Ausstellung beschreitet das Bucerius Kunst Forum einen Weg der weiteren Verjüngung und der Positionierung innerhalb des aktuellen gesellschaftlichen und kunstimmanenten Diskurses. Die beiden kommenden, eher populären Ausstellungen „Amerika! Disney, Rockwell, Pollock, Warhol“ und „David Hockney“ dürften ebenfalls dazu beitragen, auf Dauer ein jüngeres Publikum ans Haus zu binden.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Here We Are Today. Das Bild der Welt in Foto- & Videokunst
Ort: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Zeit: Bis 29. September 2019. Täglich 11.00 bis 19.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 21.00 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 184 S., 120 Abb., 29,00 Euro (Ausstellung), 39,90 Euro (Buchhandel)
Internet: www.buceriuskunstforum.de