Zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach wagt das frisch renovierte Ernst Barlach Haus in Hamburg neue Blicke auf den norddeutschen Bildhauer und Dramatiker
In diesem Jahr feiert das Ernst Barlach Haus in Hamburg den 150. Geburtstag des norddeutschen Bildhauers, Grafikers und Dramatikers Ernst Barlach (1870-1938). Nach einer viermonatigen Renovierung zeigt das am Rande des Jenischparks gelegene, Anfang der 1960er Jahre vom Architekten Werner Kallmorgen errichtete Ausstellungshaus jetzt die Ausstellung „Werden, das ist die Losung! Szenen zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach“.
Barlach ist zur Zeit in aller Munde. Die Deutsche Post ehrt ihn mit einer Sondermarke. Der Suhrkamp Verlag bringt eine 3000 Seiten starke, vierbändige Ausgabe mit bisher zum Teil unveröffentlichten Briefen heraus. Und der Schauspieler Charly Hübner begibt sich gemeinsam mit dem Schriftsteller Ingo Schulze in den nächsten Monaten auf eine kleine Tournee quer durch Deutschland, in deren Rahmen sie aus den zahlreichen Briefen Barlachs lesen werden. Den Auftakt machte jetzt eine restlos ausverkaufte Veranstaltung anlässlich der Eröffnung der Jubiläumsausstellung in Hamburg.
Im Zentrum der Hamburger Schau steht die Frage: Was interessiert die jüngere Generation an Ernst Barlach? „Dieses Museum ist kein Haus, um ein endgültiges Resümee über das Leben und Werk von Ernst Barlach zu ziehen“, sagt Museumsdirektor Karsten Müller. Er hat für die Auftaktschau zum Jubiläumsjahr mit der Kunsthistorikerin Petra Lange-Berndt von der Universität Hamburg zusammengearbeitet, die sich gemeinsam mit zwölf Studierenden zwei Semester lang dem Phänomen Ernst Barlach genähert hat. „Diese Ausstellung sollte keine Retrospektive von der Wiege bis zur Bahre werden sondern eher eine Art Standortbestimmung“, ordnet Karsten Müller das experimentelle Projekt ein.
Die abwechslungsreiche Schau untersucht in zwölf aufeinanderfolgenden „Szenen“ ganz unterschiedliche Facetten im zwischen Realismus und Expressionismus mäandrierenden Werk Ernst Barlachs. Die Studierenden haben die gesamte Bandbreite seines Œuvres als Bildhauer, Zeichner, Grafiker, aber gerade auch als Dramatiker erforscht. Dabei gingen die jungen Ausstellungsmacher von den acht, teils heute noch aufgeführten Dramen aus, die der Kleist-Preisträger Barlach geschrieben hat, und die von karnevalesken und grotesken Szenen sowie einem schrägen, schwarzen Humor geprägt sind. Vor diesem Hintergrund betrachtet, könnte man – so die nachvollziehbare These des Kuratorenteams – die expressionistischen Skulpturen des Künstlers auch als prototypische Schauspieler oder Bühnenfiguren betrachten. Zumal überliefert ist, dass sich bekannte Schauspieler der Weimarer Republik von den Skulpturen Barlachs für ihr Spiel inspirieren ließen.
Als Leihgabe aus dem Theaterfigurenmuseum Lübeck konnten die Ausstellungsmacher etliche historische Handspielpuppen gewinnen, mit welchen sie ihre These anschaulich illustrieren. Im Ernst Barlach Haus sind jetzt vom Kaspar über das Krokodil, den Teufel, den Polizisten und die Prinzessin alle klassischen Puppenspielfiguren versammelt. Denn auch in den verworrenen Dramen Barlachs spielt die Figur des Puppenspielers eine zentrale Rolle. Er selbst bezeichnete seine Figuren gar liebevoll als „Püppchen“.
Lithographien, Zeichnungen, Holzschnitte, Theaterplakate, alte Programmhefte und Szenenfotos und dazwischen immer wieder Skulpturen, die existenzielle Themen wie Armut, Tod, Angst oder Verfolgung symbolisieren. Ernst Barlach begegnete das blinde Wüten der Kriegsmaschinerie und die massenhafte Auslöschung von Menschenleben gleich zwei Mal. Themen, die er in so ikonische Werke wie die Skulptur „Der Rächer“ von 1914 übersetzte. Als „entarteter“ Künstler gebrandmarkt, hielt er sich weitgehend vom Nationalsozialismus fern. Dennoch unterzeichnete er 1934 zusammen mit 36 anderen, darunter etwa auch Ludwig Mies van der Rohe, das von Joseph Goebbels formulierte Manifest „Aufruf der Kulturschaffenden“. Weitere Beweise für eine ideologische Nähe zum NS-Regime gibt es – anders als bei Emil Nolde – jedoch nicht. Seit 1910 lebte Ernst Barlach relativ isoliert im mecklenburgischen Städtchen Güstrow, von wo aus er allerdings eine weitverzweigte Korrespondenz pflegte. 1938 starb er nach schwerer Krankheit in Rostock. Seine Grabstätte befindet sich im schleswig-holsteinischen Ratzeburg.
Aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus entwickelte Barlach eine vom christlichen Glauben inspirierte Formensprache, die bei der Rezeption seines Werkes bis heute im Vordergrund steht. Doch wie die Hamburger Ausstellung zeigt, hat er sich parallel dazu immer auch für heidnische Bräuche wie den Hexenkult und Märchenwesen interessiert. Daneben war er aber auch offen für fernöstliche Einflüsse. In seinem teils widersprüchlichen Werk spiegelt sich eine Auseinandersetzung mit den zentralen Menschheitskonflikten.
„Barlachs Versuch, den Kosmos von Fragen in eine klare Form zu bannen, das ist das, was die Ausstellung hier leistet“, resümiert Karsten Müller. Zeitgenössisch aufgemischt wird die Schau zudem von dem in Berlin lebenden Künstler Marten Schech, Jahrgang 1983, der im Atrium des Museums eine Intervention mit bemalten Naturhölzern realisiert hat, aber auch einige gewichtige Werke Barlachs mit minimalen Interventionen humorvoll kommentiert. Ernst Barlach im Licht einer jungen Generation betrachtet – die Auseinandersetzung mit dem in verschiedenen Sparten tätigen Künstler lohnt sich gerade auch vor dem Hintergrund heutiger Zeitfragen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Werden, das ist die Losung! Szenen zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach
Ort: Ernst Barlach Haus, Hamburg
Zeit: 5. Januar bis 22. März 2020. Di-So 11-18 Uhr
Katalog: zur Ausstellung erscheint ein kostenloses Begleitheft
Weitere aktuelle Publikationen zu Ernst Barlach:
Ernst Barlach: Die Hölzer. Woodwork, Verlag Kettler, 352 S., 49 Euro
Ernst Barlach: Die Briefe. Kritische Ausgabe in vier Bänden, Suhrkamp Verlag, 2986 S., 79 Euro (bis Ende Januar 2020), 98 Euro (ab Anfang Februar 2020)
Internet: www.barlach-haus.de