Die Hamburger Deichtorhallen präsentieren die Trend-Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“
Bonn, Wiesbaden, Chemnitz. Im Herbst 2019 setzte sich ein ganzer Tross junger, aufstrebender Maler und Malerinnen samt ihrer Entourage quer durch die Republik in Bewegung, um dem Eröffnungsreigen der großen Übersichtsschau „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ beizuwohnen. Drei wichtige deutsche Kunstmuseen hatten sich zusammengetan, um neue Trends in der deutschen Malerei aufzuspüren und diejenigen jungen Malerinnen und Maler zu entdecken, die das größte Potenzial haben, sich in den nächsten Jahren im Ausstellungsbetrieb durchzusetzen. Zusammengekommen ist ein buntes und durchaus in sich widersprüchliches Konvolut von über 500 Werken. Die Kuratoren der beteiligten Museen hatten sich zuvor in über 150 Ateliers bundesweit umgeschaut, um eine Auswahl von 53 jungen Malerinnen und Malern herauszufiltern.
Ein „Best of“ von rund 150 Werken aus dem groß angelegten Projekt ist nun in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Dirk Luckow, der Intendant der Deichtorhallen, konnte aus der Gesamtzahl der Arbeiten diejenigen auswählen, die er für die repräsentativsten hält. Sein Fazit: „Ich sehe Malerei als Antwort auf das Digitale, als konkretes Gegenüber, das auch Sinnliches formuliert. In der Ausstellung gibt es neben figurativer Malerei auch serielle und konzeptuelle Malerei, Positionen, die die Kunstgeschichte ausbalancieren, sowie Bilder, die das Digitale verarbeiten.“
Im Vorfeld der Schau waren Teams der beteiligten Museen Kunstmuseum Bonn, Museum Wiesbaden und Kunstsammlungen Chemnitz durch ganz Deutschland gereist, um junge Maler in ihren Ateliers aufzusuchen. Großen Städten wie Berlin, Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, München oder Dresden wurde dabei ebenso ein Besuch abgestattet wie kleinen Orten irgendwo auf dem Lande. „Das Spektrum reichte von 600 Quadratmeter großen Schauräumen mit Großkünstlerflair bis hin zu winzigen Besenkammern in beengten Zweizimmerwohnungen. Der zunehmende Druck auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt und die damit einhergehenden explosiven Preissteigerungen der letzten Jahre haben viele Künstler an den Rand der Städte verdrängt“, beschreiben die Direktoren der Häuser im Vorwort des Ausstellungskatalogs ihre Eindrücke.
Für dieses einzigartige Mammutprojekt gab es drei zentrale Prämissen. Zunächst einmal wird das Medium Malerei von den Ausstellungsmachern recht eng gefasst. Erlaubt ist tatsächlich nur das, was „auf der begrenzten Fläche des Bildgevierts“ ausgeführt wurde. Ausgeschlossen war also jede Art von installativer Entgrenzung der Tafelbildmalerei auf andere Oberflächen als die Leinwand, wie sie etwa die an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrende Katharina Grosse seit vielen Jahren erfolgreich betreibt, indem sie Möbel, Gebäude, Züge, Treppenhäuser oder sogar Bäume unter Verwendung der Sprühpistole mit irisierenden Farbverwirbelungen überzieht.
Die zweite Prämisse wird auch dem Titel der Ausstellung „Jetzt!“ gerecht. Die Auswahl der gezeigten Positionen konzentriert sich bewusst auf die Jahrgänge ab 1979. Gezeigt werden also die unter 40-Jährigen, unter anderem auch deswegen, weil sich die Ausstellungsmacher auf die „erste Generation, die weitgehend ohne die Erfahrung eines geteilten Deutschlands aufgewachsen ist“ konzentrieren wollten.
Schließlich definiert eine dritte Prämisse den geografischen Rahmen des Ausstellungsprojekts. In „Jetzt!“ zu sehen sind ausschließlich in Deutschland lebende und arbeitende Künstler. Das heißt aber keineswegs, dass diese in Deutschland geboren oder deutscher Nationalität sein müssen. Mit dabei sind etwa die im Iran geborene Malerin Toulu Hassani, der US-Amerikaner Israel Aten, der Italiener Daniel Rossi oder die in Südkorea geborene Sumi Kim.
Der Intendant des Kunstmuseum Bonn, Stephan Berg, kommt zu folgender Feststellung: „Das Interessanteste an der gegenwärtigen Diskussion über Malerei ist möglicherweise die Tatsache, dass es sie überhaupt (wieder) gibt. Nachdem der theoretische Diskurs das Medium über lange Zeit eher ausgeblendet oder ihm grundsätzlich die Fähigkeit abgesprochen hatte, auf die heutigen künstlerischen Anforderungen eine zeitgemäße Antwort zu finden, ist die Lust an der diskursiven Auseinandersetzung mit diesem offensichtlich ewig »untoten« Medium mittlerweile wieder deutlich gewachsen.“ Allein in seinem Museum waren in 26 Räumen auf insgesamt 3.500 Quadratmetern 177 Werke zu sehen.
Einige davon stammen von dem Hamburger Maler Simon Modersohn. Der 1991 in Ottersberg bei Bremen geborene Urenkel des bekannten deutschen Landschaftsmalers Otto Modersohn (1865-1943) hat an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg unter anderem bei Werner Büttner studiert. Wiederkehrende Bildmotive bei Simon Modersohn sind kleinbürgerliche, ländliche Einfamilienhäuser mit geheimnisvoll erleuchteten Fenstern. Die unspektakulären Bauten sind meist umgeben von akkurat gepflegten Gärten, angereichert mit in jedem Baumarkt erhältlichen Accessoires. Wärmequellen wie Heimsaunen oder Arbeitsleuchten tauchen wiederholt in seinen menschenleeren Bildern auf und verleihen ihnen eine soghafte Ambivalenz.
So auch auf dem 2018 entstandenen Ölgemälde „Round Up“. Zu sehen ist ein Einfamilienhaus mit Satteldach in der Abendstimmung. Im Garten des Hauses steht eine aus Holz gefertigte Sauna mit geöffneter Glastür, aus deren Innerem es heimelig in Orangetönen leuchtet. Daneben befindet sich ein rundes Tauchbecken mit angelehnter Leiter. Die Bewohner des Hauses sind in diesem Moment nicht sichtbar. Ihre Präsenz ist jedoch durch die geheimnisvollen Lichtquellen zu erahnen. Ein Bild, das auf irritierende Weise den Betrachter gefangen nimmt. Simon Modersohn sucht einen Weg zur geistigen Vertiefung und Wahrhaftigkeit in der Darstellung komplexer Lebenszusammenhänge durch Malerei.
Eine ganz andere Art der Malerei betreibt die an der Kunstakademie Düsseldorf ausgebildete Künstlerin Vivian Greven. Die 1985 in Bonn geborene Malerin lebt und arbeitet in Düsseldorf. Auf ihren figurativen Gemälden beschäftigt sich Vivian Greven vor allem mit der sensiblen Darstellung von Haut und Körperpartien. Ihre Bilder zeichnen sich durch die Verwendung sehr weniger, dafür ganz spezieller Farben aus. Es gibt nahezu übergangslose Farbverläufe, wobei es jedoch immer wieder auch zu starken Verdichtungen bestimmter Pigmente kommt, gerade im Bereich von Lippen, Nase, Kinn, Rücken, Schultern und anderen Außenkonturen des menschlichen Körpers.
Ihre Arbeitsweise erläutert Vivian Greven folgendermaßen: „Oft ist der Ausgangspunkt einer Arbeit zunächst intuitiv. Mich berührt dann etwas in der Welt, eine Erzählung, ein Bild, eine Skulptur, eine Farbe. Diese Berührung versuche ich im Laufe der Arbeit zu kristallisieren und zu ihrer Essenz vorzudringen. Ich recherchiere viel im Vorlauf im Internet und sammle Dinge, die sich zusammengehörig anfühlen. Dann suche ich über die Zeichnungen sowie das Schreiben von Gedichten eine Wurzel, aus der meine bildhafte Erkenntnis von der ursprünglich intuitiven Berührung wachsen kann.“
Wesentlich narrativer und zudem stark von der eigenen Biografie beeinflusst sind die Bilder der 1982 im tschechischen Sokolov geborenen Berlinerin Monika Michalko, die bei Norbert Schwontkowski an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste studiert hat. Auf ihren oft in erdigen Farbtönen gehaltenen Werken mischt sich Gegenständliches mit Abstraktem. Folkloristische Elemente aus ihrer alten Heimat treffen auf exotische Farben, Formen und Pflanzen, die sie während eines längeren Aufenthalts in Sri Lanka auf sich wirken ließ.
Viereckig, vielfarbig und transportabel sollten die Arbeiten sein und zudem aus Farbe, Leinwand und Keilrahmen bestehen, die bei „Jetzt!“ eingereicht werden durften. An diese Vorgaben hat sich auch die 1980 in Berlin geborene und heute in Leipzig lebende Künstlerin Franziska Reinbothe gehalten. Dennoch stellen ihre aus zerbrochenen Keilrahmen, mehrfach gefalteten Rohleinwänden oder dezent gesetzten Farbspuren bestehenden, skulpturalen Objekte die vielleicht radikalste Befragung des Mediums Malerei in dieser Ausstellung dar. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handele sich um Ausschuss, misslungene Bilder, die entsorgt und von irgendjemandem wieder aus dem Müllcontainer gezogen worden sind. Bei näherer Betrachtung wird jedoch der zarte und sensible Umgang mit den verwendeten Materialien deutlich. So etwa auf dem zudem sehr ironisch wirkenden Bild „Schwarz, in legerer Haltung“ (2014), auf dem sich ein Wiedergänger des berühmten Gemäldes „Das Schwarze Quadrat“ (1915) von Kasimir Malewitsch weitgehend von den Fixierungen des Keilrahmens befreit hat und Falten werfend den Betrachterblick anspringt.
Experimentelle Ansätze wie hier, ZEN-artiger Minimalismus in Hell und Dunkel bei der Koreanerin Sumi Kim, widerborstig-brutale Figuration bei der Hamburgerin Lydia Balke oder die in intensiven Farben leuchtenden Kompositionen aus geometrischen Formen bei der Münchnerin Dana Greiner: Das Ausstellungsprojekt „Jetzt!“ zeigt auf beeindruckende Art und Weise, dass das klassische Tafelbild keineswegs, wie so oft behauptet wurde, tot ist. Im Gegenteil: Es scheint sich gerade unter jüngeren Künstlern wieder eine neue Begeisterung für das Arbeiten mit Farbe, Leinwand und Keilrahmen abzuzeichnen. Dass die Ergebnisse dabei sehr heterogen ausfallen, spricht für die keineswegs versiegende Innovationskraft der jüngeren Malergeneration.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Jetzt! Junge Malerei in Deutschland
Ort: Halle für aktuelle Kunst/Deichtorhallen Hamburg
Zeit: bis 17.5.2020, Di–So 11–18 Uhr, jeden 1. Donnerstag im Monat 11–21 Uhr
Katalog: Hirmer Verlag, 300 S., 200 Farbabb., 35 Euro (Museum), 45 Euro (Buchhandel)
Internet: www.deichtorhallen.de
Parallel zur Ausstellung „Jetzt!“ zeigen die Deichtorhallen ebenfalls bis zum 17.5. die Ausstellung „Quadro“ mit Werken der vier deutschen Malerinnen Kerstin Brätsch, Kati Heck, Stefanie Heinze und Laura Link