Die am vergangenen Wochenende zu Ende gegangene Art Basel 2021 markiert den von Hoffnung und Zuversicht getriebenen Aufbruch des internationalen Kunstbetriebs in postpandemische Zeiten – doch noch beschäftigen sich viele Künstler mit COVID-19 und den Folgen
Ein weißer Mercedes-Kombi aus den 1970er Jahren mit russischem Kennzeichen, hat leicht chaotisch auf dem Messegelände in Basel geparkt. Art Basel-Besucher, die zwischen den Hallen hin- und hereilen, bleiben irritiert stehen, einige werfen einen Blick durch die Scheiben. Was sie zu sehen bekommen, scheint ein etwas böser Kommentar sowohl auf den glamourösen Kunstbetrieb als auch auf die rigide Ausgrenzung sexueller Minderheiten in Russland zu sein. Auf der Ladefläche des Kombis liegt Arm im Arm schlafend ein junges, offenbar schwules Paar das den langen Weg von Russland nach Basel auf der Autobahn zurückgelegt hat, im Gepäck etwas Proviant und notdürftig in Luftpolsterfolie verpackte Kunstwerke. Messeausweise auf dem Armaturenbrett weisen sie als „Installer“, Aufbauhelfer also, aus. Wer sich etwas auskennt in der Szene, kann vermuten, dass auch sie Künstler sind. Nur eben nicht so erfolgreich wie all die Kunstmarktstars, deren teils millionenschwere Werke in den Messehallen offeriert werden. „The Outsiders“ lautet der Titel dieser Installation des dänisch-norwegischen Künstlerpaares Elmgreen & Dragset, die die prekäre Bezahlung vieler Assistenten und Helfer, die den Kunst- und Messebetrieb am Laufen halten, ebenso thematisiert wie das unbedingte Mobilitätsbedürfnis der Branche, das durch die Corona-Pandemie vorübergehend ausgebremst war.
Letzte Woche jedoch knüpfte die Art Basel wieder an alte Zeiten an. Streng kontrollierte Impfnachweise, eine strikte Einlasspolitik, Mundschutzpflicht und der Verzicht auf so manches im Vorübergehen geschlürfte Glas Champagner, das in normalen Jahren zur Grundversorgung der Sammlerklientel gehört, sorgten dafür, dass die angereisten Art Basel-Besucher sich in den Hallen sicher fühlen konnten, um sich wieder ganz auf die Kunst, den Kunstkauf und die persönlichen Begegnungen konzentrieren zu können. „Wir sind froh, nach der Absage der Art Basel 2020 und dem Verschieben auf den September-Termin in diesem Jahr in gewohnter Qualität wieder da zu sein“, betonte Marc Spiegler, Global Director der Art Basel, auf der Eröffnungs-Pressekonferenz seine Erleichterung über den Neustart des Messebetriebs. Auch wenn erkennbar weniger Besucher aus Amerika, Asien und Russland angereist waren und in Basel – anders als sonst – immer noch Hotelzimmer zu bekommen waren, überwog allerseits die Freude, nach dem langen Lockdown und dem Verzicht auf Reisen endlich wieder einmal die Kunst und ihre Repräsentanten live erleben zu können.
So zum Beispiel in der Messesektion Unlimited, die in diesem Jahr 62 großformatige Arbeiten versammelte. Hier setzte der neue Kurator Giovanni Carmine allerdings eher auf sichere, weniger spektakuläre Positionen. Eine raumfüllende Neonarbeit von Dan Flavin, die der New Yorker Galerist David Zwirner für drei Millionen US-Dollar verkaufen konnte, frühe, selten gezeigte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Gilbert & George aus den Anfangsjahren des britischen Künstlerpaares oder eine kontemplative Installation von Liam Gillick mit Sound- und Lichteffekten.
Dass auch Corona und der pandemiebedingte Lockdown mittlerweile zu einem Thema künstlerischer Arbeiten geworden sind, wurde auf der Art Basel gleich mehrfach unter Beweis gestellt. So war auf der Unlimited die Arbeit „It Must Have Been a Tuesday“ (2020) des mexikanischen Künstlers Mario García Torres, Jahrgang 1975, zu sehen. Sie bestand aus 164 fotokopierten und auf Leinwand aufgezogenen Papierseiten. García Torres hatte zu Beginn des Lockdowns einen Zettel mit der Aufschrift „Cerrado temporalmente“ (Vorübergehend geschlossen) an seiner Studiotür befestigt. Tag für Tag hat er dann diesen Zettel abgenommen, davon eine Fotokopie erstellt, diese an die Tür gehängt und so weiter. Im Laufe der Zeit stellte sich so ein zunehmender Verfremdungseffekt ein, der am Ende zur Unlesbarkeit der ursprünglichen Botschaft führte. Seine vielteilige Arbeit liefert insofern vielleicht auch einen Einblick in den zunehmend gestressteren mentalen Zustand des Künstlers während der langen Zeit der unfreiwilligen Isolation.
Mit der massiven Unterversorgung mit dem lebensrettenden Element Sauerstoff in Regionen wie Mittelamerika oder Indien setzt sich der zeitweise in Mexiko lebende kalifornische Künstler Hugo McCloud, Jahrgang 1980, in seiner ebenfalls auf der Unlimited gezeigten Arbeit „The Burden of Man: waiting to breathe“ mit den Monumentalmaßen 228.6 x 716.3 cm auseinander. Ein undurchdringlicher Wall aus Sauerstoffflaschen dominiert den Bildvordergrund, während im Hintergrund exotische Anklänge an Palmen und ferne Ozeane dargestellt sind, aber ebenso auch Anspielungen auf unüberwindbare Grenzen, darunter Donald Trumps letztlich unvollendeter US-Schutzwall an der Grenze zu Mexiko. Erst bei näherer Betrachtung erkennt man: McCloud hat das Bild nicht mit Farbe gemalt sondern aus einer Vielzahl bunter Einweg-Plastiktüten zusammengesetzt, die in Zeiten der Globalisierung zu einem weltweit verbreiteten Phänomen, gleichzeitig aber auch einem großen Umweltproblem geworden sind.
Ganz klaren Bezug auf die Pandemie nahm auch die Performance-Installation der in Zürich lebenden britischen Künstlerin Monster Chetwynd, Jahrgang 1973, auf dem Messeplatz. Chetwynd ist bekannt dafür, ikonische Momente der Kulturgeschichte in performative Installationen mit einem hohen Grad an Improvisation und Spontaneität seitens der Darsteller zu übersetzen. Für ihre Arbeit „Tears“ steckte sie Performer:innen in sogenannte Zorbing-Ballons, das sind übermenschengroße Einsteigeballons aus robustem durchsichtigen Kunststoffmaterial. Die vielen über den Platz rollenden Kugeln erinnerten an menschliche Tränen. Chetwynd bezieht sich mit ihrer Arbeit ganz konkret auf die Pandemie. Gegenüber dem Lokalsender Telebasel sagte sie: „Es ist eine interaktive Skulptur über die große Traurigkeit der letzten anderthalb Jahre… Es war für viele Leute wirtschaftlich sehr anstrengend, und viele haben ihre Liebsten verloren – auch ich“. Mit ihrer Performance wolle sie aber keineswegs nur Trauerarbeit leisten, sondern den Zuschauern auch Mut machen, so die Künstlerin.
„Können Wir Wieder Gemeinsam Glücklich Sein?“. Diese Frage bildete das Motto des diesjährigen Art Basel Parcours, der 20 Werke internationaler Künstler:innen an Orten im Baseler Stadtraum, darunter Museen, Theater, Schulgebäude, Geschäfte oder Fassaden, präsentierte. Unter anderem zu sehen und zu erleben waren Arbeiten etwa von Thomas Bayrle, Sarah Sze, Erik van Lieshout oder Hamish Fulton. Kurator Samuel Leuenberger, der den Parcours seit 2016 kuratiert, sagt dazu. „Die Aufgabe, eine internationale Ausstellung zu veranstalten, scheint von zweitrangiger Bedeutung zu sein. Aber dennoch ist in diesen nicht ganz postpandemischen Zeiten der Impuls, uns kreativ auszutauschen, unsere Freiheit durch Kunst auszudrücken – durch Gespräche und Begegnungen – von größter Bedeutung.“
Das Thema Gesundheit spielte natürlich auch hier eine Rolle. Im relativ versteckt gelegenen Basler Pharmaziemuseum präsentierte die britische Dichterin und Performance-Künstlerin Hanne Lippard, Jahrgang 1984, ihre bereits 2019 entstandene Sound- und Duftinstallation „Gut Health“, die sie in einem nahezu vollkommen abgedunkelten alten Laborraum eingerichtet hatte. Nach einer Weile gewöhnten sich die Augen dann an das Restlicht, und man erblickte eine Bank, auf der man Platz nehmen und dem knapp acht Minuten langen Soundloop folgen konnte. Ausgehend von den in der Tonalität einer Therapeutin ausgesprochenen Anweisungen „Inhale“ (Atme ein) und „Exhale“ (Atme aus) entfaltet Lippard ein hochkomplexes Sprachkunstwerk voller Anspielungen auf mentale und physische Gesundheit, menschliche Vergänglichkeit und soziale Verhaltensweisen. Die vom subtil eingestreuten Duft frischer Pfefferminze begleitete Soundinstallation entließ ihre Besucher:innen mit dem Gefühl, einer hypnotisch aufgeladenen Therapiesitzung beigewohnt zu haben.
Im zentral gelegenen Kaffeehaus „Unternehmen Mitte“ wiederum zeigte der niederländische Maler, Zeichner und Videokünstler Erik van Lieshout, Jahrgang 1968, seine bereits 2020 als Auftragsarbeit zum ausgefallenen 50. Jubiläum der Art Basel entstandene Arbeit „Art Blasé“, in welcher er sich durchaus provokante Gedanken über die von ihm konstatierte Blasiertheit des Kunst- und Messebetriebs macht, indem er Analogien zwischen den luxuriösen Parallelwelten Kunstmesse und Kreuzfahrtschiff aufzeigt. Durchaus selbstironisch setzt er sich allerdings auch mit seiner eigenen pandemiebedingten Abgestumpftheit auseinander, die ihn dazu verleitet hat, aus Handtüchern, einem der wichtigsten Hilfsmittel in hygienebewussten Zeiten, eher langweilige skulpturale Gebilde zu knoten.
Von der Pandemie beeinflusst zeigen sich auch die Arbeiten, die die britische Künstlerin Gillian Wearing, Jahrgang 1963, bei der Londoner Galerie Maureen Paley präsentierte. Das aktuelle Werk „Wearing Mask“ kommt als Bronzeabguss ihrer Nase und ihres Mundes daher, der mit zwei Schlaufen zum Befestigen hinter den Ohren versehen ist. Ebenfalls im Angebot waren Aquarelle mit „Lockdown Selfportraits“, die die recht teilnahmslos ins Leere blickende Künstlerin in ihrem Studio zeigen.
Auf geradezu erschreckende Art und Weise konkret wurde die Pandemie dann in den überästhetisierten Arbeiten des amerikanischen Künstlers Josh Kline, Jahrgang 1979, die bei seiner New Yorker Galerie 47 Canal gezeigt wurden. Klines Arbeit „American Healthcare Career“ (2021) besteht aus einem türkis lackierten Hängeregal, auf dem Desinfektionsmittelspender, Stethoskope und Intubationsmasken, jeweils in Kunstharz und Silikon abgegossen, drapiert sind. Eine zweite Arbeit mit dem Titel „Disposable Healthcare“ (2021) zeigt eine ebenfalls in Kunstharz abgegossene Sauerstoffflasche samt Beatmungsschlauch auf einem einfachen Fahrgestell aus Metall.
Die diesjährige Art Basel versammelte 272 Galerien aus 33 Ländern, darunter 24 Erstteilnehmer aus aller Welt. Unter den rund 60.000 Besuchern, die von der Eröffnung der Unlimited am Montag bis zum Messeschluss am darauffolgenden Sonntag die Art Basel besuchten waren auch so bekannte Künster:innen wie Rachel Whiteread oder Daniel Buren, die in der gut besuchten Conversations-Reihe der Messe ausführlich über ihr Werk und ihre Karriere gesprochen haben. Daneben haben Vertreter:innen von rund 300 internationalen Museen und Institutionen die Messe besucht, darunter Kurator:innen des New Yorker Guggenheim Museums, der Tate Gallery und der Serpentine Galleries in London, des Städel in Frankfurt, der Hamburger Kunsthalle und des Museum of Contemporary Art Chicago. Für all diejenigen, die die Messe aufgrund der Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie nicht persönlich besuchen konnten, hat die Art Basel ihre Onlinepräsenz weiter ausgebaut. Neben den sogenannten Online Viewing Rooms (OVRs), virtuellen Messekojen also, bot die Art Basel erstmals auch virtuelle Messe-Spaziergänge an.
Angesichts der gegenwärtigen Krisensituation hat die Messe in diesem Jahr erstmals in auch an ihrem Hauptstandort Basel einen Solidaritätsfond mit einem Volumen von 1,5 Millionen Schweizer Franken eingerichtet. Davon profitieren sollen diejenigen Galerien, deren Umsätze stark unter den Erwartungen zurück geblieben sind und die dadurch in eine existenzgefährdende Lage gebracht wurden. Messedirektor Marc Spiegler zog am Sonntagabend folgendes Resümee: „Die diesjährige Art Basel kann als Wendepunkt angesehen werden. Sie bot ihren Besuchern einen Platz für neue Entdeckungen und den Aufbau persönlicher Beziehungen. Alles Aktivitäten, die mehr als ein Jahr lang kaum noch möglich waren. Trotz des Wegbleibens zahlreicher amerikanischer und asiatischer Sammler aufgrund der Reisebeschränkungen hat sie mit äußerst lebhaften Verkäufen während der gesamten Messedauer unter Beweis gestellt, welches Potential und welche Sammeltraditionen die europäische Klientel charakterisieren. Diese Woche hat gezeigt, dass die Akteure des Kunstbetriebs endlich wieder aufs Neue zusammenkommen und der internationale Kunstmarkt zu seiner Erneuerung ansetzt.“
Nächster Termin: 16.-19.9.2022