Beuys im Rheinland: Im allmählich zu Ende gehenden Jubiläumsjahr zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys stellen gleich mehrere Ausstellungen den mittlerweile nicht mehr unumstrittenen Jahrhundertkünstler und seinen Nachhall in den Fokus. Eine Auswahl
Joseph Beuys wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Am 12. Mai 1921 wurde er in Krefeld geboren. Im nahe gelegenen Kleve am Niederrhein wuchs er auf. In diesem bäuerlichen Umfeld liegen auch seine künstlerischen Wurzeln. Fest steht: Joseph Beuys ist eng mit dem Westen der Bundesrepublik verbunden. Das Festival „beuys2021. 100 jahre joseph beuys“, kuratiert von den beiden Beuys-Expert:innen Eugen Blume und Catherine Nichols, rückt den komplexen Ideenkosmos des immer wieder als Jahrhundertkünstler etikettierten Joseph Beuys in den Fokus. Ausstellungen, Performances, Lectures, Musikveranstaltungen und vieles mehr vermitteln ein umfangreiches Gesamtbild des Künstlers, einflussreichen Hochschulprofessors an der Düsseldorfer Akademie und nicht zuletzt des prominenten Gründungsmitglieds der Partei „Die Grünen“.
Einige Highlights des breiten Programms führen nun, kurz vor dem Ende des Jubiläumsjahres, nach Krefeld, Dortmund, Wuppertal und Bonn. Die Krefelder Doppel-Institution Haus Lange Haus Esters residiert in zwei 1927/28 von Mies van der Rohe errichteten Industriellenvillen, die allein schon eine Reise wert sind. Die Ausstellung hier zeigt nicht Joseph Beuys selbst sondern sozusagen Elemente seiner künstlerischen DNA, wie sie sich in Werken von Zeitgenossen und Nachgeborenen manifestiert aus der Sammlung der Krefelder Kunstmuseen. Unter dem Titel „Mensch, Natur, Politik. Joseph Beuys im Kontext der Sammlung“ werden Künstler aus seinem geistigen und persönlichen Umfeld gezeigt. Im Haus Lange sind Arbeiten persönlicher Freunde und Weggefährten wie Jannis Kounellis und Klaus Rinke, aber auch von Schülern wie Felix Droese, Blinky Palermo oder Imi Knoebel zu sehen. Daneben aber auch Arbeiten von Eva Hesse, die Beuys zwar nie persönlich kennengelernt hat, deren Werk sich aber ebenfalls durch prozessuale Methoden und den Umgang mit nicht originär künstlerischen Materialien auszeichnet. Im Haus Esters wiederum liegt der Schwerpunkt auf Werken der jüngeren Generation, in welchen Anklänge an das Denken und die Ästhetik von Beuys aufscheinen. Hier wird das internationale Künstlerkollektiv Slavs and Tatars ebenso mit Joseph Beuys in Verbindung gebracht wie auch Kiki Smith oder Apolonija Šušteršič. Flüchtige Materialien, das utopische Potenzial künstlerischer Visionen und die Herstellung auratisch aufgeladener Gebrauchsgegenstände stehen hier im Zentrum.
Ein ungewöhnlicher Dialog zwischen zwei Künstlerpersönlichkeiten findet dann im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld statt. Erstmals in der internationalen Museumswelt wagt sich ein Haus an eine umfangreiche Gegenüberstellung der Werke von Joseph Beuys und Marcel Duchamp (1887-1968) heran. Joseph Beuys war von Duchamp, dem Erfinder des Readymades und damit einem der zweifellos wegweisendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, stark beeinflusst. Mit seiner Aktion „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“ (1964) nahm er dezidiert Bezug auf den Franzosen und kritisierte dessen Zurückhaltung in politisch-gesellschaftlichen Debatten. Duchamp wiederum hatte seine erste Einzelausstellung in einem deutschen Museum 1965 im Haus Lange in Krefeld. So schließt sich mit der aktuellen Krefelder Ausstellung „Beuys & Duchamp. Künstler der Zukunft“ gewissermaßen ein Kreis. Kuratiert wurde die Schau von Magdalena Holzhey zusammen mit Kornelia Röder und Katharina Neuburger.
Die umfangreiche Präsentation mit über 150 Leihgaben stellt die beiden Ausnahmekünstler mit ihren radikalen Ansätzen immer wieder gegenüber. Sie zeigt erstaunliche Parallelen, aber auch signifikante Unterschiede auf. Auf der einen Seite die eher strategischen Setzungen und Formexperimente des Konzeptkunst-Pioniers, auf der anderen der mythisch-esoterisch aufgeladene Fett-, Blei- und Filzkosmos des Düsseldorfers. So unterschiedlich ihre Ansätze auch waren: Das Anliegen, ihr Publikum zum Nachdenken über die Grenzen des Kunstbegriffs anzuregen, hatten sie beide. Ein umfangreicher Katalog vertieft dieses anspruchsvolle Forschungsprojekt.
Szenenwechsel. Im Hartware Medienkunstverein im Dortmunder U begibt sich die Direktorin und Kuratorin Inke Arns auf die Suche nach den über die ganze Welt verstreuten Enkeln und Urenkeln des immer wieder im Gewand des Schamanen agierenden Joseph Beuys. Und zwar vor dem Hintergrund der heutigen Technologie und Gesellschaftszusammenhänge. Sie hat Künstler:innen versammelt, die sich mit dem aktuellen „Technoschamanismus“ beschäftigen. Abgeleitet ist der Titel der Ausstellung vom brasilianischen Begriff „tecnoxamanismo“, der Anfang der 2000er Jahre in dekolonialen, teils indigenen Aktivist:innen- und Kulturproduzent:innenkreisen die Runde machte. Darunter verstanden wird das Verschmelzen schamanistischer Traditionen mit moderner Technologie im Dienste gesellschaftlicher Transformationsprozesse.
Die sehenswerte Schau umfasst Arbeiten in den Medien Video, Skulptur, Zeichnung und Installation. Mit dabei ist das schweizerische Künstlerduo knowbotiq, die in Berlin lebende Irin Mariechen Danz, der indische Künstler und Geschichtenerzähler Sahej Rahal oder das deutsch-kolumbianische Künstler:innenduo Anja Dornieden & Juan González Monroy. Inka Arns zeigt mit „I like America and America likes Me“ (1974) zwar auch eine der bekanntesten Aktionen von Beuys, weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass das neu erwachte Interesse jüngerer Künstler am Schamanismus „nicht auf Joseph Beuys zurückzuführen“ ist. Gerade im globalen Süden, der in der Dortmunder Schau besonders in den Fokus gestellt wird, spiele Beuys, dessen Aneignung und Stereotypisierung der Schamanen-Figur aus heutiger Perspektive als problematisch anzusehen sei, keine Rolle.
Weiter geht’s Richtung Wuppertal. Im Von der Heydt-Museum steht Joseph Beuys als Aktionskünstler und Person im Mittelpunkt, und zwar auf den rund 230 ausgestellten Fotografien der Wuppertalerin Ute Klophaus (1940-2010). Klophaus war über drei Jahrzehnte hinweg bei unzähligen Aktionen und Happenings von Beuys mit der Kamera dabei. Da von der ephemeren Kunstform der Aktion in der Regel nur wenige Relikte zurückbleiben, kommt der sie begleitenden dokumentarischen Fotografie eine umso größere Bedeutung zu. Die Ausstellung „Aus der Zeit gerissen. Joseph Beuys: Aktionen. Fotografiert von Ute Klophaus 1965-1986“ geht aus von dem legendären 24-Stunden-Happening „und in uns…unter uns…landunter“, das am 5. Juni 1965 in der Galerie Parnass in Wuppertal stattfand.
Die Fotografien von Ute Klophaus zeichnen sich durch ihren besonderen Blick sowie ihre zeitaufwändige Arbeit in der Dunkelkammer aus. Ihre eigene dezidiert künstlerische Haltung manifestiert sich in ihrem teils sehr unorthodoxen Umgang mit den Abzügen. Der nahezu konsequente Verzicht auf Farbe, vereint sich mit signifikanten Unschärfen, Grobkörnigkeiten, Befleckungen, Unter- oder Überbelichtungen, Solarisationen und anderen „Unvollkommenheiten“ und kleinen „Fehlern“ zu einer ganz eigenen visuellen Ästhetik. Zudem sind viele der Aufnahmen nicht feinsäuberlich beschnitten sondern an den Blattkanten grob berissen, was ihren besonderen Reiz ausmacht und ihr Entstehen aus dem Moment heraus unterstreicht. Die gezeigten Schwarz-Weiß-Abzüge stammen aus der Sammlung des Münchner Kunstbuchverlegers und Sammlers Lothar Schirmer.
Letzte Station Kunstmuseum Bonn. Was kaum jemand weiß: Die Sammlung des Kunstmuseums Bonn umfasst rund 400 der 556 verschiedenen Multiples, die Joseph Beuys im Laufe seiner Karriere geschaffen hat. Das Publikum kann also neben alten Bekannten wie dem berühmten „Filzanzug“ (1970) oder der „Rose für direkte Demokratie“ (1973) auch etliche in kleineren Auflagen produzierte Objekte entdecken. Unter dem Titel „Passierschein in die Zukunft“ werden diese seriell hergestellten Auflagenobjekte in der Schau mit neuen Arbeiten von drei zeitgenössischen Künstler:innen konfrontiert. Kuratorin Stefanie Kreuzer will mit dem Ausstellungstitel „auf die visionäre Kraft von Kunst“ anspielen, „die feine Antennen für die Bedingungen unseres Seins besitzt…“. Als direkte Nachfolger von Beuys sieht sie die drei von ihr ausgewählten Künstler:innen nicht. Vielmehr ist sie an Brüchen und Reibungen interessiert.
Katinka Bocks Installation „Landumland“ (2019) dürfte Beuys aber dennoch gefallen haben. Das an die Zentralheizung des Museums angeschlossene, apparaturartige Gebilde aus schachbrettförmig ausgelegten Kupferplatten, einem alten Heizkörper und einem mobileartigen Metallstab, an dem langsam vor sich hin gammelnde Zitrusfrüchte befestigt sind, vereint organische und anorganische Materialien. Die Installation bringt Materie in Fluss und beschleunigt gleichzeitig deren Verfall. Christian Jankowski wiederum führte Videointerviews mit Beuys-Sammlern und Schönheitschirurgen, die er durch Manipulationen und Verfremdungen in neuen Kontexte stellt. Der Film „Punctured Sky: Vol. 1“ des Kanadiers Jon Rafman bedient sich dagegen der Ästhetik von Videospielen. Er entwirft eine Welt voller ineinander verschachtelter Wirklichkeiten und setzt sich damit vielleicht am radikalsten von Joseph Beuys’ dann doch sehr konsistentem Werkbegriff ab.
Auf die Frage nach der Aktualität von Joseph Beuys antwortet Eugen Blume, der Festivalleiter von „beuys 2021“: „Er hat darüber nachgedacht, wie man die Gesellschaft reformieren kann. Was zeichnet den Menschen aus? Von dieser Frage ist er ausgegangen und zur Erkenntnis gelangt, dass es die Kreativität ist. Und zwar bezogen auf alle möglichen Bereiche: Wirtschaft, Recht, Umwelt, Pädagogik… Diese Kreativität war für ihn gleichbedeutend mit Kunst. Und das ist der Ausgangspunkt für Beuys’ Plan, in der Gesellschaft von der Kunst her zu wirken.“ Dennoch fragt man sich am Ende des Beuys-Jahres, warum die mittlerweile von mehreren Biografen aufgedeckte Verstrickung des Künstlers in die Verbrechen der Wehrmacht, seine unzureichende Distanzierung vom Nationalsozialismus und sein der Mythenbildung dienender, laxer Umgang mit erfundenen und tatsächlichen Begebenheiten (Stichwort Krimtataren) vom Ausstellungsbetrieb nicht kritischer bewertet werden.
Auf einen Blick:
Haus Lange Haus Esters Krefeld
Mensch Natur Poltik. Joseph Beuys im Kontext der Sammlung
bis 13.2.2022
Kaiser Wilhelm Museum Krefeld
Beuys & Duchamp – Künstler der Zukunft
bis 16.1.2022
Hartware Medien Kunstverein Dortmund
Technoschamanismus
bis 6.3.2022
Von der Heydt-Museum Wuppertal
Aus der Zeit gerissen. Joseph Beuys: Aktionen. Fotografien von Ute Klophaus 1965-1986. Sammlung Lothar Schirmer
bis 9.1.2022
Kunstmuseum Bonn
Passierschein in die Zukunft – Joseph Beuys, Katinka Bock, Christian Jankowski nd Jon Rafman
bis 9.1.2022
www.kunstmuseum-bonn.de