Die Ausstellung „Michel Majerus – DATA STREAMING“ im Kunstverein in Hamburg präsentiert den früh verstorbenen Künstler als Pionier digital inspirierter Malstrategien
Der am 6. November 2002 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene, aus Luxemburg stammende, aber in Berlin lebende und arbeitende Maler, Installations- und Konzeptkünstler Michel Majerus wird zur Zeit deutschlandweit mit einem nahezu festivalartigen Ausstellungsreigen geehrt. Das Epizentrum der Ausstellungsreihe „Michel Majerus 2022“ bildet dabei Berlin. Im Michel Majerus Estate, dem ehemaligen Studio, wird sein Werk im Kontext seiner ehemaligen Stuttgarter Professoren Joseph Kosuth und K.R.H. Sonderborg gezeigt. Das KW Institute for Contemporary Art zeigt frühe Gemälde, der Neue Berliner Kunstverein Installationen und die Galerie neugerriemschneider die maßstabsgetreue Rekonstruktion seiner ersten Ausstellung dort, die 1994 stattfand. Daneben präsentieren 13 Museen in ganz Deutschland ausgewählte Werke des Künstlers aus ihren Sammlungen.
Eine ebenso sehenswerte wie umfangreiche Präsentation, die den Berliner Ausstellungen an Relevanz keineswegs nachsteht, zeigt der Kunstverein in Hamburg. Unter dem Titel „Michel Majerus – DATA STREAMING“ sind dort Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 1996 und 2002, mithin den letzten Lebensjahren des Künstlers zu sehen. Was diese auszeichnet, deutet bereits der Titel an. Die für den Majerus-Style typische Mischung aus figurativen und abstrakten Elementen, Referenzen und Icons aus der Werbung und der Technokultur, kunsthistorischen Zitaten und ausufernder Leere wird in dieser Zeit zunehmend mit bildgenerierenden digitalen Verfahren vorformuliert. Majerus, der für seine ungezähmte Experimentierfreude bekannt war, hat sich dabei von Videospielen, Softwareprogrammen wie Adobe Photoshop oder populären Computeranimationen inspirieren lassen.
„Not much is thrown away because there really is no place to throw it“. Dieses ebenso konsum- wie medienkritische Motto auf einem an eine Sitzbank erinnernden, weißen Balkenobjekt fällt gleich am Eingang des Hamburger Ausstellungsparcours ins Auge. Majerus verwendete diese Aussage bereits 1999 in seiner damaligen Münchner Ausstellung. Dem letztlich nur schwer zu bewältigenden Overflow an visuellen Zeichen und Kaufappellen, der uns alle jeden Tag aufs Neue herausfordert, hat sich Majerus geradezu heldenhaft entgegengestellt, indem er sich Teile davon einverleibte, sie durch den digitalen Fleischwolf drehte und mit malerischer Verve und gesellschaftskritischem Impetus auf die Leinwand schleuderte. Die Videospielfigur Super Mario trifft da auf die Logos von Ecstasypillen, Reklamefragmente, gemorphte Gerhard-Richter- oder Piet-Mondrian-Zitate, Figuren wie Darth Vader oder Space Invaders.
Mit der Hilfe damals ganz neuer, aus heutiger Sicht einfacher Computerprogramme hat der zwischen High & Low, Post-Pop und Sampling agierende manische Bildersammler Majerus das im Netz, in Comics, in Kunstbänden, auf Buttons oder Stickern vorgefundene Bildvokabular auf der Leinwand collagiert, in kühne Schwünge versetzt, kugelförmig aufgeblasen, farbig variiert oder vielteilig reproduziert und multipliziert. In der Hamburger Ausstellung treffen etliche für seine Arbeitsweise typische quadratische Leinwände im Format 60 x 60 cm mit pointierten Motiven auf nahezu wandfüllende komplexe Bildgefüge. Ganz am Ende des Parcours trumpft die Hamburger Schau dann noch mit der immersiven Installation „the space is where you’ll find it“ (2000) auf. Die Betrachter:innen finden sich hier zwischen abgerundeten Wänden in einem Labyrinth großformatiger Computerausdrucke wieder, das in blassen Farben so unterschiedliche Icons wie Prilblumen, den RAF-Schriftzug oder die Teletubbies aufeinandertreffen lässt.
Was den Besuch im Kunstverein in Hamburg zusätzlich attraktiv macht, ist auch die zweite Ausstellung, die parallel zu „DATA STREAMING“ im Erdgeschoss gezeigt wird. „Cory Arcangel – FLYING FOXES“ versammelt eine Reihe aktueller Arbeiten des 1978 geborenen US-Amerikaners, die Majerus’ digitale Aneignungsstrategien kongenial ins 21. Jahrhundert überführen. So etwa in zwei Videoarbeiten aus seiner Serie „Runners“ (2019), in welchen der postkonzeptuell arbeitende Künstler sich durch die Instagram-Profile des Onlinehändlers Amazon beziehungsweise des Ölmultis ConocoPhillips scrollt und durch affirmatives „Liken“ einen von nervigen Influencer:innen und eitlen Selbstvermarkter:innen bevölkerten, an Banalitäten kaum zu überbietenden Reklamestream generiert, der den Konsumismus breiter amerikanischer Bevölkerungsschichten scharfsinnig entlarvt.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Michel Majerus – DATA STREAMING
Ort: Kunstverein in Hamburg
Zeit: bis 12.2.2023, Di–So 12–18 Uhr, 24. und 31. Dezember geschlossen
Katalog: Michel Majerus 2022, Deutsch/Englisch, ca. 256 S., ca. 170 Farbabb., DCV, Dr. Cantz’sche Verlagsgesellschaft, erscheint im Frühjahr 2023
Internet: www.kunstverein.de
www.michelmajerus2022.com